■ Durchwahl: New York. Jon Spencer sitzt im Auto – unterwegs mit Frau und Freunden. Die Verbindung ist holprig, die Hintergrundgeräusche ordentlich. DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl lässt sich davon nicht beirren und erfährt, warum das Publikum live nicht nur die neuen Songs erwarten kann, wie es um Spencers legendäre Blues Explosion steht und welche Bands es ohne ihn vielleicht nie gegeben hätte.
»Fuck this orange piece of shit«: der erste Satz des neuen Albums gebührt Donald Trump?
Jon Spencer: Unter dieser Regierung lebt man mit einer täglichen Dosis Verwirrung. Die Wahrheit wird angefochten, Fakten versucht zu verdrehen – das alles ist unglaublich frustrierend. Es war daher unvermeidbar, dass die Platte auch politische Themen beinhaltet.
Soll Rock’n’Roll die Welt positiv verändern?
Jon Spencer: Er hat sie bereits verändert. So etwas passiert aber nur einmal. Die Power ist weg, etwas Derartiges kann nicht wiederholt werden und wurde längst von Unternehmen und vom Kapitalismus vereinnahmt.
Sind die neuen Stücke auch ein Soundtrack für das sich wandelnde New York?
Jon Spencer: Die Stadt hat sich verändert, ich mich aber auch. Schon in der Entstehung hat sich die Platte nicht nach New York angefühlt. Zumal sich das letzte Album der Blues Explosion ausgiebig mit der Stadt und den vollzogenen Veränderungen auseinandergesetzt hat.
Ist der Plattentitel »Spencer Sings The Hits« ein ironischer Verweis auf die derzeitige Chart-Situation?
Jon Spencer: Ich kann gar nicht sagen, was derzeit in den Charts ist. Der Titel kam von einem Freund, dem New Yorker Autor Todd Hanson. Er schlug schon früh vor, ich solle ein Album mit Coverversionen machen und es so nennen. Ideen fürs Artwork lieferte er gleich mit. Davon habe ich mich inspirieren lassen, seine anderen Ideen über Bord geworfen, den Titel aber behalten.
Warum kommt erst jetzt ein Jon Spencer Soloalbum?
Jon Spencer: Ich war mit anderen Bands beschäftigt. Heavy Trash liegt jetzt auf Eis, Blues Explosion ist zu Ende, nur mit Boss Hog arbeite ich noch und genieße es sehr. Trotzdem habe ich es vermisst, meine eigene Band zu haben. Ein Versuch, etwas auf die Beine zu stellen, hat nicht funktioniert. Daher entschied ich mich, meine eigene Platte unter eigenem Namen aufzunehmen. Erst danach habe ich die passende Band zusammengestellt.
Inwiefern unterscheidet es sich, mit einer Soloplatte auf Tour zu gehen im Gegensatz zu Songs, die gemeinsam mit einer Band entstanden sind?
Jon Spencer: Am Anfang war nicht alles rund. Nach etlichen Geburtsschmerzen läuft es jetzt wesentlich angenehmer und genauer definiert. Letztendlich geht es darum die Gangart festzulegen. Dabei war es mir nie wichtig, nur die neuen Songs zu spielen, sondern Stücke aller meiner Bands mit auf die Bühne zu bringen: egal ob Pussy Galore, Heavy Trash oder Blues Explosion.
Hat dich die langjährige Beziehung zu deiner Frau Cristina und das gemeinsame Engagement bei Boss Hog davor bewahrt, vom Rock’n’Roll-Lebensstil in den Wahnsinn getrieben zu werden?
Jon Spencer: Das kann man Cristi durchaus zugutehalten. Andererseits habe ich mich nie wirklich dafür interessiert, sondern mich auf die Performance und Musik konzentriert.
Auf dem aktuellen Plattencover ist deine rechte Hand zur Monsterhand mutiert … ?
Jon Spencer: Zum Fototermin war Vollmond – es war also eine Art Unfall. Nein im Ernst. Ich habe viel Zeit, Gedanken und Aufwand in diese Platte investiert. Der Albumtitel und die Hand sind für mich Teil einer gewissen Verspieltheit und Lebendigkeit innerhalb des Rock’n’Roll.
Musste beim Stück »Do The Trash Can« wirklich ein alter Benzintank als Schlagzeug herhalten?
Tatsächlich wurde für diesen Song ein Tank verwendet. Auf der ganzen Platte kommen mehrfach Schrott und Müll zum Einsatz.
Fühlst du dich alt, wenn deine Musik als »Retro« bezeichnet wird?
Jon Spencer: Ich brauche keinen Begriff, um mich alt zu fühlen – das fühle ich schon jeden Morgen nach dem Aufstehen. Auf meiner musikalischen Reise habe ich immer meinen eigenen Stil behalten, war nie auf Ruhm oder Reichtum aus. Schubladen und Trends interessieren mich nicht.
Auf dem Soundtrack des Kinohits »Baby Driver« ist der Blues Explosion Song »Bellbottoms« zu hören. Was hat das bewirkt?
Jon Spencer: Dadurch hat der Song viele Leute erreicht, die ihn sonst nie zu Gehör bekommen hätten. Eine unglaubliche Sache und ein sehr schönes Geschenk. Da die Blues Explosion zu diesem Zeitpunkt aber schon nicht mehr existierte, hat das Ganze einen bittersüßen Nachgeschmack: schließlich konnten wir das Stück nicht mehr live spielen.
Was hat dich ursprünglich dazu gebracht, eine Gitarre in die Hand zu nehmen und Songs zu schreiben?
Jon Spencer: Der Sampler »Back From The Grave Volume One« des Crypt Labels.
Drei Bands, die es ohne Jon Spencer nie gegeben hätte?
Jon Spencer: O je – kann ich die Frage im Auto weitergeben?
Klar!?
Cristina Martinez: Hallo!
Hi. Ich wiederhole gerne die Frage: drei Bands, die es ohne Jon Spencer nie gegeben hätte?
Cristina Martinez:The Black Keys und Jack White.
Jon Spencer: Jack White gilt nicht, es geht um Bands.
Cristina Martinez: Na dann alle seine Bands.
Jon Spencer: Ich dachte zuerst an Beck, aber der ist ja auch keine Band.
Cristina Martinez: Nein und auf Beck trifft das auch nicht zu.
Jon Spencer: Wohl. Als er anfing, war Pussy Galore ein großes Thema. Die Band war eine der größten Einflüsse für den jungen Beck Hansen. Ty Segall fällt mir noch ein, aber der ist schon wieder keine Band. Es gibt auch Bands wie Delta 72 oder Bantam Rooster aus dem Crypt Katalog. Allerdings ist das keine gute Frage, du willst nur, dass wir stänkern.
Das ist nicht meine Absicht.
Cristina Martinez: Was ist der Preis für die Antworten?
Matthias Hufnagl: Ein gemeinsames Bier, wenn ihr in der Stadt seid?
Cristina Martinez: Deal, das machen wir so.
Jon Spencer: Bis dahin und besten Dank!