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Ins magische Reich der bewegten Bilder – Manos Tsangaris im Gespräch zu »Karl May – Raum der Wahrheit«
Manos Tsangaris im Gespräch zu »Karl May – Raum der Wahrheit«
■ Der Komponist, Trommler und Installationskünstler Manos Tsangaris gilt inzwischen als einer der bedeutendsten Vertreter des neuen Musiktheaters. Jetzt scheint es sich sogar bis nach Dresden, wo Tsangaris eine Kompositionsklasse an der HfM unterrichtet, herumgesprochen zu haben. Nun hat er gemeinsam mit dem Schriftsteller Macel Beyer als Librettisten eine Oper geschrieben: »Karl May – Raum der Wahrheit«, die am 20. Juni in der Semperoper uraufgeführt wird. DRESDNER-Autor Aron Koban konnte Manos Tsangaris im Vorfeld zum Stück befragen, zur Aufgabe des Musiktheaters heute und zu seinem Verhältnis zu Karl May. Copyright Foto: Inge Zimmermann.

Was hat das Stück mit Karl May zu tun? Galoppieren da Mustangs über die Prärie?

Manos Tsangaris: Das Stück nimmt Karl May als Person zum Ausgangspunkt. Marcel Beyer, zum ersten Mal in meinem Leben arbeite ich mit einem Librettisten, der Regisseur Manfred Weiß und ich haben uns darauf geeinigt, die Apachen, Cowboys eher wegzulassen. Wir wollten das außergewöhnliche Leben dieses Autors zum Gegenstand unserer Arbeit machen.

Was finden Sie an Karl May so interessant? Oder ist das Sujet mehr ein Zugeständnis an sächsische Befindlichkeiten?

Manos Tsangaris: Der kleine Karl war die ersten vier Jahre seines Lebens blind, hat wohl deshalb umso plastischer die Geschichten »gesehen«, die seine Großmutter ihm erzählt hat. Und diese Plastizität ist ihm sein Leben lang erhalten geblieben mit guten wie ganz üblen Folgen. Zum Beispiel musste er als junger Mann einige Jahre im Zuchthaus verbringen, weil er irgendwelche erfundenen Geschichten erzählt und benutzt hatte, um sich ein paar kleine Vorteile oder ein bisschen Geld zu verschaffen. Im Gefängnis hat er auch angefangen zu schreiben, mit ungeheurem Fleiß und überproportional ausufernder Phantasie.

Es klingt ja ziemlich provokant, Karl May, den Mythenschmied und Hochstapler, im »Raum der Wahrheit« zu platzieren, oder?

Manos Tsangaris: Im Geiste war May natürlich permanent unterwegs, er hat bestens recherchiert, konnte alles so wunderbar schildern, dass selbst Einheimische die Schilderungen der »bereisten« Gebiete für das Beste hielten, was je über ihre Heimat geschrieben worden war. Deshalb befinden wir uns auch hier im »Raum der Wahrheit«. Wir gehen davon aus, dass es für May eben die Wahrheit war, die er so vehement vertrat – seine Phantasie-Reisen haben ihn um die Welt geführt.

Wie ist das im Stück realisiert?

Manos Tsangaris: Unser Musiktheater öffnet vielleicht einige dieser Räume, Wahrheits-Räume, ohne dass es versuchen würde, Biografisches einfach nachzuerzählen, eher werden Situationen assoziiert, auch erfunden, die die Integrität dieses Erfinders aufzeigen und in ihrer Tragik erzählen wollen. Karl May ist insgesamt gesehen, finden wir, eine tragische Figur.

Wie gehen Sie mit diesem Paradoxum zwischen einem »Raum der Wahrheit« und der durchschaubaren wiewohl halb-fiktionalen Lüge um?

Manos Tsangaris: Der Eindruck ist, dass May selbst an seine Szenarien und Geschichten glaubt, sogar aktiv vertritt. Da stellt sich bei uns eine Grundspannung ein, mit so einem Wahrheitsbegriff produktiv umzugehen. Denn im Theater, wo gestorben und wieder aufgestanden wird, oder in der Oper, wo alle singen und doch sprechen, was heißt da genau »Wahrheit«? Eigentlich ist dies eher eine Form der Komplizenschaft zwischen uns und einem artifiziellen Geschehen, nicht?

In Ihren Werken machen Sie oft die Bedingungen der Aufführung selbst zum Gegenstand der Aufführung. Die angesprochene Komplizenschaft ist ja auch so eine Bedingung. Inwiefern ist das ein Thema im Stück?

Manos Tsangaris: Ich halte diese Komplizenschaft für eine Grundbedingung des Theaters überhaupt. Es gibt diese Verabredungen (Sterben auf der Bühne usw.), die einen Rahmen konstituieren, innerhalb dessen dann agiert und verstanden werden kann.

Was interessiert Sie an diesen Rahmen als Aspekt des Komponierens?

Manos Tsangaris: Diese Rahmensetzungen werden heute durch unsere alltäglichen Erfahrungen kompromittiert, in Frage gestellt. Wir sind permanent einer Art Beschuss von Meinung und Anspruch und Forderung ausgesetzt. Die Rahmen sind nicht mehr klar zu erkennen, der Einflussapparat spielt mit uns. Aber eine Aufgabe des Schaubarmachens (theatron – das, was schaubar macht) muss es heute sein, diese Rahmen- und Verständnisverschiebung aufzuzeigen, und was das für uns als Einzelne bedeutet.

Wie wird das im Stück »schaubar«?

Manos Tsangaris: In unserer Karl May-Arbeit ist das alles eher ins Stück selbst hineingerückt, die Aufgabenlage der Inszenierung ist eine andere. Und doch findet – wenn es denn klappt – eine Transformation statt: die Anzeige einer Zeitenwende im Leben von Karl May, die eine zeithistorische ist, nämlich der Übergang aus der sogenannten Guttenberg-Galaxie ins magische Reich der Abbildungen, der bewegten Bilder.
Vielen Dank für das Gespräch!

»Karl May, Raum der Wahrheit« (UA), Premiere am 20. Juni, 18 Uhr an der Semperoper, weitere Aufführungen: 23., 25., 26., 28., 30. Juni, 4., 5. Juli jeweils 19 Uhr. Zudem widmet sich ein dreitägiges Symposium (Konzerte, Vorträge und Roundtables) vom 19. bis 21. Juni an der HfM Ideen, Werken und Impulsen von Manos Tsangaris.

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