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»Ich begreife Musik nicht körperlich« – Tristan Brusch im Interview (Foto: Rebecca Kraemer)
Tristan Brusch im Interview (Foto: Rebecca Kraemer)
■ Romantik und Abgrund. Wie kein anderer hiesiger Liedermacher lotet Tristan Brusch in seinen Liedern Licht und Schatten aus. Einer, der dahin geht, wo es weh tut, ohne die Hoffnung zu verlieren. DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl sprach mit dem Liedermacher über ein Leben am Existenzminimum, Schlaflosigkeit und neue Musik für eine Woyzeck-Inszenierung am Berliner Ensemble.







Zur Tour findet man auf deinem Instagram-Account die Adresse niedermitdemkapitalismus@gmail.com. Dies ist verbunden mit dem Aufruf, Menschen mit wenig Geld, die sich keine Tickets für deine Konzerte leisten können, sollen sich bei dir melden. Was hat es mit der Aktion auf sich?

Tristan Brusch: Das mache ich eigentlich seit 2020 bei jeder meiner Tourneen. Mit einer Vorband von mir habe ich mich einmal darüber unterhalten, dass mein Publikum so toll gemischt ist. Da gibt es nicht nur die eine Zielgruppe, wie die coolen Kids oder Studierenden. Das geht durch alle Generationen, was mich immer total berührt. Im damaligen Gespräch ging es auch darum, dass am Ende immer nur Leute zum Konzert kommen, die sich ein Ticket leisten können. Ohne es zu wollen, trägt man also zu einem Klassensystem bei. Das wollte ich aufbrechen, auch weil ich weiß, wie es ist, wenn am Bankautomaten nicht mal mehr der niedrigstmögliche Betrag ausgezahlt wird. Das habe ich viele Jahre gehabt.

In dem Post steht auch, dass du jahrelang selbst am Existenzminimum gelebt hast – eine Folge der Kompromisslosigkeit als Musiker zu leben?

Tristan Brusch: Ja natürlich. Ich habe einen familiären Background, der mich auch noch weiter hätte auffangen können. Das war bei mir alles selbst gewählt. Ich wollte einfach nur Musik machen und musste deshalb ab und zu eine Zeit lang nur von Haferflocken leben. Das habe ich aber auch gerne gemacht, denn das Wichtigste war für mich immer, nichts anderes tun zu müssen. Schon als ich Abitur gemacht habe, war das mein erklärtes Lebensziel.

Dein Elternhaus ist ein Musikerhaushalt. Was war der erste Klang, das erste Lied oder die erste Band, die dich zum Tanzen gebracht haben?

Tristan Brusch: »Zum Tanzen gebracht« ist in meinem Fall wirklich der absolut falsche Ausdruck. Ich begreife Musik nicht körperlich, sondern bin eher ein auditiver Mensch. Musik ist für mich etwas, das ich sitzend oder liegend konsumiere. Es ist nicht so, dass ich etwas höre und mich direkt dazu bewegen möchte. Um deine Frage aber trotzdem zu beantworten: Meine früheste Erinnerung an Musik war wohl die »Winterreise« von Schubert. Das hat meine Mutter immer am Flügel geübt und ich saß darunter.

Du hast dich in Interviews schon öfters zu einer mitunter stark ausgeprägten Schlaflosigkeit geäußert. Mit den Stücken der letzten beiden Platten »Am Rest« und »Am Wahn« im Ohr: Gibt es eine Koinzidenz zwischen musikalischem Schaffen und fehlendem Schlaf?

Tristan Brusch: Ja sicherlich, wobei ich in einer schlaflosen Phase wie paralysiert bin. Dann kann ich keine Lieder schreiben, dafür brauche ich ein gewisses Maß an Wohlergehen. Mir muss es gut gehen, sonst kann ich nicht arbeiten. In einer schlaflosen Phase schleppe ich mich durch den Tag und kann wirklich gar nichts machen. Wie so eine Art Fleischroboter, der mit Ach und Krach die allernötigsten Aufgaben des alltäglichen Lebens erledigt. Solche Phasen prägen mich natürlich. Es formt den Charakter, wenn man weiß, wo der eigene Abgrund beginnt.

