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Supergeburtstag – Tocotronic im Interview
Tocotronic im Interview
■ An ihnen schieden sich die Geister. In Clubs und Klassenzimmern gab es lange Zeit nur eine Möglichkeit: dafür oder dagegen, Trainingsanzug oder nicht, Hamburger Schule oder nicht versetzt. Juvenile Grabenkämpfe und längst Schnee von gestern. Heute sind Tocotronic so etwas wie die »Elder Statesmen« der hiesigen Indie-Szene, auf die sich unter Rubriken wie »Vorreiter« und »Fahnen-Hochhalter« alle irgendwie einigen können. Mehr noch, das Rolling Stone-Magazin bezeichnete sie sogar als eine »der letzten großen Bands des Landes«. Da scheint es zu passen, dass das Quartett mit seiner aktuellen, »Wie wir leben wollen« betitelten, Platte nicht nur einen neuen Tonträger an den Start bringt, sondern gleichzeitig auch noch das 20-jährige Bandjubiläum begeht. Im Vorfeld des Konzerts im Alten Schlachthof hat sich DRESDNER-Autor Ben Dominik mit Gitarrist und Keyboarder Rick McPhail über Trainingsanzüge, Vorzüge von Plattenläden und Reminiszenzen an Morrissey unterhalten.

Sind die Aufnahmen zum aktuellen Album mit einem alten Vier-Spur-Gerät als Statement für die gute alte Zeit und als bewusste Abgrenzung zum digitalen Zeitalter zu verstehen?

Rick McPhail: Nein, nein. Schon allein deshalb nicht, weil man ja auch viele elektronische Sachen gut und interessant findet, bei denen die Bands einfach nicht das Geld haben, mit so einer Bandmaschine zu arbeiten, es sei denn, sie haben Glück gehabt und eine von ihrem Opa geerbt.

Die Platte trägt den Titel »Wie wir leben wollen«. Glaubst du, dass man durch Musik ein Gefühl dafür, oder eine Ahnung davon bekommen kann, wie man leben will? Kann Musik das leisten?

Rick McPhail: Auf jeden Fall. Man kann durch die Kunstwelt auf neue Ideen kommen und viel lernen. Ich selbst habe früh durch Autoren, oder auch das Hören von The Smiths-Platten immer wieder meinen Horizont erweitert.

The Smiths ist ein gutes Stichwort. Der Einstieg beim Stück »Die Revolte ist in mir« klingt wie ein klarer Verweis auf Morrissey. Daneben finden sich auf der Platte noch diverse andere Reminiszenzen. Ist diese Art von Subtext eure Methode aufzuzeigen, wo eure Wurzeln liegen, wo ihr herkommt?

Rick McPhail: Ja, manchmal macht man es gerade deswegen auch als Zitat. Man bekommt es aber sowieso nicht weg, dass Einflüsse durchschimmern. Es macht ja auch Spaß, so etwas mit einzubauen.men und viel lernen. Ich selbst habe früh durch Autoren, oder auch das Hören von The Smiths-Platten immer wieder meinen Horizont erweitert.

Ist der Spagat zwischen Fan und Feuilleton für euch nicht mehr ganz so groß, da der Fan der ersten Stunde mittlerweile das Alter des klassischen Feuilleton-Lesers erreicht hat?

Rick McPhail: Wir haben vom Alter her ein sehr breites Publikum und ich bin mir nicht sicher, ob 14-jährige tatsächlich Feuilleton lesen, ich glaube aber eher nicht. Aber das ist ja das Ding – man weiß gar nicht, was sie überhaupt lesen. Schon allein deswegen muss man andere Promotion-Wege ausprobieren. Da sind wir aber sehr vorsichtig. Schließlich findet man es ja auch selbst blöd, wie sich heutzutage permanent alle irgendwie verkaufen müssen und man so ständig in der Schusslinie ist. Daher muss man zusehen, Wege zu finden, die man nicht so ekelhaft findet.

Vor der Veröffentlichung eures neuen Albums gab es auf iTunes jede Woche einen Song, der dann wiederum angerechnet wird, wenn man sich später die Platte kauft. Ist das die Art von Kompromiss, von der du eben gesprochen hast? Etwas, dass ihr früher vielleicht nicht gemacht hättet, was heutzutage aber einfach ein Muss ist, weil es nun mal Teil des Geschäfts ist?

Rick McPhail: Ja, aber ich finde das nicht schlimm. Das ist eher Geschmackssache. Viele Fans regen sich zwar auch darüber auf, aber unsere Platte gibt es ja immer auch noch auf Vinyl zu kaufen. Immerhin. Es gibt ja auch Bands, die nichts anderes können, als iTunes. Man muss es sich da aber ja nicht anhören und nicht kaufen, wenn man nicht will. Deswegen muss man darüber auch nicht diskutieren. Und mir ist das immer noch lieber als Spotify, wo die Bands kaum was kriegen. Ich mag es, wenn man eine Platte kauft, egal in welchem Format. Es ist aber halt einfach nicht mehr wie früher, als man in den Plattenladen gegangen ist und eine Platte gefunden hat, über die man sich dann gefreut hat. Kauft man eine Platte, muss man sich auch mit ihr auseinandersetzen. Durch Dinge wie Streaming kann man jetzt einfach durchzappen und beschäftigt sich nicht mehr lange mit dem einzelnen Werk – man kann es einfach skippen.

Du selbst bist seit 2004 offizielles Mitglied von Tocotronic. Bist du froh, somit um die Zeit der Trainingsanzüge herum gekommen zu sein?

Rick McPhail: Nein, weil ich immer noch die Fragen hören muss (lacht). Die hat damals ja jeder getragen und ich fand das als Uniform eigentlich ganz lustig. Das sah sehr poppig aus. Ich glaube, ich selbst habe auch welche getragen. Das hat jeder einmal durchgemacht.

Ist es ein Segen, dass das 20-jährige Bandjubiläum mit der Veröffentlichung der Platte zusammenfällt, oder kann es auch schon mal nerven, sich so auch nostalgisch mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen zu müssen?

Rick McPhail: Es ist gut, dass man beides hat, so kann man es gleichzeitig abhaken. Man hatte das ja schon auch etwas im Sinn, dass die Platte zum Jubiläum erscheint. So kann man doppelt feiern – ein Supergeburtstag.
Vielen Dank für das Gespräch!

Tocotronic sind am 13. April mit It's A Musical als special guest im Alten Schlachthof zu erleben. Mehr zur Band: www.tocotronic.de

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