■ Vor zwölf Jahren hat Andrea Hilger die Ostrale mit ins Leben gerufen und so den Boden für die drittgrößte zeitgenössische Kunstausstellung in Deutschland bereitet. Seitdem werden hunderte nationale und internationale Künstler jährlich für die Teilnahme an der Ostrale eingeladen, die heute als Biennale in zweijähriger Form veranstaltet wird. Unter dem Motto »ismus« werden Kunstwerke ab 11. Juni an acht dezentralen Orten ausgestellt, ab dem 3. Juli auch am neuen Kernort, der Historischen Tabakfabrik in Striesen. Trotz internationaler Aufmerksamkeit musste die Ostrale zuletzt um ihre Existenz fürchten. DRESDNER-Autorin Laetizia Praiss sprach vorab mit Ostrale-Leiterin Andrea Hilger über die verschiedenen Ausstellungsorte, die kurzfristige Rettung und die ungewisse Zukunft.
Die diesjährige Ostrale Biennale steht unter dem Motto »ismus«. Was ist darunter zu verstehen und wie wird das künstlerisch aufgegriffen?
Andrea Hilger: Der diesjährige Leitgedanke beschäftigt sich mit selbstgemachten Ideologien, sogenannten »ismen«. Wir versuchen offen mit dem Thema umzugehen und in der Kuration einzuschränken. Das bedeutet, die Kuratoren haben aus den eingeladenen Werken insgesamt acht »ismen« herausgesucht und einander gegenübergestellt. Zugunsten einer strukturierten Beschäftigung mit »ismen« wurden die kuratierten Arbeiten in acht thematische Bereiche strukturiert: Ideologismus, Terrorismus, Territorialismus, Naturalismus, Feminismus, Animismus, Konsumismus und Dystopismus.
Aber die ausgestellte Kunst wird nicht nach Themen sortiert?
Andrea Hilger: Das können die Museen machen. Wir dürfen damit brechen und tun das auch sehr gerne (lacht). Es wird mehr nach Gegenüberstellungen sortiert. Dabei spielt die Kommunikation zwischen den Kunstwerken im Raum eine Rolle. Oft ergibt sich eine Spannung zwischen zwei Themen, die miteinander wieder ein neues Thema aufmachen. Diese Mischung der Genres ist uns schon immer wichtig gewesen. In der Tabakfabrik haben wir kleinere Räume, aber die gleiche Fläche wie in den Futterställen, also kann es schon mal vorkommen, dass nur Bilder in einem Raum sind, aber das ist selten der Fall.
An welchen Orten wird es ab dem 11. Juni spannende Interventionen geben?
Andrea Hilger: An allen Orten (lacht). Die dezentralen Orte sind an sich schon spannend. Die Gedenkstätte an der Bautzner Straße etwa behält all ihre Exponate und wir generieren etwas Neues dazu. Daraus entsteht ein Kontext, in dem ich im Hier und Jetzt bin, der mich aber wieder in die Vergangenheit und gleichzeitig auch in die Zukunft bringt. Genauso im Goethe-Institut, wo man sich in einem Raum der Begegnung befindet. Ich sage immer, Kunst ist die einfache Sprache, die keine Worte braucht und das Goethe-Institut hat die wissenschaftliche Sprache, die sie weltweit vermitteln möchte. Da entsteht eine bestimmte Ebene. Im Ausländerrat ist auch ein interessanter Kontext entstanden, weil dort im oberen Bereich die Auffangräume für die Menschen sind, die neu ins Land kommen, während sich unten im neu entstandenen Galerieraum Künstler mit den Themen Menschen- und Frauenrecht und Migration auseinandersetzen.
Welche Möglichkeiten bietet der Standort, die Tabakfabrik, räumlich und architektonisch der Ostrale?
Andrea Hilger: Die Fabrik wurde zu einem Bürogebäude umgebaut. Als ich die Büros am Anfang gesehen habe, war ich nicht begeistert, weil ich es langweilig finde, wenn alle Räume gleich sind. Aber wenn man durch die Fabrik läuft und die vielen kleinen Büroeinheiten durchquert, öffnen sich auf einmal große Räume, die alle unterschiedlich sind. So was ist immer spannend für eine Ausstellung.
Was ist im Moment das Wichtigste?
Andrea Hilger: Aufgaben abarbeiten. Wir sind keine Anfänger, aber wir wissen alle, dass wir nur noch anderthalb Monate haben, bis alles geschafft sein muss. Im Vergleich: Für das Messekonzept haben wir und die Kuratoren anderthalb Jahre gebraucht. Nun mussten Antka Hofmann und ich uns eine Woche in der Tabakfabrik zusammensetzen und das ganze Konzept anpassen.
Welche Hoffnungen verbinden Sie mit der Beschlussempfehlung der Dresdner Stadträte, die anfallenden Kosten für den Umzug in diesem Jahr zu tragen?
Andrea Hilger: Meine Hoffnung ist, dass die Stadträte nach dieser kurzfristigen Rettungsaktion eines verstanden haben: Im nächsten Jahr wird wieder eine Entscheidung fallen müssen. Am 15. Oktober sind wir hier raus, also wird am 3. Juli weitergeredet. Ob die Futterställe nach den ganzen Baumaßnahmen, die momentan laufen, noch relevant für uns sein werden, wissen wir nicht. Die Robotron-Kantine ist auch im Gespräch.
Sollte die Landeshauptstadt Dresden nicht mehr tun für die zeitgenössischen Künste, oder setzt sie sich schon genügend ein?
Andrea Hilger: Die Stadt Dresden ruht sich zu sehr auf dem aus, was sie hat. Wir haben hier natürlich auch tolle Sachen, aber es ist doch sehr theater- und musiklastig. Die zeitgenössische Kunst hat noch nicht die Wahrnehmung, die sie bräuchte. Mit mehr Aufmerksamkeit auf zeitgenössische Kunst schaffe ich natürlich auch eine größere Daseinsberechtigung etwa für Galerien, Käufer, Sammler und Interessierte.
Würden Sie sagen, dass die Ostrale es geschafft hat, im heutigen Zeitgeschehen ihren internationalen Stellenwert in Richtung »Moderne« auszubauen?
Andrea Hilger: Nach außen ja, nach innen nein. Als etwa die Stadtratssitzung lief, haben Israel, Italien, Nairobi und Kenia mitgefiebert. Wir haben also ein großes internationales Publikum, wenn es um die Ostrale geht. Das ist unserer Stadt nur leider nicht bewusst. Dieses Jahr haben wir hier aber viel erreicht. Die zeitgenössische Kunst wird immer wichtiger, weil sie in Gefahr gerät.
Die Ostrale Biennale 019 findet vom 3. Juli bis 1. September am Hauptort in der ehem. Tabakfabrik f6 in Striesen statt; die dezentrale Kunstausstellung öffnet bereits ab 11. Juni an diversen Orten im Stadtgebiet; www.ostrale.de