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Nur keinen moralischen Stempel aufdrücken! – Interview mit Regisseur Dan Gilroy zu seinem neuen Film »Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis«
Interview mit Regisseur Dan Gilroy zu seinem neuen Film »Nightcrawler – Jede Nacht hat ihren Preis«
■ Aus Mangel an einem Job versucht sich der Kleinkriminelle Lou als »Nightcrawler«, also in jener Medienbranche, in der grausame Unfall- und Tatorte für die Lokalnachrichten so frisch wie möglich abfilmt werden. Schnell wird dem Nicht-Empathen klar, diese Arbeit liegt seiner skrupellosen Persönlichkeit und so filmt sich Lou, der bald auch moralisch keine Grenzen mehr zu kennen scheint, schleichend zum finanziellen Erfolg. DRESDNER-Autor Martin Schwickert sprach mit Dan Gilroy über seinen Medien-Thriller, die Hintergründe des Films und den Wunsch unserer Gesellschaft nach blutigem Spektakel.

Mr. Gilroy, Sie porträtieren in »Nightcrawler« den Kameramann Lou, der Nacht für Nacht auf die Jagd nach Bildern von Unfällen und Gewaltverbrechen geht. Wie nahe haben Sie Ihr Porträt an die Realität herangebaut?

Dan Gilroy: Wir haben selbst ein paar Nächte mit einem dieser »Nightcrawler« verbracht und das war wirklich Grauen erregend. Der erste Einsatz war ein schrecklicher Autounfall am Highway mit mehreren Toten und diese Bilder verfolgen mich noch heute. Wir standen da völlig schockiert, während dieser Kameramann die Szenerie ganz professionell abfilmte, schnell zum Auto lief, um das Material innerhalb von fünf Minuten zu schneiden und an vier Fernsehsender zu verkaufen.

Welche Haltung nehmen Sie und Ihr Film gegenüber diesen Leuten ein, die die blutige Sensationsgier des Fernsehpublikums füttern?

Dan Gilroy: Dieser Mann und seine Kollegen sehen sich selbst als Dienstleister und ihre Filmaufnahmen sind oft der Aufmacher in den Lokalnachrichten von Los Angeles. Offensichtlich gibt es bei den Zuschauern ein starkes Verlangen nach solchen Geschichten und deshalb fällt es mir auch schwer, diese Männer für ihre Arbeit zu verurteilen. Ich habe in diesem Film gezielt auf moralische Stellungnahmen verzichtet. Lous Taten werden weder verurteilt noch legitimiert. Denn wenn man als Regisseur seinem Film einen moralischen Stempel aufdrückt, verhindert man, dass das Publikum einen eigenen Standpunkt entwickelt. Mir ging es darum, diesen Teil der Medienwelt so genau wie möglich zu porträtieren, damit die Zuschauer selbst entscheiden können, was sie davon halten.

Woher kommt dieses Bedürfnis nach gewalttätigen Bildern eigentlich?

Dan Gilroy: Das gab es wahrscheinlich schon bei den Urmenschen, die fasziniert beobachtet haben, wie ein Löwe eine Gazelle tötet. Das gilt vielleicht nicht für alle Menschen, aber es gibt eine Menge Leute, die von diesen schrecklichen Bildern angezogen werden. Die Einschaltquoten der TV-Sender steigen, je blutiger die Aufnahmen sind.

»Nightcrawler« ist nicht nur das Porträt einer gewaltsüchtigen Mediengesellschaft, sondern auch das einer Generation, der die ökonomischen Krise die Perspektiven geraubt hat...?

Dan Gilroy: In den USA und anderswo gibt es Millionen von jungen Menschen, die wie Lou im Zuge von Globalisierung und Wirtschaftskrise arbeitslos sind und nur wenig Hoffnung auf eine sinnvolle Karriere haben. Sie machen ein Praktikum nach dem anderen, haben keine Krankenversicherung, suchen verzweifelt nach einem Job und landen in Berufen, die sie eigentlich nie machen wollten.

Steht Lous zynische Erfolgsstory auch für eine pervertierte Form des amerikanischen Traums?

Dan Gilroy: Ich kann mir Lou in zehn Jahren gut als Geschäftsführer eines großen Konzerns vorstellen. Natürlich treffen viele Manager in den Chefetagen von Banken und multinationalen Unternehmen Entscheidungen, die weitaus verwerflicher als Lous Taten sind. Wenn man 40.000 Menschen um ihre Rente bringt und sich eine 12-Meter-Yacht kauft, ist das für mich sehr viel krimineller. Aber ich glaube, dass Lou durch seine Erfahrungen, die er im Verlauf dieses Films macht, auf das Leben in den Vorstandsetagen sehr gut vorbereitet wäre.
Vielen Dank für das Gespräch!

»Nightcrawler – jede Nacht hat ihren Preis«, voraus. ab 13. November im UCI; USA 2014, Regie: Dan Gilroy, mit Jake Gyllenhall, Bill Pullman, Rene Russo; Trailer zum Film: www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=u0Rp25CCA9I

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