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Mit der 3D-Kamera in die Seele blicken – Wim Wenders im Interview zu »Every Thing Will Be Fine«
Wim Wenders im Interview zu »Every Thing Will Be Fine«
■ Was 3D gibt, muss man den Darstellern nehmen. Wenders neuer Film wird zum Dialog zwischen moderner Kameratechnik und klassischem Schauspiel, dem buchstäblich mehr Raum gegeben wird. So wird Wenders Charakterstudie für den Zuschauer unmittelbar spürbar. Ein Zustand, den sicher nicht jeder im Kino ertragen will. DRESDNER-Autor Martin Schwickert sprach mit Regisseur Wim Wenders (Copyright Foto: Donata Wenders) vor dem offiziellen Start über seinen Film.

»Every Thing Will Be Fine« erzählt von den psychischen Folgen eines Autounfalls, bei dem ein Kind ums Leben kommt. Obwohl den Fahrer juristisch gesehen keine Schuld trifft, überschattet der Unfall sein Leben nachhaltig. Was hat Sie am Thema »Schuld« interessiert, dass Sie ihm einen ganzen Film gewidmet haben?

Wim Wenders: Schuld ist ein sehr negatives Gefühl, das die eigene Seele auffressen kann. Es nimmt einem den Lebensatem. Um darüber hinweg zu kommen, braucht man Hilfe und Gesten der Vergebung von Anderen. Schuld besteht ja hauptsächlich aus Selbstvorwürfen und hat nicht unbedingt etwas mit dem zu tun, was andere von einem denken. Anderen zu vergeben, ist meistens einfacher als sich selbst zu vergeben. Vergebung ist eines der großzügigsten Dinge, die man in sich finden kann. Und wenn man es gefunden hat, bereichert es das Leben und die eigene Persönlichkeit ungemein.

Sie beschreiben anhand der Figur des Schriftstellers Tomas Schuld als ein eher schleichendes Gefühl. Warum haben Sie sich für diesen eher verhaltenen Blick entschieden?

Wim Wenders: Auch wenn Tomas es nicht zeigt, geht dieser Mann durch die Hölle. So etwas will kein Mensch durchmachen. Selbst wenn er sich nicht die alleinige Verantwortung für den Unfall geben muss. Der Hergang lässt sich nicht restlos aufklären. Es war ein ganz kurzer Moment der Unaufmerksamkeit, aber wahrscheinlich hätte er den Unfall auch nicht verhindern können, wenn er aufgepasst hätte. Aber es bleiben viele offene Fragen. Auch der ältere Bruder wird davon verfolgt. Er fragt sich, ob er auf seinen Bruder besser hätte aufpassen sollen. Mit diesem Trauma müssen alle Beteiligten einen Umgang finden. Es geht immer wieder um dieses schreckliche »Was wäre wenn?«

Gibt es einen persönlichen Grund, warum Sie diese Geschichte fasziniert hat?

Wim Wenders: Ja, ich musste mich an einem Punkt in meinem Leben mit der Frage der Schuld auf ähnliche Weise auseinandersetzen wie Tomas. Ich war zwar nicht direkt verantwortlich, aber ich war in die Situation involviert. Außerdem steht man als Filmregisseur berufsbedingt immer stark in der Verantwortung. Besonders wenn man mit Kindern arbeitet und noch stärker bei Dokumentarfilmen. Aber manchmal fühlt sich dieses Verantwortungsgefühl auch gut an, etwa wenn die alten Männer in »Buena Vista Social Club« durch meinen Film im Alter von 85 noch so bekannt wie die »Beatles« wurden.

In »Pina« haben Sie 3D für den Dokumentarfilm entdeckt. Warum haben Sie auch dieses intime Drama in 3D gedreht?

Wim Wenders: Ich hatte den ersten Skriptentwurf von Bjørn Olaf Johannessen bekommen, bevor die Dreharbeiten zu »Pina« begannen. »Pina« war von dem Glauben angetrieben, dass Tanz und 3D zusammen gehören. Erst am Ende des Filmes habe ich eine Szene gedreht, in der es nicht um Tanz ging, sondern um die Gesichter der Tänzer. Mit diesen Nahaufnahmen habe ich realisiert, dass Gesichter in 3D eine Präsenz besaßen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Wie durch ein Vergrößerungsglas sah man jede Emotion in ihnen. Das war die Geburtsstunde für »Every Thing Will Be Fine«, in dem ich dieses filmische Mittel für eine dramatische, intime Geschichte benutzen wollte. Durch 3D hat das Publikum fast das Gefühl, dass es die Figuren anfassen kann und mit ihnen gemeinsam den Raum teilt. Und die Story war ideal dafür, weil sich die Hauptfigur ja etwas bedeckt hält, während die 3D-Kamera direkt in ihre Seele schaut. Aber man muss natürlich sehr aufpassen, weil jede Form von »Overacting« in 3D gnadenlos entblößt wird. Man muss seine Schauspieler herunterkühlen. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich James Franco zu sehr zurückgenommen habe. Aber als ich die Szenen dann im Vorführraum anschaute, war alles, was ich wollte, auf der Leinwand zu sehen.
Besten Dank für das Gespräch!

»Every Thing Will Be Fine«, BRD/Kanada/Schweden/Norwegen 2015, Regie: Wim Wenders, mit James Franco, Charlotte Gainsbourg, Rachel McAdams, ab 2. April in Ufa-Palast, Cinemaxx, Schauburg (2D); mehr zum Künstler unter: www.wim-wenders.com/ Trailer unter: www.youtube.com/watch?v=g9LnLOR3_ks

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