■ Kettcar heißt Klartext: Die Hamburger Urgesteine befühlen, was wichtig und besingen, was (nicht) richtig ist. Gitarrist Erik Langer verriet DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl warum es gut ist, wenn sich Helene Fischer politisch äußert, was es mit Benzinkanistern und Streichhölzern auf sich hat und welche besondere Geschichte die Band mit Dresden verbindet.
Hättet ihr euch träumen lassen, dass euer Comeback 2017 nach der langen Abwesenheit derart einschlägt?
Erik Langer: Ganz ehrlich: Nein. Wir gingen davon aus, dass wir von vorne anfangen müssen und das wäre auch OK gewesen. Dass es so anders kam, macht uns einfach nur glücklich und dankbar.
In der langen Bandpause vor dem letzten Album hast du Gitarrenunterricht genommen. Was war hierfür der Anlass?
Erik Langer: Ich war in Berlin bei einer Bandprobe von guten Freunden – Andy Fins, kleiner Musik-Tipp am Rande. Der Sänger hatte einen neuen Song, und bevor sie ihn zum allerersten Mal perfekt spielten, unterhielten sie sich circa drei Minuten lang darüber. Dann wusste jeder, was zu tun ist. Ich stand mit einem Bier in der Ecke und habe die drei Minuten lang absolut nix verstanden. Das hat mich gewurmt und so habe ich mir jemanden gesucht, der mir Musiktheorie zeigt.
Im November erschien die Live-Platte »… und das geht so«. Was war hierbei die besondere Herausforderung?
Erik Langer: Obwohl wir bereits seit über 18 Jahren zusammen Konzerte spielen, hatten wir auf den Touren zu unserer letzten Platte »Ich vs. Wir« das Gefühl, dass gerade alles stimmt. Die Bandchemie, eine Setlist mit dem Besten aus fünf Platten und nicht zuletzt die Euphorie des Publikums. Als wir dann noch drei befreundete Bläser mit auf Tour nahmen, war schnell klar, dass wir das alles festhalten wollen. Ob uns das mit dieser Liveplatte gelungen ist, sollen andere entscheiden, aber ich bin sehr glücklich, dass es sie gibt.
Das Thema »flüchtende Menschen« treibt euch um, von Ticketeinnahmen spendet ihr an Organisationen wie Seawatch. Ein Grund, warum der Song »Sommer'89« als generelle Aufforderung, Menschen in Not zu helfen gehört werden kann?
Erik Langer: Der Text spielt im Jahr 1989, wobei klar ist, dass es einen gedanklichen Bezug zur heutigen Flüchtlingssituation gibt. Auch wenn das nicht eins zu eins vergleichbar ist, wollten wir mit dem Song die Frage aufwerfen, ob es nicht einfach immer das Richtige ist, anderen Menschen zu helfen – egal ob an der ungarischen Grenze oder auf dem Mittelmeer. Anders gesagt: Was macht es mit uns und unserer Gesellschaft, wenn wir nicht helfen? Wir sollten weniger Angst davor haben, mehr Flüchtlinge aufzunehmen und uns mehr um die Verrohung der Gesellschaft sorgen. Das wird uns vielleicht in naher Zukunft um die Ohren fliegen, und davor haben wir wirklich Angst.
Politisch Stellung zu beziehen ist für Kettcar selbstverständlich. Was hältst du von Künstlern, die sich vor klaren Aussagen drücken?
Erik Langer: Ich finde auf keinen Fall, dass sich jeder Künstler politisch äußern muss. Gleichzeitig bringt ein hoher Bekanntheitsgrad auch eine gewisse Verantwortung mit sich. Wir leben in sehr politischen Zeiten, und wenn Helene Fischer sich etwa in Konzertansagen positiv auf das »Wir sind mehr«-Bündnis in Chemnitz bezieht, oder Herbert Grönemeyer zum Kampf gegen Rechts aufruft, hat das eine große Strahlkraft und ist für mich ein positiver Beitrag zum politischen Diskurs in Deutschland.
Das Stück »Den Revolver entsichern« ist einer meiner jüngeren Kettcar-Favoriten. Ein Aufruf zur Einigkeit sich Pegida, AfD und Co. radikal entgegenzustellen?
Erik Langer: Wir können uns diese Abgrenzungen heutzutage nicht mehr leisten. Wir waren früher Punks und fanden Hippies scheiße. Aber das war gestern, und heute üben wir in dem Song den Schulterschluss mit diesen und feiern all die Menschen, die noch an das Gute glauben, die empathisch sind und noch nicht in Zynismus, Apathie oder Hass auf alles, was anders ist, verfallen sind.
Eure letzte Platte trägt den Titel »Ich vs. Wir«, die aktuelle EP »Der süße Duft der Widersprüchlichkeit (Wir vs. Ich)«. Wer wird diesen Kampf gewinnen?
Erik Langer: Der Titel bezieht sich auf den zweiten Song der Platte »Wagenburg«, in dessen Text verschiedene Ich- und Wir-Beispiele aufeinanderprallen, um dann im Refrain eine Antwort auf AfD und Pegida zu formulieren. Wenn diese Leute »Wir sind das Volk« rufen, meinen sie eigentlich »Ich bin das Volk«. Es geht ihnen nicht um ein übergeordnetes Wir, sondern sie wollen ganz egoistisch eine möglichst einfach zu verstehende Welt für sich, in der nichts, was anders ist, Platz hat. Das kann in der globalisierten Welt des 21. Jahrhundert nicht funktionieren. Also klare Antwort: Wir gewinnt!
Stichwort »Palo Alto«. Darin heißt es: »Wir sind unterwegs mit allem, was wir haben. Die Algorithmen zu zerschlagen. Und das die Benzinkanister und Streichhölzer uns gehören. Burn, Palo Alto, burn!« Eine Hymne für die Verlierer der Digitalisierung?
Erik Langer: Der Text basiert auf dem Buch »Das Leben des Vernon Subutex« von Virginie Despentes, das im Paris der Jetztzeit spielt. Es handelt von einem Plattenladenbesitzer, der aufgrund der Digitalisierung arbeitslos wird und schließlich auf der Straße landet. Die Lösung des Problems in unserem Song ist natürlich eine lyrische Überspitzung und nicht ernst gemeint.
Mit Blick auf 2020 – ist die Gesellschaft noch zu retten?
Erik Langer: Ja, Mann! Von den verbitterten Idioten nicht verbittern lassen!
Gibt es eine besondere Geschichte, die Kettcar mit Dresden verbindet?
Erik Langer: Als wir im Jahr 2002 zum ersten Mal mit Kettcar im Dresdner Starclub (heute Beatpol) spielten, kamen genau 36 Leute, und wir waren nach dem Konzert etwas deprimiert. Vor allem, weil die Veranstalter uns an dem Tag so toll umsorgt und letztlich Minus gemacht hatten. Aber die meinten zu uns: »Macht euch keine Gedanken, kommt einfach nächstes Jahr wieder – dann wird der Laden ausverkauft sein.« Wir dachten, sie wollen uns nur etwas aufbauen, aber es kam genau so.
Kettcar sind am 30. Januar live im Alten Schlachthof zu erleben; mehr zur Band unter www.facebook.com/kettcar/