DRESDNER Interviews / O-ton!
Wir reißen uns den Arsch auf – Milliarden im Interview (Foto Phillip Kaminiak)
Milliarden im Interview (Foto Phillip Kaminiak)
■ Ben Hartmann und Johannes Aue sind zu zweit und zusammen Milliarden. Ihr Thema ist Berlin in all seinen Facetten. Bunt, rau und laut ist das – immer nah am Wahnsinn gestrickt und doch voller Liebe für den Ort mit seinen Menschen am Rand. Ihr zweites Album heißt folgerichtig »Berlin«. Warum genau es diesen Titel trägt, was am Rosenthaler Platz in Mitte passiert und weshalb Abtreibung ein Thema ist, erfuhr DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl beim Nachmittagstermin hoch über der Spree.

Kann man auf einer Party die Liebe fürs Leben treffen?

Johannes: Man kann. Mir ist das schon passiert. Ob es ein Leben lang hält, ist die andere Frage.
Ben: Liebe ist nicht an Zeit gebunden. Wie lange ein Leben und wie lange eine Liebe hält, ist eine philosophische Frage. Angenommen ich sterbe morgen, dann geht mein Leben bis morgen. Aber klar: man kann sich auf einen Schlag verlieben, aber auch auf den zweiten, oder dritten Blick. Es ist alles drin.

Warum habt ihr das Album »Berlin« genannt?

Ben: Weil wir an eine Rückeroberung dieses Begriffes glauben.

In berühmten literarischen Beispielen wie »Berlin Alexanderplatz« von Alfred Döblin oder »Manhattan Transfer« von John Dos Passos haben Metropolen ein eigenes Wesen, welches das Geschehen mit beeinflusst. Welchen Charakter schreibt ihr Berlin innerhalb eurer Musik zu?

Ben: Auf der ersten Platte ist es ein ungehaltener, schizophrener Gegenpart – ähnlich dem Moment, als Edward Norton im Film »Fight Club« den Brad Pitt in sich entdeckt. Die zweite Platte hat diesen Moment, an welchem man merkt, dass sich die äußere wie innere Architektur der Stadt stark verändert. Döblins Buch hat eine extrem überbordende Romantik und eine Fantasiewelt, die unglaublich wirkt. Was Berlin betrifft, sind wir an einem gar nicht so unähnlichen Punkt. Döblins Buch erschien 1929, kurz vor der Wirtschaftskrise – eine Zeit in der alles prekär wird und sich die Stimmung in Deutschland verändert. Die Atmosphäre ändert sich auch jetzt.

Inwiefern?

Ben: Das muss man gar nicht nur auf Deutschland, sondern auch auf größere, komplexere Systeme beziehen. Diese werden neoliberaler, rechter und vor allem viel kleiner lesbar, worum es geht – eben um Profite, Herrschaft und Machtformen. Im Elend von Döblins Berlin gibt es Suppenküchen und schimmelige Leute, aber eben auch den Spaß und Exzess. Sieht man genau hin, erkennt man heute ähnliche Szenarien: die Zelte, die Schlafsäcke und den dicken AMG daneben. Eine merkwürdige Kohärenz, die da stattfindet.

Wird der von euch besungene und zelebrierte Lebensstil somit politisch?

Ben: Kunst ist immer politisch, egal was sie macht.

Wie viel Fiktion findet man in euren Texten?

Ben: Gar nicht so viel. Ich glaube, man hört, wenn Fiktionsbilder auftauchen. Man kann sie ausmachen und sie sind nicht versteckt.
Johannes: Das sind dann Zukunftsvisionen.
Ben: Auf unserer ersten EP heißt es beim Song »Schall und Rauch«: »ein Lagerfeuer in Palästen machen«. Das sind klare Bilderwelten, in die man sich reinstürzt, zum Kind wird und in einen glücklichen Zustand zurückfällt. Man kann klar ausmachen, was fiktional ist und was nicht.

Und wie verhält es sich auf der neuen Platte?

Ben: Da ist viel autobiografisch. Es geht um gelebtes Leben, viel Kiez, aber auch sehr viel menschliche Struktur, die wir sehen, leben und kennen.

