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Tiefenentspannung und kreischende Mädchen – Im Interview mit Danny Boyle zu seiner Beatles-Komödie »Yesterday«
Im Interview mit Danny Boyle zu seiner Beatles-Komödie »Yesterday«
■ In Großbritannien für seine beeindruckende Filmografie von »Trainspotting« über »The Beach« bis »Slumdog Millionare« gefeiert, traut sich Danny Boyle nun an den heiligen Gral der britischen Popkultur. Doch mit den frauenumschwärmten Pilzköpfen selbst hat seine romantischen Komödie »Yesterday« nur im musikalischen Geiste etwas gemein. Der Protagonist nutzt nämlich eine weltweit auftretende Beatles-Amnesie, um sich kurzerhand selbst für die ikonischen Popsongs feiern zu lassen. DRESDNER-Autor Martin Schwickert sprach mit Boyle über die Bedeutung der Beatles, die Stärke der Musik im Kino und was der Regisseur nur zu gern selbst vergessen würde.

Mr. Boyle, Hand aufs Herz: Waren Sie als Jugendlicher Beatles- oder Stones-Fan?

Danny Boyle: Drehbuchautor Richard Curtis ist der totale Beatles-Fan. Er weiß alles über die Beatles. Für mich waren David Bowie und Led Zeppelin und später der Punk wichtiger, wenn ich ehrlich bin. Das war mehr meine Musik. Aber natürlich erinnere ich mich an die Beatles. Meine Eltern haben sie oft gehört. Als Jugendlicher habe ich eher die späteren Alben bevorzugt, die ja sehr ausgeklügelt waren.

Wie konnten die Beatles eine solche kulturelle Signifikanz erreichen?

Danny Boyle: Am Schluss des Filmes zeigen wir ein Bild von vier kreischenden Mädchen, die den Beatles zujubeln. Was ich durch die Arbeit an diesem Film gelernt habe: Es waren diese kreischenden Mädchen, die den Lauf der Geschichte verändert haben. Denn genau an diesem Punkt fing eine Entwicklung an, die dazu führte, dass junge Menschen sich nicht mehr vorschreiben ließen, was sie zu tun und zu lassen haben. Sie haben sich geweigert zur Armee zu gehen. Sie wollten nicht mehr die Jobs machen, die ihre Eltern für sie ausgesucht haben. Sie strebten nach Glück, Liebe und Selbstverwirklichung. Und die Quelle all dieser umfassenden gesellschaftlichen Veränderung liegt in jenen kreischenden Mädchen.

Was kann Musik als Kunstform, was Film und Kino nicht können?

Danny Boyle: Ich muss gestehen, dass mir Musik wichtiger ist als Kino. Musik transformiert uns in einer Art, die wir selbst nicht unter Kontrolle haben. Ich glaube, dass Musik schon von Geburt an in uns steckt. Wenn wir Meisterwerken wie Beethovens Neunte begegnen, ist das ein Gefühl, als hätte diese Musik schon immer zu uns gehört, als wäre sie in unserer DNA angelegt. Musik ist sehr viel machtvoller, weil wir eine tiefe innere Verbindung zu ihr aufbauen. Sie beeinflusst nicht nur die jeweilige Szene, sondern die ganze Ästhetik eines Films, die Kleidung, die die Figuren tragen, bis hin zum Verhalten der Charaktere. Es gibt eine Überbewertung des Visuellen in unserer Welt, die ich nicht teile. Ich weiß, das ist beleidigend für all die großartigen Kameramänner, mit denen ich gearbeitet habe. Aber als Regisseur fühle ich ganz genau, was man mit Sound und Musik alles bewirken kann, ohne dass es die Zuschauer überhaupt merken.

Ist es vor dem Hintergrund nicht riskant, sich in einem Film wie diesen nur auf die Musik einer einzigen Band zu verlassen?

Danny Boyle: Als wir die Auditions für die Besetzung der Hauptrolle machten, habe ich gemerkt, dass ein Film nur mit Beatles-Musik, egal wie großartig sie ist, Gefahr läuft langweilig zu werden. Man muss aufpassen, dass es nicht wie ein Karaoke-Abend wird, der einfach kein Ende findet. Aber dann kam Himesh Patel und als er anfing zu singen, waren all meine Zweifel beseitigt. Er hat einen ganz eigenen Zugang zu den Songs gefunden.
Im Gegensatz zu Ihren früheren Filmen wie etwa »Slumdog Millionaire«, die eine hohe, visuelle Dynamik aufweisen, wirkt »Yesterday« eher tiefenentspannt …Danny Boyle: Eine romantische Komödie muss unangestrengt aussehen, damit sich das Publikum in sie hineinfallen lassen kann. Richard Curtis hat sein ganzes Leben damit verbracht, romantische Komödien wie »Notting Hill« oder »Tatsächlich Liebe« zu schreiben, und vor seinem Werk muss man den Hut ziehen. Denn es ist sehr schwer, in diesem Genre den richtigen Ton zu treffen. Auch für einen Regisseur herrschen hier andere Regeln. Hier geht es nicht um Style und schnelle Schnitte, sondern darum, eine gewisse Grundgelassenheit herzustellen.

Ist die Musik der Beatles der ideale Nährboden für eine romantische Komödie?

Danny Boyle: Da ist eine enorme Lebensfreude in ihrer Musik, egal welchen Song man nimmt. Trotzdem steckt in den Songs stets auch eine gewisse, sehr britische Melancholie. Es ist oft nur ein leiser Unterton, aber man kann ihn deutlich fühlen.

In Ihrem Film verschwindet nach einem globalen Stromausfall jegliche Erinnerung an die Beatles. Was würden Sie gerne aus dem Gedächtnis der Menschheit für immer löschen?

Danny Boyle: Im Moment kann es auf diese Frage für mich nur eine Antwort geben. Wenn es etwas gibt, das die Mehrheit der Briten gerne innerhalb von 30 Sekunden ins Reich des Vergessens schicken würde, dann ist es der Brexit samt Nigel Farage und all die anderen Clowns, die für dieses politische Desaster verantwortlich sind.
Vielen Dank für das Gespräch!

»Yesterday« (ab 11. Juli im Pk Ost, KiF und in der Schauburg), Großbritannien 2019, Regie: Danny Boyle, mit: Himesh Patel, Lily James, Ed Sheeran u.a. Trailer: http://youtu.be/SXuvKG1Jnjc

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