■ Sauerei. Die Kneipe, in dem das Interview stattfinden soll, öffnet erst mittags. Da macht der Wirt keine Ausnahme. Sven Regener hält kurzerhand in zweiter Reihe, packt uns ein und braust zum Kuchenkaiser am Berliner Oranienplatz. Dort finden wir schließlich Ruhe, um uns bei Tee und Leberkäsesemmel über »Wiener Straße« zu unterhalten. Regeners neues Buch – ein wahnwitziger Roman, angesiedelt im Kreuzberg der frühen 1980er, irgendwo zwischen frischer Kunst, Intimfrisurladen und verbranntem, deutschen Apfelkuchen. Aber der Reihe nach, wie Sven Regener im Interview mit DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl erzählt.
Ist dein neues Buch »Wiener Straße« eher historisch, oder nostalgisch zu verstehen?
Sven Regener: Nostalgisch wäre eine Verklärung. Das macht zwar viel Spaß, solche Geschichten zu schreiben und zu lesen, aber Nostalgie ist einfach die Sehnsucht nach einer Welt, die es nie gab. So ist das Buch nicht konzipiert. Das ist ja auch nur die Spitze des Eisbergs der Haltung zur Kunst und zum Leben, wie man sie damals durchaus beobachten konnte und wie sie auf eine gewisse Weise ja auch empfunden wurde. Von daher auf jeden Fall historisch.
Wen zog es damals prototypisch nach Berlin?
Sven Regener: Das waren im Wesentlichen junge Leute, die wenig bis gar kein Geld, aber eine Menge vor hatten. Die waren davon geflasht, dass sie hier wahnsinnig billig klar kommen konnten. Eine eineinhalb Zimmer Wohnung mit Außenklo und ohne Bad hat damals 90 Mark Miete gekostet und man konnte zu zweit drin wohnen. Was wegzog, waren junge Handwerker, was zuzog waren die Freaks. Da war die Liberalität der Leute ganz stark gefragt. Leben und leben lassen – was ja aber doch ganz gut funktionierte.
Die Struktur des Buches erinnert an ein Theaterstück!?
Sven Regener: Das ist auch so. Fünf Akte, also Kapitel und die dramatische Entwicklung geht am Ende hin zu einer richtig schönen Katastrophe. Dazu haben wir wechselnde Szenen und viele, kleine Schauplätze, die parallel stattfinden.
Die Figuren tragen Namen wie Kacki, P. Immel oder H.R. Ledigt. Klassische Namensgebung der 80er, die heute so nicht mehr existiert?
Sven Regener: Die sind alle noch da. Blixa Bargeld, Farin Urlaub, Bela B, FM Einheit, Kai Havaii. Aber auch jüngere Musiker und Bands wie zum Beispiel Judith Holofernes. Damals ist die Zeit, in der das anfängt. Da hießen die Kneipen plötzlich nicht mehr »Zur heißen Ecke«, sondern »Wunderbar« oder »Quellensteuer«. Der ironisierte Name, ein Pseudonym, spielte eine große Rolle. Jemand, der so extrem ist wie H.R., legt sich mit seinem Pseudonym eine zusätzliche Distanz zwischen sich und der eigenen Herkunft. Das enthemmt auf gewisse Weise auch.
Wusstest du, als H.R. Ledigt mit einer Kettensäge an der Kasse im Baumarkt steht, demnach schon, dass er am Ende damit einen gestohlenen Baum vom Leuschnerdamm zerschneiden wird?
Sven Regener: Eins ist mal klar: Wenn man im ersten Akt eine Kettensäge anschreibt, dann muss man sie spätestens im fünften Akt auch richtig benutzen. Kann man nicht ändern.
Was war das Blödeste, das du in den 80ern angestellt hast?
Sven Regener: Das ist schwer zu entscheiden, aber auf jeden Fall irgendwas so Peinliches, dass ich es niemals erzählen würde.
Die Geschichte des Buches suggeriert, dass sich im Berlin der 80er die Kunst-, und die Punkszene gegenseitig bedingt haben?
