■ Das 2001 im Palais im Großen Garten begründete audiovisuelle Labor steht für spektakuläre wie experimentelle Aufführungen und Inszenierungen, die in ein räumliches Gesamtkonzept eingebunden sind. So dekonstruieren Herbst in Peking exklusiv für die diesjährige Ausgabe des Morphonic Lab Interpretationen von Suicide und auch die Gründer des Labors, die Industrial-Klangmaler von Sardh, sind beim Jubiläum live zu erleben. Aus dieser Formation kommt auch der spiritus rector des Morphonic Lab, Detlef Schweiger. Mit ihm hat sich DRESDNER-Chefredakteur Heinz K. anlässlich des 20-jährigen Jubiläums unterhalten.
Mit dem Morphonic Lab wurde das verwaiste Barockpalais im Großen Garten 2001 als Veranstaltungsort wieder erschlossen. Wie kam es dazu?
Detlef Schweiger: Der Festsaal des Palais war damals soweit saniert worden, dass er für den Veranstaltungsbetrieb geöffnet werden konnte. Aber die Innenräume wurden nicht wie die Fassaden barock restauriert, sondern der bis heute bestehende morbid anmutende Charakter der Innenräume gesichert. Also eine perfekte Kulisse für das angehende Morphonic Lab. Arend Zwicker und ich legten das Konzept der Direktion vor, dort ein experimentelles, audiovisuelles Format auszuprobieren. Zu unserer eigenen Überraschung wurde das Programm begeistert angenommen und auch von der Stadt gefördert. Von da an sind die Schlösser, Burgen und Gärten neun Jahre lang Mitveranstalter des Morphonic Lab gewesen. Auch die Akzeptanz vom Förderverein war da.
Die Zusammenarbeit endete dann abrupt 2019. Wie konnte es dazu kommen?
Detlef Schweiger: Im Barockpalais hatte es sich bereits zuvor insoweit geändert, dass die Verwaltung der Schlösser, Burgen und Gärten uns quasi über Nacht die Mitveranstalterschaft kündigte. Damit mussten wir plötzlich die komplette Miete aufbringen und beinahe wäre daran das zehnte Morphonic Lab gescheitert. Indem nun 2019 kurz vorm Vertragsabschluss die gläsernen Kronleuchter aus dem Blockhaus kurzerhand ins Palais gehängt wurden, war für uns klar, jetzt können wir es rein technisch gar nicht mehr machen, denn der Schalldruck hätte die empfindlichen Hohlglaskörper zum Bersten bringen können. Daher zogen wir interimsmäßig in die Tante JU. 2020 ist das Morphonic Lab coronabedingt ausgefallen, und jetzt sind wir mit der 20. Ausgabe erstmals in der Reithalle, wo uns der neue Mitveranstalter R-S Promotion beste Bedingungen bietet.
Du kommst ja eigentlich von der Bildenden Kunst, bist aber auch als Musiker mit der Band Sardh und in anderen Projekten unterwegs. Was ist für dich der Antrieb?
Detlef Schweiger: Sardh haben wir vor 30 Jahren gegründet. Der Grundgedanke dahinter war, uns als bildende Künstler in der damaligen Improvisationsszene als Klangmaler auszuprobieren. Ein Slogan war damals: »Mit Klängen weitermalen«. Dass wiederum Klang eine Form der Bildenden Kunst sein kann, ist ja nichts Neues. Dieses performativ auszuführen und visuell zu unterfüttern, also Filmmalerei herzustellen, ist im Grunde Malen mit anderen Medien. An dieser Grenzlinie haben wir unser Format entwickelt, an dem Musiker, Maler, Videokünstler und andere teilnehmen.
Was waren für dich die programmatischen Höhepunkte in den 20 Jahren?
