■ Markus Henrik ist Dr. Pop. Kein Marketing, den akademischen Titel trägt der Mann wirklich. Seine Radiosendungen und Shows sind Kult, das Musikwissen legendär. DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl verriet er bei Kaffee und Kuchen in einer Berliner Rösterei, warum uns Balladen beruhigen, welchen Stand die Populärkultur in England hat und warum der Skandal um Milli Vanilli halb so schlimm war.
Mit welchem Song bist du aufgestanden?
Dr. Pop: Heute musste ich ein wenig in Schwung kommen. Deshalb lief »Hum«, Indierock von einem Sänger namens Joel Crouse. Derzeit einer meiner absoluten Lieblingssongs – nicht zu schnell, nicht zu penetrant. Das Stück bringt einen mit freundlicher Dynamik in den Tag.
Kannst du Musik hören, ohne sie zu analysieren?
Dr. Pop: Wenn ich einen Song wirklich liebe, analysiere ich ihn nicht. Ein paar Evergreens von früher würde ich nie antasten.
Kannst du dich an ein Schlaflied deiner Kindheit erinnern?
Dr. Pop: Meine Eltern kommen ursprünglich aus Schlesien und hatten da eine Band, die ziemlich coole Lieder gespielt hat. Mein Vater war Schlagzeuger, meine Mutter die Sängerin. Als Schlaflied hat sie mir immer die polnische Version von »Killing Me Softly« vorgesungen. In den 90ern habe ich mich dann gefragt, was sich die Fugees erlauben, beim polnischen Liedgut zu klauen.
Gibt es eine wissenschaftliche Erklärung für die beruhigende Wirkung von Balladen?
Dr. Pop: Der Beat einer Musik leitet sich vom Herzschlag ab. 60 bpm, also 60 Schläge pro Minute, ist ungefähr so langsam, wie der Herzschlag unserer Mutter, den wir als Kind im Bauch hören. Das ist der Grund, warum uns Balladen so beruhigen – es ist der erste Beat im Leben.
Was war der größte Flop der Musikgeschichte?
Dr. Pop: Für viele war es hart, dass Milli Vanilli nicht selber gesungen haben. Ich weiß gar nicht, ob ich das so schlimm finde, wenn man sich überlegt, was heutzutage alles mit Auto-Tune manipuliert wird. Ich fand die Jungs sehr sympathisch. Bei einer Pressekonferenz haben sie mal angesungen – das klang richtig gut. Der größte Flop aber war Stefan Mross, der seine Trompete nicht selber eingespielt hat. Damit ist er der Milli Vanilli der Volksmusik. Das gesamte Werk vom Wendler ist das Schlimmste, was jemals erfunden wurde.
Kann Dr. Pop nicht einfach einen eigenen Hit produzieren, der ihm die Rente finanziert?
Dr. Pop: Ich habe in meinem Soloprogramm zwei Songs, die noch nicht online sind und nach denen es netterweise ein paar Nachfragen gab. Leute, die wirklich Hits schreiben, sind die kleine Spitze einer Pyramide – das versuchen Hunderttausende. Ich bin realistisch genug zu sehen, dass meine Stärken in der Sachanalyse und der Unterhaltung liegen. Was mich ehrt, sind Bands oder Sänger, die auf mich zukommen, mir etwas vorspielen und nach meiner Meinung fragen. Da kann ich eine Mischung aus strukturiertem, inhaltlich-analytischem Feedback geben und gleichzeitig mein Bauchgefühl mitteilen.
In deiner Show nimmst du auch Künstler wie Bausa oder Fler aufs Korn. Letzterer hat gerade wieder seine Humorlosigkeit unter Beweis gestellt ... ?
Dr. Pop: Ich konzentriere mich bei der Kritik auf die Musik. Zugegeben rutscht mir beim Wendler oder Andrea Berg mal was raus, aber auch das versuche ich musikalisch zu begründen. Bei Beispielen, wie du sie aus dem Deutschrap nennst, mache ich klar, dass hier vielleicht gewisse Plagiate in der Musik stecken, alles sehr trivial evoziert und eher redundant aufgebaut ist. Ich finde es unerträglich, dass Gangsta-Rapper einen auf dicke Hose machen und objektiv gesehen keine gute Musik abliefern. Es gibt sehr gute Rapmusik, auch sehr guten Gangstarap, aber am Beispiel Fler sieht man halt, dass die Diskussion oft größer ist, als die eigentliche Musik.
