■ Der kanadische Autor, Drehbuchschreiber und Regisseur George F. Walker gehört zu den produktivsten seiner Zunft. Seit den 70er Jahren, als er als Taxifahrer zufällig die Ausschreibung eines Theaters entdeckte, hat er mehr als 30 Stücke geschrieben, seine Drehbücher für zahlreiche kanadische Fernsehserien werden regelmäßig ausgezeichnet. »George F. Walker experimentiert mit Form und Sprache, setzt merkwürdige Konzepte und Worte in die Sprache der Charaktere, die, so seltsam es manchmal erscheinen mag, von der Anomalie profitieren« beschreibt ihn die »Enzyklopädie des kanadischen Theaters«. Der sechsteilige Theater-Zyklus »Suburban Motel« gehört sicherlich zu seinen bekanntesten Stücken. Zwei davon, »Loretta!« und »Genie und Verbrechen« sind nun in einer Inszenierung des Schauspielstudios im Kleinen Haus zu erleben. DRESDNER-Herausgeberin Jana Betscher sprach mit Philipp Lux, der das Schauspielstudio seit 2015 leitet, über Begegnungen in einer urbanen Kultur, tragische Sarkasmen und gleichermaßen hoffnungsfrohe wie gescheiterte Glückssucher.
Die Premiere von »Suburban Motel« war ursprünglich im März geplant …?
Philipp Lux: Ja, und wir waren auch schon weit gekommen mit der Inszenierung, hatten noch vier Tage bis zur Premiere, dann wurde der Laden zugemacht. Es war für uns alle ein schwieriges Gefühl, so abrupt die Arbeit zu unterbrechen und die Bedeutung und die Berechtigung aus den Händen genommen zu bekommen.
Dann kam vom Haus die Anfrage, ob ich mir auch vorstellen kann, die Arbeit unter Corona-Bedingungen rauszubringen. Mein erster Impuls war: natürlich bringe ich die Arbeit irgendwie raus – auch für die Studenten. Die müssen auf die Bühne, die wollen spielen. Die Lösung wurde mit der Umverlegung von der KH2 in den größeren Saal KH1 gefunden. Es war eine große Herausforderung, aus der Schuhschachtel des kleinen Hotelzimmerchens auf eine Bühne mit Cinemascope-Breite zu gehen. Gemeinsam mit der Bühnenbildnerin haben wir, was uns beeengt, also die Wände und die Türen, einfach eleminiert. Jetzt ist es freier. Wir nutzten auch die Chance, mit Distanz auf das Stück zu gucken und zu überlegen, was noch anders und besser gemacht werden kann. So haben wir einiges vom Realismus-Korsett abgeworfen und gehen mit einigem viel lustvoller um.
Welche Gründe gab es für die Auswahl der beiden Stücke?
Philipp Lux: Mein Grundimpuls war pragmatisch: Ich muss einen Stoff haben, in dem neun Spieler gleichberechtigt fleischliche, komödiantische und auch tragische Rollen haben. Es gibt in dem Zyklus Stücke, in dem die Figuren deutlich älter sein müssen als die Studierenden. Bei »Loretta!« und »Genie und Verbrechen« bin ich relativ schnell über den Humor hängen geblieben – und wegen der traurigen Menschen, die beide Stücke verbinden. In der Sekundärliteratur werden »Loretta!« und »Genie und Verbrechen« als die beiden Grotesken beschrieben. Das ist auch etwas, was mich gefangen genommen hat. Also nicht nur das reine Sozialdrama zu zeigen, sondern es ein wenig über die Realität hinweg heben zu können – abstruser und auch verrückter.
Es sind zwei Stücke, aber wir verweben sie. In beiden Geschichten gibt es jeweils einen Hotelangestellten (Manager / Zimmermädchen), die das Verbindungsglied sind, die Rahmengeschichte. Die anderen sind gestrandete Existenzen, die in diesen Zimmern absteigen. Bei »Loretta!« liegt der Konflikt zwischen den Figuren und auch innerhalb des Motelzimmers: Zwei Männer, die beide um die Gunst der Titelfigur Lorrie buhlen und mit ihr einen Pornofilm drehen wollen. Bei »Genie und Verbrechen« kommt die Bedrohung von außerhalb. Der Mafia-Boss, die große Rache. Das ist das, dem wir in der Verarbeitung nachspüren wollen. In »Loretta!« geht es durch die Porno-Phantasie vordergründiger um Sex und in »Genie und Verbrechen« vordergründiger um Gewalt.
Sex & Crime, das muss ja gelingen …?
Philipp Lux: … und ich finde es toll, dass es mit Humor gepaart ist. Selbst, wenn die Figuren sich ernst nehmen und auch in wirklichen Nöten stecken, dann ist es unglaublich komisch. Es gibt Dialoge zwischen den Kleinkriminellen in »Genie und Verbrechen«, die sind total absurd. Ihr Horizont ist so klein, trotzdem fangen sie an zu philosophieren. Die Figuren sind auch Antihelden und immer mit der Tendenz ins Absurde. Sie stehen in der sozialen Hackordnung ganz unten und versuchen verzweifelt, sich ebenfalls Recht und Gerechtigkeit, Glück und Erfolg zu verschaffen.
Sie gehören zu den profiliertesten Schauspielern am Staatsschauspiel. Wann und wie wurden Sie Leiter des Schauspielstudios?
Philipp Lux: Vor etwa fünfzehn Jahren habe ich angefangen, am Schauspielstudio, das es ja am Staatsschauspiel schon seit 1967 gibt, und an dem auch ich in den 1990ern ausgebildet wurde, zu unterrichten. Ich habe darin große Erfüllung und großen Spaß gefunden. Und dann kam 2015 das Angebot, die Leitung zu übernehmen.
Mit der Absicht, irgendwann ins Regiefach zu wechseln?
Philipp Lux: Es macht mich sehr froh, zu unterrichten und die Studierenden zu begleiten. Ich habe schon zu Teenagerzeiten Jugendtheatergruppen geleitet. Mir gefällt die Mischung aus Therapeut, Sekretärin und Arbeitspartner – und mit Glück ein wenig auch als Vorbild. Der Zeitaufwand und der emotionale Einsatz sind neben meiner Schauspielleistung sehr hoch, aber ich finde es sehr befriedigend. Es schenkt mir Energie und erweitert meinen Horizont und auch den Blickwinkel auf den Beruf.