■ Die Leipziger Autorin Ronya Othmann wurde 1993 in München als Kind einer deutschen Mutter und eines kurdisch-jesidischen Vaters geboren. Für ihre Geschichten, Gedichte und Essays erhielt sie zahlreiche Preise, darunter den Publikumspreis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs. In ihren Texten kommt sie immer wieder auf die Geschichte des väterlichen Teils ihrer Familie, den Krieg und die Verfolgungen der Jesiden zurück, deren Siedlungsgebiet dort liegt, wo die Grenzen der Türkei, Syriens und Iraks aufeinanderstoßen. Für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung schreibt sie die Kolumne »Import Export«. DRESDNER-Redakteurin Annett Groh sprach mit Ronya Othmann im Vorfeld ihrer Lesung in der Zentralbibliothek.
Du bist für unpopuläre Ansichten und die Auseinandersetzung mit Reizthemen wie Islamismus und Unterdrückung der Kurden bekannt. Woran liegt es deiner Meinung nach, dass diese Themen eher mit spitzen Fingern angefasst werden?
Ronya Othmann: Ja, so lange noch Islamisten ihr Unwesen treiben und Kurden nicht in Ruhe Kurden sein können, muss man über diese Themen sprechen. Islamisten und Nationalisten schmeckt das nicht. Auch in Deutschland schüchtern Erdogan-Anhänger Kritiker ein, um sie zum Schweigen zu bringen. Jedoch gibt es das Phänomen auch in Kreisen, die sich selbst als progressiv verstehen: Man meidet diese Themen aus Angst, von der falschen Seite Applaus zu bekommen. Islamistische Akteure benutzen den Vorwurf des antimuslimischen Rassismus ja auch gezielt, um Kritik am Islamismus zu diffamieren. Außerdem fehlt es oft an konkretem Wissen. Das ist aber nötig, um Islamismus erst als solchen zu erkennen und Kritik daran differenziert vorzubringen. Viele wissen nicht einmal, dass der Moscheeverein DITIB der türkischen Religionsbehörde Diyanet, und die wiederum direkt Erdogan untersteht.
Wenn Du schreibst: an welchem Punkt entscheidet es sich, ob du an ein Thema journalistisch oder literarisch herangehst?
Ronya Othmann: Das steht meist schon am Anfang fest. In einer Kolumne, einer Reportage kann ich etwas machen, was ich im Roman und im Gedichtband nicht kann, und umgekehrt. Im Journalismus muss man natürlich in erster Linie journalistische Standards einhalten. Und Journalismus ist ja auch viel kurzlebiger. Man schreibt, drei Tage später steht es in der Zeitung. Die Zeitung wird gelesen, und drei Tage später landet sie im Altpapier. Und online ist es ja auch so. Wer druckt sich schon Artikel aus, heftet sie ab und stellt sie sich ins Regal?
Literatur ist hingegen die große Freiheit, es geht um Sprache und um Form. Manche Themen will ich nicht in einem 300-Seiten-Roman ausbreiten, und für manches reicht keine 5.000-Zeichen-Kolumne.
Was macht »politisches literarisches Schreiben« für dich aus? Gibt es auch eine unpolitische Version von dir?
Ronya Othmann: Ich habe nicht irgendwann beschlossen, politisch zu schreiben. Das Politische kam ins Schreiben, wie es auch in mein Leben kam. Mir wäre es am liebsten, ich hätte mit all dem nichts zu tun. Ich denke auch nicht darüber nach, wenn ich zum Beispiel Gedichte schreibe. Ich schreibe über Pflanzen, und dann kommt der Olivenbaum in mein Gedicht. Und ich muss daran denken, dass Erdogan seinen Krieg 2018, als er im kurdischen Afrîn einmarschierte, »Operation Olivenzweig« nannte. Im Grunde gibt es für mich kein politisches Schreiben – es gibt nur Schreiben.
Du wirst häufig über Identitätsthemen eingeladen, so auch jetzt in Dresden im Rahmen der »internationalen Wochen gegen Rassismus«. Wie geht es Dir mit solchen Labels wie »postmigrantische Autorin«?
Ronya Othmann: Als ich für die Veranstaltung angefragt wurde, habe ich mich gefreut, gemeinsam mit Ralph Tharayil zu lesen. Ich mag seine Texte sehr. Und dann halt »postmigrantisch«. Wieso nicht? Hauptsache, es geht um Literatur. Nein, ich habe kein Problem damit. Ich finde es sogar sehr wichtig, dass es solche Veranstaltungen gibt wie die »internationalen Wochen gegen Rassismus«. Und so lange »Identität« nicht als etwas Essentialistisches, Feststehendes verstanden wird.
Zwei Schlüsselthemen in deinen literarischen Texten sind Erinnerung und Verlust. Wird der Schmerz kleiner, wenn man es schafft, sie aufzuschreiben? Hast du je das Gefühl, ein Thema abgeschlossen zu haben?
Ronya Othmann: Nein, das glaube ich nicht. Ich schreibe auch nicht, um irgendwas zu verarbeiten. Und ob ich mit einem Thema abgeschlossen habe – ich brauche zeitlichen Abstand, um das beurteilen zu können.
Am 3. April, 19.30 Uhr, findet in der Zentralbibliothek die Tandemlesung »wovon du weißt, wenn du deine augen schließt« mit Ronya Othmann und Ralph Tharayil statt. Mehr zur Autorin: www.ronyaothmann.com/