Wie steht es um deine Shitstorm-Frequenz?
Dr. Pop: Ich habe schon interessante Reaktionen bekommen. Bei Instagram hat mir jemand geschrieben: »Hey Dr. Pop, ich hau‘ dich kaputt. LG.« Liebe Grüße, fand ich da besonders schön. Es ist interessant, wie jemand mal eben so etwas schreibt und sich anscheinend nicht bewusst ist, wie das rüberkommt. Besonders nett finde ich es, gesiezt zu werden. So à la »Sind Sie ein Capital Bra Hater?«
Kann ein Hit mathematisch-algorithmisch errechnet werden?
Dr. Pop: Man kann gewisse Faktoren zu einem gewissen Grad eingrenzen. Ein schiefer Ton lässt sich geraderücken, das Emotionale und Klangliche lässt sich bislang noch nicht manipulieren. Ich hoffe, das bleibt so. Wie eine Stimme wirklich klingt, kann man nicht nachmachen. Das gehört aber auch zu einem Hit. Es gibt geniale Ohrwürmer, bei denen es immer auch wichtig war, wer den Song wie zur richtigen Zeit gesungen hat.
Die popkulturelle Einbettung?
Dr. Pop: Es ist immer mehr, als die reine Struktur der Melodie – wobei man klar sagen muss, dass sich die meisten Welthits in einem gewissen Intervall abspielen. Eine Faustregel ist, eine Melodie zu finden, die jeder auch ohne musikalische Ausbildung mitsingen kann. Es gibt wenig Hits, die drei Oktaven hin und her springen, weil das für die Hörer einfach zu hoch ist.
Auf was kann sich das Dresdner Publikum bei Dr. Pop einstellen?
Dr. Pop: Eine Show für alle, die Musik lieben, leben, oder damit noch anfangen wollen. Man hört viel Musik, aber vor allem kann man Fragen stellen. In der Pause gibt es die Möglichkeit, mich auf einem Kärtchen alles zur Musik zu fragen. Kann ich etwas nicht beantworten, verspreche ich eine schriftliche Antwort mit Fußnoten. Man lernt also etwas, kann aber auch viel lachen.
Musik-Comedy als Vehikel für musikwissenschaftliche Informationen?
Dr. Pop: Humor ist eine Form der Kommunikation. Ginge es mir nur darum, gewisse Inhalte zu vermitteln, hätte ich an der Uni bleiben können. Da lehren Dozenten, die das lebhaft und toll vermitteln können. Mein Ansatz aber ist es zu unterhalten. Besucher eines Kabaretts oder einer Comedyshow freuen sich, wenn sie zudem ein paar Tipps mitnehmen können. Das ist in meinem Programm der Fall, ich möchte nicht leer unterhalten.
Ein Doktortitel und Popmusik. Steht sich das nicht konträr gegenüber?
Dr. Pop: Keineswegs. In England ist das Studium der Populärmusik da schon viel weiter als in Deutschland. Das liegt daran, dass in England Popmusik als Kulturgut angesehen wird – hier Beethoven und Bach, dort die Beatles. In Deutschland steckt das noch in den Kinderschuhen. Man hat ausgerechnet, dass in England der Wirtschaftsfaktor Popmusik ungefähr auf Platz drei ist – fast so viel wie Deutschland Rüstungsexporte hat. Vermutlich wird man irgendwann versuchen, Andrea Berg als Panzer zu verkaufen.
Dr. Pop ist am 22. April mit der Musik-Comedy-Stand-up-Show »Hitverdächtig« in der Scheune zu erleben. Ob der Live-Termin stattfinden kann, bitte beim Veranstalter oder Veranstaltungsort erfragen. Mehr zum Künstler: www.dr-pop.de