Ein Stück der Platte trägt den Titel »Die Toten vom Rosenthaler Platz«. Gibt es hierfür eine reale Vorlage?

Ben: Schön, dass du diese Frage stellst. Der Platz steht in einer gewissen Art und Weise für ganz Berlin. Man hat den horrenden Luxus in den Fenstern, auf der Straße aber den Schimmel. Dieser Song entstand ursprünglich aus dem Wort »Waschbenzin« – weil das auf der Straße eben auch getrunken wird. Der Grad an Verdrängung und Taubheit, den man erreichen will, wenn man Waschbenzin trinkt, muss enorm sein. Im Song geht es darum, aufzuzeigen, welche unterschiedlichen Extreme auf ein und demselben Asphalt aneinander vorbeileben. Manche denken auch, mit den Toten vom Rosenthaler Platz sind die Yuppies gemeint. Die sind ja auch seelenlos. Dann bekommt das Ganze eine metaphorische Ebene, die ich aber gar nicht beabsichtige. Realistisch gesehen sind vor meinem Haus immer dieselben Gesichter und ab und zu verschwindet halt jemand. Da wird kein Grab irgendwo stehen.

Ist es Nostalgie, die euch antreibt?

Ben: Das Wort Nostalgie stimmt nicht ganz. Der Antrieb ist das, was irgendwo darunter noch als Anspruch liegt. Es geht darum, dass stirbt und verdrängt wird, worin man gelernt hat, sich zu formulieren. In Berlin in den späten 90ern und Anfang der Zweitausender waren viele Risse, Freiräume und merkwürdige Biografien unterwegs. Manchmal war das verstörend, aber eben die Realität. Heute denke ich oft daran, wohin diese Leute, diese Formen, diese Ästhetik und all diese Geschichten verschwunden sind. Wenn wir uns nicht klarmachen, dass die Liebe zu so einem Ort nur genau darüber entsteht, dann werden wir diese Liebe verlieren.

Zum neuen Album erschien der Musikfilm »Morgen«. Darin wird auch Bens Angst vor dem Vaterwerden thematisiert. Auf dem Album wiederum findet sich mit »Ultraschall« ein Stück, in dem die Erfahrung einer Abtreibung thematisiert wird. Ein wichtiges Thema für euch?

Ben: Das Abenteuer Kinder nicht anzugehen tötet einen. Das genau ist auch passiert. Das Abenteuer aber einzugehen, es als solches zu betrachten und darin keine Enge wahrzunehmen, ist eine Qualität, die man sich erarbeiten muss.
Johannes: Ich komme aus einer Erziehung, in der hieß es, man brauche Kohle und ein sicheres Leben, um den Kindern später mal was bieten zu können. Für viele gibt es die Option nicht, außerhalb von Berlin in einem Trailerpark zu wohnen. Das ist dann verpönt. Die wollen lieber ein eigenes Haus und ein Auto haben.

Gibt es zwischen euch viel Reibung?

Johannes: Ja, auf jeden Fall und das ist auch gut so. Da weiß man, dass es um etwas geht.

Welche Rolle spielen Körperlichkeit und das gemeinsame Sitzen in der Badewanne?

Ben: Wir sind da völlig schmerzbefreit, lieben uns untereinander sehr und können miteinander auch sehr körperlich sein. Das gehört zu uns. Auch über unsere Sexualität können wir ganz einfach reden, das ist aber gar nicht so unser Thema.

Habt ihr Angst vor dem Tag nach Milliarden?

Johannes: Absolut. Ein Antrieb ist, dass man damit Leute bezahlen kann, die zur Familie gehören und mit denen man zusammenarbeitet, so das diese Menschen nichts anderes machen müssen. Somit ist es unser Wunsch, dass es noch größer wird, oder eine noch größere Zuhörerschaft findet – ganz einfach, weil das auch unser Job ist und wir davon leben.
Danke für das Gespräch!

Milliarden sind am 19. Oktober live in der Scheune zu erleben; mehr zur Band: www.milliardenmusik.de/

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