■ Unter dem Motto »re_form« startet die Ostrale dieses Jahr in die elfte Runde. Dabei schien die Zukunft der internationalen Ausstellung für zeitgenössische Kunst zuletzt ungewiss, weil die genutzten Räumlichkeiten der ehemaligen Ehrlwein-Futterställe auf dem Messegelände dringend sanierungsbedürftig sind. Grund genug für DRESDNER-Autorin Marlen Hobrack, die Leiterin der Ostrale, Andrea Hilger, zu treffen und sie nach der Zukunft der Ausstellung sowie der Situation der Gegenwartskunst zu befragen.
Frau Hilger, kann Kunst Reformprozesse in Gang setzen? Und wenn ja, wie?
Andrea Hilger: Künstler stehen genauso in der Mitte der Gesellschaft wie alle anderen Personen. Aber der Künstler kann durch sein spezifisches Empfinden eine Situation anders analysieren, Themen aufgreifen und durch seine Kunst zum Nachdenken anregen. Dadurch kann beim Rezipienten ein Umdenken entstehen. Eine gesellschaftliche Veränderung kann durch Kunst sicher nicht alleine bewerkstelligt werden, aber eine Anregung zur Veränderung ist Kunst allemal und in allen Epochen gewesen.
Immer dann, wenn die Welt vor kritischen Situationen stand, veränderte sich die Kunst. Das sieht man in krisengebeutelten Zeiten wie zum Beispiel in den 30 Jahren oder auch jetzt, wenn man auf die Kunst des Mittelmeerraums oder der Ukraine schaut. Künstler ahnen bestimmte Entwicklungen sozusagen »voraus« und geben somit einen Seismographen. Politiker, Bürger etc. müssen also nur besser hinschauen, die Intuitionen aufnehmen und daraus Handlungsstrukturen entwickeln. (Siehe Otto Dix in den 30er Jahren oder ganz aktuell Manaf Halbouni auf dem Dresdner Neumarkt.)
Täuscht der Eindruck, oder blicken viele Künstler derzeit eher zurück auf »alte Meister« und Vorbilder, während das Ziel, Avantgarde zu sein, eher in den Hintergrund tritt?
Andrea Hilger: Eine Avantgarde entsteht immer, wenn »die Kacke am Dampfen ist«. Uns geht’s noch zu gut! Allerdings bedeutet ein Rückgriff oder Rückblick auf die Kunstgeschichte nicht, dass Künstler nostalgisch sind. Durch den Rückblick auf die Vergangenheit eröffnet sich sozusagen auch ein Vorblick auf das Jetzt. Was sagte uns der Künstler damals, und was bedeutet das für das Jetzt? Allerdings muss man auch sagen: Da, wo die politische Situation derzeit besonders brisant ist – denken Sie an Iran, Irak oder die Ukraine – da ist auch die Kunst in ihrer Ausdrucksform besonders stark, provokativ, nachhaltig nachdenkend, direkt.
Sind Sie denn zufrieden mit den Besucherzahlen und der Zahl an Menschen, die Sie mit der Ostrale erreichen?
Andrea Hilger: Natürlich würden wir gerne noch mehr Menschen erreichen, aber das ist alles auch eine Frage des Marketings, der Werbung und des Geldes. Im Moment haben wir circa 25.000 Besucher jährlich. Das ist immer noch wenig im Vergleich zur Documenta oder den Biennalen, aber wir sind sehr zufrieden mit den Zahlen. An den Wochenenden ist die Ostrale schon richtig voll, da könnte man gar nicht noch mehr Besucher stemmen. Im Grunde müssten wir noch länger öffnen, um noch mehr Besucher anziehen zu können. Gerade bei Schulklassen sind unsere Angebote extrem beliebt. Wir hatten im letzten Jahr 464 Schulklassen hier, Tendenz steigend. Da ist ein regelrechter Selbstläufer entstanden, und manchmal fragen wir uns schon: »Wie sollen wir das eigentlich alles in zwei Monaten schaffen?«
Die Ostrale soll zukünftig zur Biennale werden. Was sind die Gründe dafür?
Andrea Hilger: Eigentlich müssten wir jetzt schon wieder mit der Planung für 2018 beginnen. Die Vorbereitungen sind so aufwendig, dass sie in einem Jahr kaum zu schaffen sind. Nur ein kleines Beispiel: Wir laden unter vielen anderen weltweiten Einladungen auch zwei mexikanische Künstler nach Dresden ein. Was da jeweils alles an organisatorischem Aufwand zu bewältigen ist – zum Beispiel Verhandlungen mit dem Auswärtigen Amt, Botschaft, Verschickung der Arbeiten über Kontinente, braucht längere Vorbereitungs- und Verhandlungszeit. Und auch die Kosten sind hoch. Wir haben schon lange darüber nachgedacht, die Ostrale in eine Biennale umzuwandeln, nur waren wir nicht sicher, ob sich das finanziell bewerkstelligen ließe. Eine Biennale muss sich nun einmal für zwei Jahre rechnen. Und das ist ein ganz schöner Spagat, da Fördergelder immer nur für ein Jahr berechnet werden. Durch die Möglichkeit von EU-Fördergeldern hoffen wir die Umwandlung bewerkstelligen zu können. Dazu kommt, dass auf dem derzeitigen Veranstaltungsort in den ehemaligen Erlwein-Futterställen am Messegelände 2018 definitiv keine Ostrale mehr stattfinden kann, bis zur Sanierung.
Zusätzlich werden wir nächstes Jahr in La Valetta, der europäischen Kulturhauptstadt gastieren. Und wir werden künftig uns mehr Zeit für Kooperationsprojekte nehmen, um die Biennale nach außen hin noch stärker in der Kunstwelt zu vertreten.
Damit wären wir bei dem leidigen Thema der Sanierung des Geländes und der Suche nach einem neuen Austragungsort. Das Festspielhaus Hellerau war einmal im Gespräch. Gibt es Neuigkeiten?
Andrea Hilger: Wir sind hierzu mit Annekatrin Klepsch, der Bürgermeisterin für Kultur und Tourismus, im Gespräch. Es gibt viele Ideen, nur stellt sich die Frage der Gleichzeitigkeit: Kann die Ostrale zusammen mit anderen Veranstaltungen an diesen Örtlichkeiten stattfinden? Könnte man zum Beispiel Veranstaltungen in der Stadt verteilen? Als Idee steht im Raum, die Robotron-Kantine als Kunstraum zu nutzen. Man könnte hier mit der Ostrale erproben, ob sie sich als Kunstraum eignet. Und falls ja, könnte das auch den Anreiz bieten, die Sanierung zu bewerkstelligen, sodass die Robotron-Kantine zukünftig für künstlerische Zwecke offensteht.
Die Ostrale – Biennale für zeitgenössische Kunst wird am 28. Juli eröffnet und ist bis 1. Oktober in den ehemaligen Futterställen im Ostragehege zu sehen; geöffnet: Di-Do 10 bis 19 Uhr, Fr-So 11 bis 20 Uhr; www.ostrale.de