■ Es gibt einiges an Kultur in dieser Stadt, was eine bemerkenswerte Tradition hat: So auch die Funktion des Stadtschreibers. Diese Position wird seit 1996 für jeweils ein halbes Jahr vergeben und beinhaltet neben einer kostenfreien Wohnung ein monatliches Stipendium von 900 Euro, bereitgestellt von der Kulturstiftung der führenden Dresdner Sparkasse.
In globalisierten Zeiten, in denen Kunst immer und überall stattfinden kann, mag eine Begrenzung auf einen Ort und Zeitraum einen leicht angestaubten Charakter haben. Aber vielleicht ist es genau diese Begrenzheit, die den äußeren Rahmen für neue Inspirationen schafft. Aus der Mode gekommen zu sein scheint die Institution des Stadtschreibers jedenfalls nicht, weder in Dresden, noch in den zahlreichen anderen Städten, die sich eine literarische Intervention wünschen, noch bei den Autoren.
Dies bestätigt auch Juliane Moschell, im Kulturamt zuständig für den Bereich Darstellende Künste und Literatur, und spricht von »hochinteressanten und vielfältigen Bewerbern«, die ihre Texte, die Liste ihrer bisherige Veröffentlichungen und ihre Vita bis Ende letzten Jahres eingereicht haben. Wichtig für die Entscheidungsfindung der sechsköpfigen Jury ist auch das Motivationsschreiben, erläutert Juliane Moschell: »Es geht nicht nur darum, einem renommierten Autor den Freiraum zu geben, neue Impulse und Inspirationen zu sammeln oder über einen längeren Zeitraum konzentriert an einem Werk arbeiten zu können, oder einen Perspektivwechsel vorzunehmen. Wir wünschen uns natürlich auch, dass der Autor nicht nur bei der Antrittslesung in Dresden sichtbar ist, und dass wir über seinen Blick von außen auf die Stadt neue Sichtweisen gewinnen, die dann wieder in die Stadtgesellschaft zurück gespielt werden können.« Dieses Jahr nun hat sich die Jury für Kurt Drawert entschieden, Grund genug für DRESDNER-Herausgeberin Jana Betscher, um ihn zu befragen.
Sie haben Ihre Kindheit und Jugend in Dresden verbracht. Wie nehmen Sie jetzt die Stadt im Vergleich mit Ihren Erinnerungen wahr? Was bewegte Sie, sich für die Stelle des Stadtschreibers zu bewerben?
Kurt Drawert: Ich habe von 1967 bis 1984 in Dresden gelebt, davon drei Jahre in Pirna. Danach bin ich nach Leipzig gezogen und dann in die Nähe von Bremen. Dresden, und ebenso Leipzig, waren völlig andere Städte, wenn ich das in dieser metaphorischen Verkürzung so sagen darf. Die Bilder der Erinnerung sind entsprechend auch dunkel. Dunkel nicht nur im Farbton der Architekturen, sondern auch im Innersten eines Gefühls.
Niemals hätte ich es früher für möglich gehalten, einmal diese Städte in ihrer Schönheit zu sehen, wie sie es heute in meinen Augen sind. Und nicht nur in meinem Augen. Dresden ist fraglos eine der schönsten Städte Deutschlands. Vielleicht suche ich das: eine zweite innere Topographie, eine Überschreibung der alten Bilder. Orte und Biografien gehen ja ineinander über, wie ein Möbiusband, das Außen- und Innenseite miteinander verknüpft. Dresden nun gibt mir das Gefühl, vieles noch zu erzählen zu haben. Möglich, dass es eine Form der Wiederkehr des Verdrängten ist. Aber auch das wäre eine Geschichte, die mich interessiert.
Was haben sie sich für Ihre Zeit hier in Dresden vorgenommen?
Kurt Drawert: Die sicherste Art und Weise, in der Kunst etwas nicht zu erreichen, ist die, es sich vorgenommen zu haben. Damit sage ich jetzt nicht, dass ich mir nichts vorgenommen habe, denn ich nehme mir immer etwas vor. Ebenso aber weiß ich, dass in aller Regel etwas ganz anderes oder auch gar nichts entsteht, und das aus einem einfachen Grund: Literatur korrespondiert mit einem Unbewussten, über das ein Autor nicht mehr verfügt. Jedenfalls nicht allumfassend. Der Rest sind Gebrauchstexte, die man natürlich, im wahrsten Sinne des Wortes, produzieren kann. In der Kunst sind die Zeit der Ereignisse und die Zeit des Erinnerns nie kongruent. Aber die Bilder bleiben, die Buchstaben, die irgendwann zu einem Sinn sich fügen. Fest vorgenommen habe ich mir allerdings, möglichst viel Zeit mit meiner Mutter zu verbringen, die in Dresden lebt und die ich sonst viel zu selten sehe. Und mit meinen alten, mir sehr lieben Freunden.
Was haben wir bei Ihrer Antrittslesung am 21. Juni zu erwarten?
Kurt Drawert: Offen gesagt, ich weiß es noch nicht. Wahrscheinlich werde ich Auszüge aus meinen wichtigsten Büchern vorstellen. Gedichte und Ausschnitte aus den Romanen »Spiegelland« und »Ich hielt meinen Schatten für einen anderen und grüßte« von 2008 sowie aus dem Langgedicht »Der Körper meiner Zeit« von 2016.