Bad in der Ursuppe: Akram Khan und Israel Galván gastieren mit »Torobaka« im Festspielhaus Hellerau
Auf den ersten Blick haben sie nicht viel gemeinsam, die Welt der Gitanos, der Flamenco, auf der einen Seite, die hinduistische Kultur Nordindiens und der Kathak auf der anderen. Und doch scheint es etwas zu geben, was diese beiden Welten verbindet – und Menschen inspiriert, diese Welten miteinander zu verschmelzen, aus einer Fusion etwas Neues entstehen zu lassen.
Es gibt Tanzschulen, die sich ausgerechnet auf Flamenco und Kathak spezialisiert haben, mit »Travellers« hat Anoushka Shankar 2012 ein Album veröffentlicht, auf dem sie traditionelle indische Musik mit Flamencorhythmen verschneidet – und dabei quasi einen sehr organisch wirkenden, stimmigen neuen Musikstil kreiert. Vielleicht kommt das alles nicht von ungefähr, vielleicht gibt es ja eine musikalische und tänzerische Ursuppe, aus der über Um- und Irrwege Flamenco und Kathak hervorgegangen sind. Ein Indiz dafür könnte sein, dass, wie alle Roma, auch die spanischen Gitanos ursprünglich höchstwahrscheinlich aus dem Norden Indiens stammen. Aber hier begeben wir uns bereits auf das ungewisse Terrain von Mythen und Legenden, denn nichts genaues weiß man nicht.
Auch die Ähnlichkeit diverser Elemente von Flamenco und Kathak, wie verschiedener Handbewegungen, Gemeinsamkeiten in der Rhythmik und die ekstatische Fußarbeit können lediglich als Indiz gelten.
Akram Khan, gefeierter Kathak-Tänzer und Choreograf, und Israel Galván, herausragender Flamencotänzer und -choreograf, versuchen ebenfalls, der Sache auf den Grund zu gehen. Versuchen, den spanischen Stier (Toro) mit der indischen heiligen Kuh (spanisch: vaca) zu verheiraten. Herausgekommen ist dabei Torobaka, das im Juni in Grenoble uraufgeführt wurde und nun auch in Hellerau zu sehen ist.
Wenn Musik und Tanz Formen der Kommunikation sind, ist es wohl wie mit der Sprache: Selbst wenn man vor der babylonischen Sprachverwirrung locker-flockig miteinander parliert haben mag, ist das nach immensem zeitlichem und räumlichem von einander Abstandnehmen praktisch unmöglich. Eine Annäherung, ein Lernen der jeweils anderen Sprache ist anstrengend. Galván und Khan nehmen die Herausforderung an. Versuchen zu lernen, voneinander, miteinander und auch jeder für sich. Doch es ist alles andere als leicht, die jeweiligen sozusagen endogenen Bewegungsabläufe dem Körper auszutreiben. Wunderbare komödiantische und pantomimische Aspekte der Choreografie illustrieren die mitunter auch komische Seite einer Sprachaneignung – die dennoch in jedem Moment eine geradezu unüberwindliche Herausforderung bleibt. So leidet der Zuschauer mit Khan geradezu mit, wenn der, auf Knien vor einem gestrengen Zuchtmeister, mit Schuhen an den Händen die komplizierten Schrittfolgen des Flamenco zu verinnerlichen versucht.
Das Ergebnis des Experiments ist ein erstaunliches: Aus der Interaktion der Tänzer ergibt sich am Ende nicht eine Kommunikation in zwei Sprachen, sondern vielleicht so etwas wie ein Bad in der Ursuppe, auf deren Grund die archaische Essenz des Tanzes vor jeder kulturellen Überformung zu erahnen ist.
Unbedingt erwähnenswert sind an dieser Stelle die vier Musiker, die keineswegs nur für den akustischen Hintergrund sorgen, sondern, dramaturgisch clever gesetzt, selbst die Bühne entern – und wie von selbst zu einer berührenden Harmonie und gemeinsamen neuen Sprache finden, an der sich die Tänzer noch geraume Zeit abarbeiten. Dafür galt ihnen am Ende von einem begeisterten Publikum mindestens genauso viel Applaus wie den beiden Hauptprotagonisten. André Hennig / Foto: Jean Louis Fernandez
Nächste Vorstellung: 12.7. Festspielhaus Hellerau
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