■ Der Dresdner Musiker Demian Kappenstein gilt als exzellenter Jazz-Drummer und Klangbastler, der seine Vielseitigkeit und Experimentierfreude genreübergreifend in verschiedenen Bands und Projekten unter Beweis stellt. Mit dem Ring Trio etwa lädt er sich international geschätzte Gäste in den »Feature Ring« nach Hellerau. Doch ist er auch ein Weltreisender, der mit dem Ensemble Mahaphon Clang, gebildet aus dem deutschen Jazzquartett Lautstark!4 und dem indischen Perkussionisten Ramesh Shotham, Indien und Pakistan bereist und mit Masaa, einem preisgekrönten Projekt mit dem libanesischen Sänger Rabih Lahoud, wurde er nach Ostafrika und in den Libanon eingeladen. Im Gespräch mit DRESDNER-Redakteur Heinz K. erzählt Demian Kappenstein anlässlich der Premiere seines neuesten Soloprogramms »Weit« von seinen weiten Reisen und eindrücklichen Erlebnissen.
Ruanda, Libanon, Zimbabwe oder Pakistan sind ja nun kriegsversehrte, krisengeschüttelte Länder, die Touristen eher meiden. Was zieht dich dahin?
Demian Kappenstein: Ich hab das Gefühl, dass man in diesen Ländern vieles über die Lebens- und Leidensgeschichte von Menschen erfahren kann, wie man sie hier nicht kennt: Wie diese unterschiedlichen Gruppen und Religionen miteinander zusammenleben oder nach Krisen des Zusammenlebens wieder zusammen finden, das finde ich extrem interessant. Viele Probleme dieser Länder gehen ja auf die Kolonialzeit zurück. In Ruanda war etwa das große Problem, dass jeder Stamm seinen Stempel aufgedrückt bekam und sie sich dann nach nach Stammeszugehörigkeit abgeschlachtet haben.
Wie kamen denn diese Reisen zustande?
Demian Kappenstein: Jedes Mal, wenn ich jemanden kennenlerne, der Kontakte in solche Länder hat, versuche ich dorthin zu gelangen. Als wir die Band Masaa mit dem Libanesen Rabih Lahoud in Deutschland gegründet haben, wussten wir, wenn wir mehr zusammen machen, dann kommen wir bestimmt auch in seine Heimat. Für die Reise durch Pakistan und Indien sind wir angesprochen wurden, weil wir einen indischen Perkussionisten in der Band Mahaphon Clang haben. Die Einladung ist im Rahmen des Deutschland-Indien-Jahres passiert. Bei der Ostafrikareise durch Zimbabwe, Ruanda, Mosambik und Äthiopien war es das Goethe-Institut, das Masaa eingeladen hat. Gerade bin ich dabei, Kontakte nach Jordanien zu knüpfen und nach Japan. Japan deshalb, weil es ein anderer Kulturkreis ist.
Musik wird ja gemeinhin als universelle Sprache angesehen. Nun hat aber auch jedes Volk oder jede Volksgruppe eine eigene Musiktradition. Welche Unterschiede hast du da wahrgenommen?
Demian Kappenstein: In jedem Land gibt es vielfältige Traditionen, aber ich kann sagen, dass die Tradition in Afrika, speziell in Ruanda, sehr stark auf Stammeskulturen aufbaut. Dort habe ich Waldpygmäen kennengelernt, die eine unglaublich spannende rhythmische Komplexität entwickelt haben. Ein Pygmäenquintett hat uns etwas vorgespielt und wir ihnen. Das war so ergreifend, dass beide Parteien da saßen und sich die Tränen aus den Augen gewischt haben. In ihrer Musik holen dich Jahrhunderte gelebter Tradition ein. In Indien hingegen wird die Komplexität auf die Spitze getrieben, es gibt nahezu keine Chance, in die indische Klassik hinein zu gelangen. In Zimbabwe haben wir dann mit Soul- und Pop-Künstlern zusammen gearbeitet. Am Ende fragt man sich dann immer, was deine eigene Tradition und Kultur ist.
Das wirst du bestimmt des öfteren gefragt worden sein, oder?
Demian Kappenstein: Ich bringe ja Schrott und Spielzeug mit und spiele ein amerikanisch orientiertes Jazz-Schlagzeug. Dass ich mit gefundenem Schrott Schlagzeug spiele, empfinden die Leute schon als etwas, was sich von ihrer Kultur unterscheidet, ohne zu wissen, ob das hier alle so machen. Ich kann zwar Marschtrommeln imitieren und Walzerrhythmen spielen, aber ich finde, es ist an der Zeit, eigenes Kulturgut zu entwickeln, damit auch eigene Traditionen und Spielweisen weitergeführt und entwickelt werden. Von Deutschland gibt es die Vorstellung, das alles perfekt ist. Und dann kommt plötzlich ein Deutscher und sagt, »du hast doch da eine kaputte Pfanne, kann ich die haben?«
Das Interesse an Deutschland ist also groß?
