■ DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl sprach anlässlich des Deichkind-Auftritts bei den Filmnächten mit Sebastian »Porky« Dürre über alternde Berufsjugendliche, große Requisiten und eine klare Haltung gegen Hass und Nationalismus.
Die Arbeit an den Songs für das aktuelle Album »Neues vom Dauerzustand« hat 2020 begonnen, unter anderem im Elbsandsteingebirge. Warum genau da?
Deichkind: Wir wollten raus aus dem Alltag. Unser Management hatte uns eine Tour mit einem alten Mercedes ohne Navi gebucht. Damit sind wir dahin gefahren, und es war super geil. Dort ist u. a. auch das Lied »Kids in meinem Alter« entstanden. Da war ein veganes Hostel und alles voll gesund. Wir dachten erst, irgendein Waldschrat kommt gleich aus dem Gebüsch, aber das waren alles junge Leute mit Waschbrettbäuchen. Wir hatten einen super nicen Blick auf die Elbe und sind sogar in die Berge. Das war das erste Mal, dass es nach dem Lockdown wieder losging, als viel noch heruntergefahren war, nichts offen hatte und alles noch mit Maske. Ziemlich aufregend.
Schreibt ihr dann einen Pool an Songs und pickt euch die Perlen fürs Album raus?
Deichkind: Genau, jedes Mal so um die 30. Das fängt mit Skizzen an, dann hat einer einen Slogan. Bei »Könnt ihr noch?«, dem neuen Song war das genauso. Erst der Slogan, dann wird drumherum gebaut. Der ist ja eher dystopisch, kein Partysong.
Du hast »Kids in meinem Alter« bereits angesprochen. Berufsjugendlich als das neue unsterblich?
Deichkind: Früher war es so, dass man älter sein wollte. Nach dem Lehrling war man Geselle, und danach vielleicht Meister. Je älter man war, desto mehr wurde man in der Gesellschaft anerkannt und respektiert. Heutzutage hat sich das etwas gedreht. Man will jung sein. Ich freue mich schon, wenn die ganzen Opas mit 70 im Wohnzimmer neben ihrem Wu-Tang-Poster sitzen. Die Kultur, mit der wir aufgewachsen sind, wird ins Alter getragen. Im Prinzip geht es heute nur noch darum, jung zu bleiben. Der Verlust von Wurzeln und Identität ist total spürbar. Alle sind berufsjugendlich. Ich habe graue Haare und stehe hier mit Vans rum.
Bei manchen Textzeilen muss ich mir an die eigene Nase fassen ... ?
Deichkind: Ja, klar. Man schämt sich, älter zu werden und will mithalten. Für die Kids ist Deichkind eine Boomer-Band.
Ist das so?
Deichkind: Jedenfalls ist Deichkind für die nicht der neueste heiße Scheiß. Vielleicht legendary, wovon wir ein bisschen zehren. Das ist eine angenehme Situation. Auf unseren Konzerten sind alle Generationen vorhanden. Das ist mittlerweile auch altersgerecht arrangiert. So wie wir früher Gas gegeben und auch in Dresden die Läden auseinander genommen haben, hätten wir das nicht solange durchgehalten.
Wie erklärst du dir, dass Deichkind schon immer szeneübergreifend akzeptiert war?
Deichkind: Vielleicht, weil es progressiv geblieben ist. Wir müssen bei unseren Sachen eine Resonanz spüren. Das ist nie auf irgendwas wie den Markt zugeschnitten. Es geht darum, das alte Feeling, eine Art Freiheitsgefühl zu spüren. Wenn der Funke da ist, sind wir auf dem richtigen Weg und machen das, was wir am besten können. Wir haben schon viel versucht und auch mal einen Song für Annett Louisan und andere Bands geschrieben. Das hat aber nie wirklich funktioniert. Wir sind keine Songwriter, sondern machen Deichkind. Das ist unser Ding.
Humor als Stilmittel, um sich in der Übertreibung der Ernsthaftigkeit von Dingen bewusst zu werden?
Deichkind: Genauso ist das. Auch eine Flucht, sich nicht selber zeigen zu müssen. Wenn du Dinge als Beschreiber erzählst, hast du super viele Möglichkeiten, dich zu verstecken. Da ist nichts Privates, man offenbart sich nicht. Wenn mein Körper durchhält, kann ich das machen, bis ich 80 bin.
Größe und Erfolg als trojanisches Pferd für Tiefergehendes? Das Ernsthafte hinter der Party?
Deichkind: Wir alle haben Abgründe. Eine Ambivalenz, die immer mitspielt. Ich bin kein Zirkuspferd, das ständig gut drauf ist. Da gibt es eine düstere Seite, und die ist in der Kunst mitunter zu hören. Wir sind alles Individuen, die manchmal eiern. Deichkind, das ist eine totale Macht, aber die einzelnen Protagonisten schlingern auch oft – so wie andere Leute auch. Wir haben das Glück einer stabilen Freundschaft, wo man aufeinander aufpasst. Da gibt es nichts Toxisches, das ist alles sehr aware.
Wie konzipiert ihr die Live-Show samt Requisite à la elektrischen Bullen als Gucci Handtasche?
Deichkind: Da geht viel über Brüche, um immer wieder in neues Fahrwasser zu kommen. Wir stellen alles in unserer eigenen Produktionsfirma her, auch die Tasche. Früher waren es Müllsäcke, dann die Uniformierung und später Klatschfarben. Eine Art abstraktes Kunstwerk, wo immer mehr dazu kommt. Einige Sachen bleiben hängen, andere fallen runter. Wir arbeiten gerne mit großen Requisiten, die man hinten noch sehen kann. Bei der neuen Show wird es aufgeräumter.
Ihr bezieht klar Stellung gegen Rechtsradikalismus und pro Willkommenskultur für Geflüchtete. In Dresden habt ihr die Initiative NoPegida supportet. Ein Selbstverständnis?
Deichkind: Da geht es um Haltung und das Nutzen unserer Reichweite. Wir sind eine Hamburger Band. Total divers. Das ist Teil unserer DNA. Da gibt es nichts zu diskutieren. Auch nicht bei Rassismus oder darüber, Leuten zu helfen, die in Not sind. Ich bin ein Hamburger Jung, mit allen Kulturen aufgewachsen und ein privilegierter weißer Mann. Während der Corona-Zeit ist dann alles nochmal schlimmer geworden. Ätzend. Da wird nicht mehr überprüft, was wahr und was falsch ist. Dann kommen Wut und Frustration dazu, die politische Landschaft ist schlimm, und man weiß gar nicht mehr, was man wählen soll, weil es einfach keine guten Alternativen gibt. Die AfD aber ist definitiv keine Alternative. Das ist nur destruktiv. Nationalismus und Hass sind eine Einbahnstraße und keine Meinung. Wenn man sich ohnmächtig fühlt, ist es niemals eine Lösung, nach unten zu treten. Das geht nicht.
Deichkind spielen am 20. Juli zu den Filmnächten am Elbufer. Mehr zur Hamburger Band unter www.deichkind.de/