■ Im Interview mit DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl spricht Jen Bender, die Frontfrau der Berliner Live-Sensation, über das aktuelle Album, Druck nach der »Fickt-Euch-Allee«, und was man tun sollte, um Musikkultur am Leben zu halten.
Stimmt es, dass ihr euer 20. Jubiläum im letzten Jahr verschlafen habt?
Jen Bender: Ja, das haben wir verpennt. Im Nachgang finden wir aber durchaus triftige Gründe, warum das Universum das so gemacht hat. Ein 23 1/3 Jubiläum passt eh besser zu uns.
Hattet ihr damals schon im Hinterkopf, dass das was werden kann oder habt ihr einfach drauflos gemacht und seid überrascht, dass ihr heute immer noch am Start seid?
Jen Bender: Letzteres. Es ist der totale Wahnsinn. Ich nenne es immer den göttlichen Feenstaub. Du kannst ja noch so diszipliniert, gut, leidenschaftlich und mit Talent gesegnet sein, am Ende des Tages brauchst du Glück. Die richtige Zeit, der richtige Ort, und dann muss noch irgendein Zufall um die Ecke kommen. Das kannst du nicht planen. In diesen 20 Jahren gab es so wahnsinnig viele interessante und tolle Künstlerinnen, die es einfach nicht geschafft haben. Es ist also überhaupt nichts selbstverständlich, und ich bin einfach nur baff.
Damals gab es noch kein Facebook und kein Spotify!?
Jen Bender: Als wir anfingen, gab es noch gar nichts. Zum Glück kam dann relativ schnell MySpace. Dadurch und FM4 in Österreich wurde der Song »Ich muss gar nix« zum Hit. Ohne den Bums hätte es uns wahrscheinlich gar nicht gegeben. Wir waren gerade aus der Plattenfirma geflogen, bevor wir überhaupt ein Album herausgebracht hatten. Dann kam dieses Internet, und wir waren plötzlich die deutsche MySpace-Band.
2015 dann der große Erfolg mit »Fickt-Euch-Allee«. Wie groß war danach die Herausforderung, sich dem Druck zu entziehen?
Jen Bender: Das war auf jeden Fall ein Thema. Ich bin ja sowieso immer damit beschäftigt, den eigenen Erwartungsdruck von mir wegzuhalten. Der setzt oft genug an anderen Stellen ein. Da rede ich nicht von Monetärem, sondern eher von der Verantwortung, die mit alldem einhergeht. Damals ist etwas passiert, das wir überhaupt nicht gecheckt haben und ich bis heute nicht ganz begreife. Wir haben ja eigentlich nichts anderes gemacht als vorher, aber plötzlich wirst du ernst genommen, und die Leute glauben, dass du weißt, was du tust. Da ist es ratsam, die Dinge nicht zu nah an sich heranzulassen.
Das Spektrum eures siebten Albums »Über Icke« reicht von Party bis zu nachdenklichen Momenten. Ergibt sich das eher zufällig oder habt ihr von vornherein Vielschichtigkeit auf dem Plan und verwerft auch mal Sachen, wenn sie sich beispielsweise zu ähnlich sind?
Jen Bender: Es passiert schon mal, dass wir etwas verwerfen, um uns nicht zu wiederholen. Da gehen wir aber nie mit irgendeinem Plan oder Konzept ran. Dadurch, dass wir ein eigenes Studio haben, können wir warten, bis uns die Muse küsst. Das braucht manchmal eine Weile. Dabei ballern wir unglaublich viel Output. Raphael und ich schreiben die Songs und produzieren sie weitestgehend. Wenn man sich so lange kennt, sagt man nichts mehr durch die Blume. Wir sind mittlerweile an einem Punkt, an dem wir relativ früh merken, ob eine Idee sinnvoll ist oder nicht. Wichtig ist, dass wir einen Song am Ende des Tages nochmal hören wollen. Ich will mich nicht langweilen, und das passiert wahnsinnig schnell. Daraus resultiert die Vielschichtigkeit, von der du sprichst.
