DRESDNER Interviews / O-ton!
Man hasst leider immer noch – Tocotronic im Interview – Copyright Foto: Michael Petersohn
Tocotronic im Interview – Copyright Foto: Michael Petersohn
■ Liebe als Konzept. Das und nicht weniger haben sich Tocotronic auf ihrer letzten Platte vorgenommen. Das rote Album ist seit Mai auf dem Markt und Fans wie Kritiker sind sich längst einig, dass sie dieses Vornehmen vortrefflich gewuppt haben. Jetzt ist die Band unterwegs, um Songs samt Botschaft in die Hallen zu tragen. Vor dem hiesigen Konzert hat DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl bei Schlagzeuger Arne Zank nachgehakt, wie es bei einem so großen Thema mit Respekt vor der Materie aussieht, ob Unzufriedenheit als kreativer Motor noch wichtig ist und wie man es mit dem Hass als Abwesenheit von Liebe hält.

Euer aktuelles Album hat sich das Konzept »Liebe« auf die Fahnen geschrieben. Hattet ihr kurz Bedenken, euch einem so großen Thema anzunehmen?

Arne Zank: Ach klar. Über Liebe wurde ja schon sehr viel geschrieben. Insofern empfand man das schon als eine schwierige Aufgabe, ob einem auch etwas dazu einfällt. Das Thema ist dann aber wie ein Leitfaden, an dem man recherchieren und forschen kann.

Macht man sich auch als Schlagzeuger von vornherein Gedanken, wie man Songs dem Thema entsprechend arrangiert, oder entsteht das Thema durch die Songs und irgendwann wird dann ein Konzept sichtbar?

Arne Zank: Eher Letzteres; man guckt nach der Idee weiter. Hinterm Schlagzeug habe ich jetzt nicht so wahnsinnig viel an Liebe denken müssen, außer, dass ich sowieso immer sehr liebevoll spiele. Das war also keine Umstellung. Generell schaut man sich aber natürlich die Songs an und wie man sie haben will. Das war diesmal gar nicht so einfach. Wir haben viel diskutiert, gesucht und gefunden. Um zu schwadronieren: ich befürchte, man hört es, wenn man liebevoll an Musik arbeitet.

Fühlt Tocotronic als linke Institution nach der Beschäftigung mit der Liebe und angesichts der Situation im Land das Verlangen, den Finger in die Wunde zu legen und zu besingen was derzeit alles schief läuft – vielleicht sogar beim nächsten Album?

Arne Zank: Vielleicht, aber es ist schwer zu sagen. Ich bin ja kein Astrologe, kann nicht deuten und nicht in die Zukunft schauen. Bei uns ist es aber schon lange ein Thema, auch anhand des Zweifels an den eigenen Fähigkeiten, ob man wirklich explizit tagesaktuell ein brisantes Thema aufgreift und dazu ein Stück macht. Das haben wir nie so gemacht und haben uns auch nie getraut. Man hat da Respekt vor, weil man sich selber als jemand einschätzt, der das nicht so gut kann. Aber natürlich beschäftigt einen das gerade. Die Flüchtlingspolitik ist ein sehr weites und wichtiges Thema. Das es die große Aufmerksamkeit erfährt, die es gerade hat ist auf jeden Fall nicht so schlecht.

Gerade in Dresden, aber auch andernorts spaziert in Deutschland in der letzten Zeit auch oft das Gegenteil von »Liebe« – nämlich der Hass. Glaubst du generell, dass Kunst oder Musik immer noch die Kraft besitzt gesellschaftliches zu verändern?

Arne Zank: Immer noch hieße ja, sie hätte es gehabt. Einerseits hat man ganz oft das extreme Bedürfnis Stellung zu beziehen, wie beispielsweise bei schrecklichen Sachen, wie den Dresdner Pegida-Demonstrationen. Man will irgendwas machen. Weil einen das so empört und tatsächlich auch verstört. Auf der anderen Seite finde ich die Vorstellung, dass unsere Musik direkte Auswirkungen hätte besorgniserregend.

Was war in deiner Jugend die Band, welche dich mit ihren Slogans so berührt hat, dass sie dich zum demonstrieren auf die Straße gebracht hat?

Arne Zank: Ich überlege gerade so herum. Ich sage mal Die Toten Hosen, weil ich das eine ganz lustige Antwort finde und weil es die erste Band war, die ich wirklich als Punkrock wahrgenommen habe und mit der ich mich damals zusammen mit Jan Müller sehr beschäftigt habe. Ich kann und werde denen jetzt aber nicht wirklich attestieren, dass sie mich zu Demonstrationen gebracht haben. Natürlich haben einen Bands wie Slime aus Hamburg aber zu politischen Themen gebracht. Das sind also zwei Kandidaten, die ganz gut für verschiedene Richtungen stehen. Die Hosen haben ja mit »Fun-Punk« angefangen und dann wiederum Slime, bei denen auch sehr radikale Demo-Parolen vertont wurden.

Unzufriedenheit und Wut scheint ja auch bei Tocotronic seit jeher ein treibender Motor zu sein. Wie schwierig ist es diese als treibende Kraft Musik zu schaffen über elf Alben aufrecht zu erhalten und zu verspüren? Wird man irgendwann milder und sucht sich andere Wege?

Arne Zank: Die Hoffnung, das man irgendwann altersmilde wird habe ich als gerade 45 gewordener irgendwie aufgegeben. Man hasst leider immer noch sehr viel und regt sich über sehr viel auf. Wie wir damit aber umgehen, hat sich verändert. Auf Platten wurde ja auch ganz viel postmodern thematisiert, wie man mit Abgrenzung umgeht, oder nicht mehr umgehen kann und ob das überhaupt noch die richtige Strategie ist.

Was oder wen hasst du persönlich gerade?

Arne Zank: Mich selbst am allermeisten. Darauf läuft es doch letztendlich hinaus, sage ich jetzt mal so altersweise.

Worauf freust du dich bei der anstehenden Tour am meisten?

Arne Zank: Hauptsächlich auf die Konzerte, auf das »danach« und »davor«. Obwohl das »davor« oftmals sehr anstrengend ist, weil man doch immer noch sehr aufgeregt ist. Für uns sind das jetzt die ersten richtigen Konzerte, bei denen wir das Album präsentieren. Da freue ich mich drauf.
Vielen Dank für das Gespräch!

DRESDNER Kulturmagazin präsentiert: Tocotronic am 6. November im Alten Schlachthof. Mehr zur Band: www.tocotronic.de

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