Detlef Schweiger: Dazu zählt für mich das Morphonic Lab VII »Time Period« von 2008, bei dem wir sechs Klangstationen installiert hatten. Um das Prinzip dahinter zu erklären: An den Stationen haben sechs prominente internationale, aber auch gute einheimische Künstler nach einer Art Fahrplan agiert, den sechs technische Regisseure über Kanäle gesteuert haben. Aus den Live-Quellen entstand so ein ganz neues Soundbild. Eine Sechskanal-Installation im ganzen Haus, die wir drei Stunden lang durchgespielt haben; was sich zum Ende hin immer weiter steigerte. Das war ein toller Erfolg, das Publikum war begeistert. Es ist auch deshalb mein Liebling, weil es das experimentellste Labor war.
Wir haben auch einiges gemacht, was nicht so aufgegangen ist, wie etwa »White Noise«, wo wir das ganze Haus eingenebelt haben. Der Nebel hat sich den ganzen Abend nicht mehr verzogen (lacht), das war eine situative Katastrophe. So schön es war, so desorientierend und verstörend war das für die Leute. Ein unfreiwilliger Horrortrip. Ansonsten hatten wir oft einen Wechsel zwischen klassischen Bühnenperformances, wo es natürlich auch einige Höhepunkte gab wie mit FM Einheit und Irmler oder bei 80 Jahre Roedelius. Zudem haben wir auch vielen jungen Künstlern eine Bühne geboten, die später Karriere gemacht haben. Wir haben versucht, mit der Themensetzung jedes Jahr eine andere Facette abzubilden.
Bei der letzten Ausgabe stand die Stimme im Zentrum, diesmal ist es Trance, was ja gern als Sammelbegriff für veränderte Bewusstseinszustände interpretiert wird. Wie wird sich das programmatisch widerspiegeln?
Detlef Schweiger: Ich muss zugeben, dass es diesmal schon ein wenig geschummelt ist. Wir mussten das 19. Morphonic Lab ja ausfallen lassen. Das trug einen anderen Titel. Darauf hatten die eingeladenen Künstler wie StörFeldTrauma auch ihre Programme abgestimmt. So ist es nun eine Mischung aus beiden Programmen geworden. Trance ist wirklich ein weites Feld, und wir wollen das auch nicht esoterisch verstanden wissen. Inade ist ein Prachtbeispiel dafür, aber, wenn man so will, ist auch das Suicide-Programm von Herbst in Peking eine Form, wo man sich in Trance begeben kann. Trance kann ja bei jeder Art von Klängen entstehen, indem man sich begeistert und hineinsteigert. Die Themensetzung sollte man nicht allzu wörtlich nehmen, sondern eher als Fingerzeig verstehen.
Wie entsteht eigentlich ein Morphonic Lab und welche Rolle spielt der Ort?
Detlef Schweiger: Ganz wichtig ist mir zu betonen, dass das Morphonic Lab im Team entsteht. Das Barockpalais hat das Morphonic Lab sehr geprägt. Es war einfach etwas Besonderes. Dieses morbide Ambiente haben wir in einer anderen Location eben nicht mehr. Das besondere am Palais war, dass wir mittags mit dem ganzen Equipment reingingen und bis drei Uhr nachts wieder raus sein mussten. Es war der Hammer, dass uns da eine Crew von 30 freiwilligen, ehrenamtlichen Helfern mit Lust und Laune über viele Jahre unterstützt hat. Es ist also der Enthusiasmus der Morphonic-Org-Crew, die uns das alles erst ermöglicht hat, und das ist gar nicht so selbstverständlich. Das ist wirklich großartig, ein Phänomen.
Besteht denn keine Möglichkeit, an den Entstehungsort zurückzukehren?
Detlef Schweiger: Wenn sie diese schrecklichen pseudobarocken Deckenleuchter aus DDR-Zeiten nicht wieder herausnehmen, können wir nicht mehr im Palais aktiv werden. Obwohl wir natürlich sehr, sehr gerne wiederkommen würden.
Morphonic Lab XX: Tranceport mit Inade, Machine de Beauvoir, StörFeldTrauma, Sardh, Herbst in Peking, Jo Siamon Salich u.a. am 30. Oktober in der Reithalle; mehr dazu unter www.morphoniclab.de