Demian Kappenstein: Alle lieben Deutschland. Also jeder, den du triffst, sagt: »Germany is great«. Bayern München und Bundesliga, Mercedes oder BMW kennen alle. Die Deutschen gelten als offen und freundlich. Ich weiß nicht, woher das kommt und wie sich das vermittelt.
Wie empfindest du das dann, wenn bei deiner Rückkehr Pegida durch die Straßen marschiert und die Einwanderung eindämmen und die Islamisierung stoppen will?
Demian Kappenstein: Ich bin schon jemand, der die Freiheit, die er hier hat, sehr zu schätzen weiß und mir von einer Regierung oder Religion nicht vorschreiben lassen möchte, wann ich aus dem Haus gehen darf und was ich zu tragen habe, oder dass ich etwa kein YouTube benutzen darf. Die Gefahr, die hier mit der Islamisierung heraufbeschworen wird, sehe ich nicht. Die islamischen Menschen, die in Deutschland leben und sich hier wohlfühlen, haben kein Interesse daran, einen islamischen Staat zu errichten. Was die Stimmung in der Stadt angeht: In den Ländern, die ich bereist habe, war es immer so: die Leute kommen auf einen zu und sagen: »Ey, du siehst anders aus als ich. Wo kommst du her? Können wir ein Foto machen und was weiß ich eigentlich über dein Land?« Und wenn ich mir jetzt vorstelle, dass da irgendwo am Postplatz oder am Altmarkt jemand eine abgefahrene Frisur hat und komplett anders aussieht als wir, dann kommt sicher kaum jemand auf die Idee, zu sagen: »Hey, cool, wo bist du eigentlich her und warum siehst du so aus?« Da frage ich mich, warum das so ist, wo doch die anderen Kulturen so viel zu Geben haben und eigentlich unsere Neugier wecken müssten.
Wie spiegeln sich denn diese Erfahrungen in deiner Musik wieder?
Demian Kappenstein: In der Gleichzeitigkeit von ganz fürchterlichen Dingen und ganz tollen menschlichen Erfahrungen. Zum Beispiel Ruanda: Die Menschen, die zur Zeit des Genozid 1994 ganz schlimme Sachen erlebt haben, betreiben jetzt gemeinsame Geschäfte oder gründen zusammen einen Fußballverein. In Pakistan haben wir in einem Puppenmuseum gespielt, einer Oase der Kultur, und parallel dazu gehen ein paar Straßen weiter die Bomben hoch.
Masaa, Mahaphon Clang, Feature Ring, und nun das neue Solo-Projekt »Weit«. Was verbindet deine Projekte miteinander?
Demian Kappenstein: Ich habe den ganzen Tag Ideen. Und wenn ich die nicht in so viele Projekte und Konzerte packen könnte, dann würde ich vermutlich platzen. Das Schöne ist, dass es sehr viele Menschen, auch hier in Dresden gibt, die es schätzen, dass sie zehn Minuten mit der Bahn fahren und dann jemand gebracht bekommen, der sehr weit gereist ist und sich sehr viel Mühe gegeben hat, seine Sachen zu schreiben und ihnen dann vorstellt und damit einen Eindruck von einem anderen Leben oder anderen Regionen vermittelt. Das ist ein anderes Eintauchen als eine Internetseite, und ich merke so oft, wie unvollständig meine eigene Sicht auf politische Gegebenheiten in anderen Ländern ist. Ich muss meine Meinung immer revidieren, wenn ich mit einem Gast, einem Künstler spreche, egal aus welchem Land.
Was erwartet die Zuhörer denn bei deiner Suite für Schlagzeug, Elektronik und Fotografie?
Demian Kappenstein: Der Medienkünstler Benjamin Schindler wird meine Fotografien der Reisen auf eine zwei Meter im Durchmesser große Kugel projizieren. Ich wollte gerne die Bildebene mit der Musik verbinden. Es werden kleine Bild-Details aus dem jeweiligen Land, was gerade bespielt wird, projiziert, und ich werde dazu etwas erzählen; etwa über den Taifun, den ich in Taiwan erlebt habe. Dieses Stück ist auch aufgebaut wie ein Taifun, es gibt Kammern und das ruhige Auge des Taifuns. Eine Naturkatastrophe war also in diesem Fall die Inspiration, mich dem Thema zu nähern.
Demian Kappenstein: »Weit«, Suite für Schlagzeug, Elektronik und Fotografie, am 19. April um 20 Uhr im Societaetstheater; mehr zum Künstler: www.demianKappenstein.de