Sven Regener: Das war ja auch so. Es ist ja immer so, dass sich bestimmte Tendenzen in der einen Kunstform auch auf die anderen verbreiten. Der Punkrock hat da seinen ganz eigenen Einfluss gehabt. Was wir hier sehen, ist Bildende, Aktions- und Objektkunst. Das sind alles Dinge, die es vorher auch schon gab, aber durch den Punkrock der 80er Jahre extrem entakademisiert wurden, wodurch plötzlich jeder mitmachen konnte. Das ist ja die Idee des Punkrocks. Jeder kann mitmachen. Man muss nicht jahrelang Gitarre lernen, um in einer Band mitspielen zu dürfen und auch keine Akademie besucht haben, um eine Installation zu machen. Das hat damals für eine Explosion gesorgt. Plötzlich war überall Kunst.
Auch viel Schrott?
Sven Regener: Damit in der Kunst tolle Sachen entstehen, muss es ganz viel geben. Lichtenberg hat einmal gesagt, es ist in der Kunst wie in der Natur. Damit ein Apfelbaum wächst, müssen fünfhundert Äpfel mit jeweils hundert Kernen auf den Boden fallen. Da ist natürlich was dran.
Stichwort: Verbrannter deutsche Apfelkuchen und die »Neue Neue Nationalgalerie« im Café Einfall. Wird im Roman permanent darum gerungen, was eigentlich Kunst ist?
Sven Regener: Die Leute sind da relativ pragmatisch. Karl Schmidt habe ich ja schon in »Der kleine Bruder« sagen lassen, dass es Kunst ist, wenn jemand sagt, dass es Kunst ist und dann braucht er noch einen, der es ihm glaubt. Damit hat er natürlich völlig recht. Toll daran ist ja, dass man sich als Betrachter des Kunstwerks selber verhalten und überlegen muss, was man dazu meint. Ob man das mag oder nicht. Mit dem Argument, dass ist keine Kunst kommt man aber plötzlich nicht mehr weiter. Was ja sowieso ein ganz dummes und spießiges Argument ist, dass es auch nur in bestimmten Bereichen gibt.
Warum gibt es in deiner in Kreuzberg angesiedelten Geschichte keine Berührungspunkte mit der türkischen Community?
Sven Regener: Es gibt keine Berührungspunkte.
Auch damals nicht?
Sven Regener: Es gibt auch heute keine. Warum auch? Das muss es auch gar nicht geben. Als Leander Haußmann »Herr Lehmann« verfilmt hat, meinte er: »Seltsam, ein ganzer Roman in Kreuzberg ohne Türken.« Umgekehrt kann ich mir genauso vorstellen, dass man einen Roman schreibt, der in Kreuzberg spielt und es kommen keine Deutschen darin vor. Außer, dass man bei den Leuten Gemüse kauft, findet nicht mehr statt. Es gibt diese Berührung nicht, da muss man sich nichts vormachen. Ich finde das auch nicht schlimm. Das Reaktionäre besteht von der Linken wie von der Rechten darin, diese Berührung einzuklagen. Die Realität zu leugnen und zu sagen, man ist hier multikulti und hat ganz viel Austausch. Eben nicht. Es ist kein Austausch da. Jeder kann seinen Scheiß machen. Umgekehrt ist es auch nicht richtig zu sagen, dass wenn die sich nicht anpassen, mit uns die ganze Zeit reden und so sind wie wir, dann müssen die weg. Das geht nun auch nicht.
Du machst erfolgreich Musik, schreibst Bestseller und deine Geschichten werden im Kino verfilmt Schafft Geld durch Ruhm Freiheit, oder ist der Ruhm und die Reputation die eigentliche Vergütung?
Sven Regener: Ich habe immer das gemacht, was ich wollte. Das Geld führt nun dazu, dass ich mir keine Sorgen mehr machen muss. Es stellt sicher, dass ich nicht plötzlich irgendwann Sachen machen muss, die man als Künstler eigentlich nicht machen will. Als Schlagersänger würde ich sagen, das Geld ist gut, dass ich nicht irgendwann die Bädertournee machen muss.
Sven Regener liest am 15. November im Boulevardtheater aus seinem Roman »Wiener Straße«. Mehr zum Autor: www.svenregener.de