Absurdes vom »Ritter der Nouvelle Vague«: Das zweiteilige Luc-Moullet-Tribute-Programm im Thalia beim Filmfest Dresden.
Kaum einer in Deutschland kennt ihn, dabei ist er einer der bedeutendsten Autorenfilmer des französischen Kinos. Luc Moullet produzierte bereits mit 23 Jahren seinen ersten Kurzfilm und hat seither mehr als 40 fiktionale und dokumentarische Kurz- bzw. Langfilme geschrieben und gedreht. Diesem umtriebigem Mann widmet das Filmfest Dresden nun zwei Tribut-Programme, in denen jeweils fünf seiner bedeutendsten, absurdesten oder unterhaltsamsten Kurzfilme aus knapp 55 Jahren Schaffenszeit zu sehen sind.

Irgendwo zwischen der unkommerziellen »Nouvelle Vague«-Ära der späten 1950er Jahre und dem modernen Low-Budget-Autorenkino angesiedelt, lässt sich die schräge Bilderwelt des Luc Moullet nur schwer einordnen. Immer wieder durchmischt der von der französischen Presse geadelte »Ritter der Nouvelle Vague« in seinen Werken Fakten mit Fiktion. So lässt er etwa im Kurzfilm »Terres Noires« (»Black Lands«) von 1961 seine Dokumentation über fast vergessene Bergdörfer in den französischen Alpen zu einer politischen Satire über Goldgräber und ignorante Bürokratie verkommen. Von aufschlussreichen Statistiken bis zu den Kommentaren einer höchst seriös klingenden weiblichen Stimme wirkt alles legitim, doch irgendwann treibt es die Doku zu bunt und entlarvt die Dame als unzuverlässige Erzählerin. Dann wird klar, dass man Moullet eigentlich zu keiner Sekunde trauen darf. Damit verliert seine Kunst zwar ihre klare Aussage, doch wird das Verschleiern im Endeffekt zu einer bemerkenswerten Denkaufgabe.
Im Kurzfilm »L'empire de Médor« (»The empire of the homeless dog«, 1986) wird diese Technik besonders deutlich: Moullet beschreibt hier den Zustand einer Nation im Hundewahn, in der man angeblich jährlich mehr Geld für Tierzubehör ausgebe, als Senegals Bruttoinlandsprodukt, nur um im nächsten Moment über die immensen Kosten der Beseitigung von Hundekot in Paris zu sprechen und den Zuschauer dann auch noch etliche Sekunden bei dieser Arbeit zuschauen zu lassen. In diesem Moment wird Kot zum Kulturobjekt und man sinniert darüber – ob man will oder nicht. Dann fühlt man sich animiert, ja beinahe provoziert, der Sache auf den Grund zu gehen. Das muss man auch, denn Moullet spart sich eine Aufklärung. Tut man es, wird klar: die unmöglichsten Statistiken sind meist die Wahrheit und umgekehrt. Der Alltag ist für Luc Moullet auch sonst voller Absurditäten. Der verzweifelte Kampf der U-Bahn-Betriebe gegen Schwarzfahrer (»Barres«, 1983), der steigende Konsum als neue Religion betrachtet (»Toujours plus«, 1961), die erschreckend schnelle Automatisierung der sinnlosesten Tätigkeiten (»Toujours moins«, 2010) – Moullet schaut genau hin, dokumentiert, kommentiert mit grimmigem Humor und schreckt auch nicht vor einem Selbstversuch zurück. Denn wie lässt sich unsere absurde Gesellschaft besser darstellen, als beim verzweifelten Versuch, den Drehverschluss einer Cola-Flasche zu öffnen (»Essais d'ouverture«, 1989)?

Luc Moullets zweiteiliges Tributprogramm kann entweder zwei unterhaltsame Stunden voller satirischer Momente bieten oder das Ganze ist einem viel zu abgehoben. Was es davon ist, weiß man erst, wenn man's erlebt hat. Martin Krönert/Laura Greiff

weitere Termine: 18.4. Schauburg: Masterclass mit Luc Moullet (13 Uhr), Tribut2 im Thalia Kino (18 & 20 Uhr); 19.4.2014, 13.30 Uhr im Thalia Kino



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