Nun erscheint »Woyzeck«, 17 Lieder zur anstehenden Inszenierung von Ersan Mondtag am Berliner Ensemble. Die Stücke der Platte werden auf der Bühne dann von Schauspielern und Schauspielerinnen vorgetragen. Du selbst wirst im Rahmen der Aufführung weder singen noch musizieren, aber bei den anstehenden Konzerten Stücke aus »Woyzeck« spielen?

Tristan Brusch: Bei Konzerten werde ich vereinzelt Songs daraus spielen. Allerdings ist die Musik ursprünglich für Bläser arrangiert. Auch Instrumentalstücke finden sich darauf. Mit Popmusik hat das nicht mehr viel zu tun. Dagegen ist »Am Wahn« die reinste Pop-Platte. Mit meiner aktuellen Tour-Besetzung kann ich die Stücke auch gar nicht so spielen, wie ich sie fürs Theater geschrieben habe. Vielleicht gibt es da eher mal eine Konzertreihe, wo ich nur die Woyzeck-Musik spiele.

Georg Büchners »Woyzeck« ist ein Dramenfragment. Hast du dich auch musikalisch am bruchstückhaften orientiert?

Tristan Brusch: Es hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht, diese Musik zu machen, ganz einfach, weil ich das Gefühl hatte, neue Formen wählen zu können. Weg vom Poplied, kann ein Stück hier nur 40 Sekunden lang sein, oder sich auch mal über einen längeren Zeitraum aufbauen. Einzelne Teile müssen sich nicht so oft wiederholen und ein musikalischer Gedanke kann plötzlich einfach abbrechen. Eine total intuitive Herangehensweise an Musik, ohne die große Hürde, alles in eine bestimmte Form pressen zu müssen. Ich konnte mich einfach hinsetzen und der Idee freien Lauf lassen. Das meiste ist am Klavier im Improvisierrausch entstanden.

Hört man »Am Wahn« und die Musik zu Woyzeck hintereinander, hat man das Gefühl, Wahnsinn fungiert hier als eine Art Klammer...?

Tristan Brusch: »Woyzeck« fängt ungefähr da an, wo »Am Wahn« aufhört. Die Parallelen sind wirklich erstaunlich. Es geht um Eifersucht, Liebe und um große Themen wie zum Beispiel, was es mit einer Person macht, ein Kind zu haben. Beide, also »Am Wahn« und »Woyzeck«, enden zudem mit einem Messermord. Ein Zufall, Fügung? Ich weiß es nicht. Nach »Am Wahn« bin ich einfach weitergerannt, brauchte mit dem Schreiben gar nicht aufhören. Jetzt habe ich aber erst mal genug von Morden und Wahnsinn. Es reicht jetzt.

Wie leicht fiel es dir, mit Büchners Sprache umzugehen?

Tristan Brusch: Das war krass leicht. Eine ganz tolle Sprache. »Woyzeck« war ein revolutionäres Stück, weil es die damalige Alltagssprache mit aufgenommen hat und nicht in der damals üblichen Reimform daherkam. Leicht zugänglich und in seiner Alltäglichkeit trotzdem unglaublich poetisch. Das hat mir gut gefallen.

Das Stück »Ein Loch in die Natur« ist ein Text von Dir und von Büchners Stil kaum zu unterscheiden ...?

Tristan Brusch: Hätte ich das in Interviews und Gesprächen nicht selbst angesprochen, hätten es die Leute oft gar nicht unterscheiden können.

Kommen wir zur letzten Frage: Wann wird Tristan Brusch wahnsinnig und womit treibt er seine Umwelt in den Wahnsinn?

Tristan Brusch: Ich hoffe natürlich, nie wahnsinnig zu werden. Es ist ja auch eine Art Selbsttherapie, sich mit diesen Themen auf eine so konstruktive Art auseinanderzusetzen. Ich habe daraus etwas Schönes geschaffen, nämlich Lieder geschrieben. Zu »Am Wahn« haben wir auch einen Film gedreht. Ich bin niemand, der Wahnsinn romantisiert, oder glaubt, man müsse wahnsinnig sein, um Kunst zu erschaffen. Nichtsdestotrotz treibe ich meine Umgebung durch meine Tollpatschigkeit regelmäßig in den Wahnsinn.
Vielen Dank für das Gespräch!

Das Album »Woyzeck« erschien am 22. September. Tristan Brusch gastiert im Zuge seiner »Am Wahn«-Tour am 2. Oktober im Societaetstheater. Mehr zum Künstler www.tristanbrusch.de/

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