Der Abgehfaktor eurer Shows ist legendär. Steht beim Schreiben der Live-Aspekt im Vordergrund?
Jen Bender: Immer. Wir sind auf jeden Fall eine Live-Band. Es gibt zwar hier und da Nummern, die von vornherein nicht für die Bühne bestimmt sind, aber grundsätzlich ist alles darauf ausgerichtet.
Der Song »Ich kündige« feiert mit Millionen Klicks auf YouTube und Kommentaren in vielen Sprachen international Erfolge. Was war dein bislang nervigster Job?
Jen Bender: Da gab es viele, ich war aber immer mit dem Privileg gesegnet, auch wieder schnell etwas anderes machen zu können. Vom Flyerverteilen über Kneipe und Service war alles mit dabei. Die mitunter ätzendsten Jobs waren schnöde politische Veranstaltungen, bei denen ich mit dem Weintablett herumgelaufen bin. Auf der strukturellen Ebene war das ähnlich klassifiziert wie auf der Titanic. Am Ende bekommst du ein dickes Trinkgeld von irgendeinem versifften alten Arsch in deine Brusttasche gesteckt. Da war schon echt viel Scheiß dabei. Mein Lieblingsjob war tendenziell der in der Eckkneipe, auch wenn man da eine Mischung aus Schwester, Mutter und Therapeutin sein musste. Der Song geht aber tiefer, da gibt es noch eine Metaebene.
Das allgemeine Kündigen in allen Lebenslagen?
Jen Bender: Richtig. Wenn zum Beispiel dein Kind am Sonntag um 4:30 Uhr am Bett steht und unterhalten werden will. Auch während der Matheklausur kann man schnell mal Schluss mit lustig denken. Die innere Konsequenz, selbst wenn sie nicht nach außen durchgeht. Das zieht sich doch durchs komplette Leben.
Gehören die Brüche im Sound zur DNA der Band? Auf dem aktuellen Album ist die stilistische Vielfalt des Stücks »Da lang« hierfür ein gutes Beispiel ...?
Jen Bender: Im Text von »Da lang« geht es um Entscheidungsschwierigkeiten. Also haben wir uns auf allen Ebenen nicht entschieden und das auch musikalisch konsequent umgesetzt. Einen chansonetten Alt-Berliner Flair hatten wir ja immer schon in unseren Melodien. Der wurde jetzt ausgereizt. So war das bei allen Parts: Lass es uns auf die Spitze treiben und maximal Fun haben. Und wenn ich Bock auf Jazz habe, dann wird das halt Free Jazz. Brüche sind immer ein Resultat der Herausforderung, dass wir uns selber eben nicht langweilen. Da spielt sicher auch Trotz eine Rolle. In einer Zeit, wo Songs immer länger wurden, haben wir unsere Stücke alle unter drei Minuten gemacht. Es ist uns auch komplett egal, ob man mit der Hook anfangen soll und kein langes Intro haben darf. Warum machen wir das so? Weil wir es können. Fertig.
Das Wort zum Schluss?
Jen Bender: Wenn ihr auf Bands steht und wollt, dass die weiterhin Musik machen, dann geht auf die Konzerte, kauft Tickets, Merch und Tonträger wie Vinyl oder CDs. Das ist es, wovon Künstlerinnen ihre Existenz bestreiten und im besten Fall sogar noch ihre Miete bezahlen können. Findet das nicht mehr statt, gibt es auch keine neue Musik mehr. Wenn ihr das Ding dann trotzdem auf Spotify hört, völlig egal. Ist auch nicht so, dass da nichts von abfällt, ist halt einfach eine scheiß Verteilung.
Grossstadtgeflüster spielen am 28. Juni 2024 auf dem Open-Air-Areal der Tante JU, An der Schleife 1. Mehr zur Band unter www.grossstadtgefluester.de/