■ Explosion, Implosion, wer weiß das schon. Die Münsteraner Band Messer zielt auf ihrem neuesten Werk »Kratermusik« in alle Richtungen. Mit DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl sprachen Schlagzeuger Philipp und Bassist Pogo über zu wenig Publikum, Humor und natürlich »Kratermusik«.
»Kratermusik«, was ist das für euch?
Pogo: Wir wissen meistens nicht so genau, wo wir uns verorten können. Das ist jetzt aber unser hauseigenes Genre, das wir uns erschlossen haben. Die Gruppe Messer macht Kratermusik.
Philipp: Es wäre auch schön, wenn bei zukünftigen Alben geschrieben wird, dass es wieder in Richtung »Kratermusik« geht oder dass andere Bands von sich sagen, sie machen kleine Nuancen von »Kratermusik«. Hendrik kam ursprünglich mit dem Titel an, und es war schnell klar, dass wir alle verschiedene Assoziationen damit haben. Wenn man sich gedanklich viel um einen Begriff bewegen kann, dann ist es ein Messerwort, zeitlos und kein Modebegriff. Für mich ist der Krater etwas, das einen in die Tiefe reißen kann, aber auch ein Ausbruch, ein Leuchtfeuer. Zwei Richtungen, die für mich Punkrock immer ausgemacht haben.
Schon seit dem Debüt wird Messer von Fans und Kritikern ordentlich gefeiert. Überrascht, dass es auch bei Album Nr. 5 keine schlechten Kritiken gibt?
Pogo: Zumindest sind die meisten immer gut. Ich würde allerdings die Hälfte der guten Kritiken abgeben, wenn so mehr Leute zu den Konzerten kämen. Das wäre ein fairer Deal. Aus einem Punk- und Hardcore-Kosmos kommend, waren wir überrascht und fanden es ziemlich geil, als schon die erste Messerplatte überall stattfand und gut besprochen wurde. Wenn wir jetzt Leuten erzählen, dass wir alle noch normale Jobs haben und nicht von Messer leben können, sind die meisten ziemlich überrascht. Bei einem Konzert an einem Mittwoch in Augsburg stehen aber halt auch mal 30 Leute vor der Bühne. Da gehen Wahrnehmung und Realität auseinander. Es wird oft größer geschrieben, als es eigentlich ist.
Ich hätte auch gedacht, dass die März-Konzerte zur neuen Platte alle voll waren ... ?
Philipp: Bei Terminen unter der Woche in einer Stadt, wo wir zum ersten Mal sind, erwartet man nicht viel. Aber auch ein Konzert im Soho Stage Augsburg mit wenig Leuten, die richtig Bock haben, kann magisch sein. In Münster, wo die Band gegründet wurde und wir immer noch proben, läuft es richtig gut. Ansonsten ist nach Corona vieles anders, auch und gerade, was unsere Klientel betrifft. Die Lust und die Bereitschaft, auf Konzerte zu gehen, scheint sich ein Stück weit eingedämmt zu haben. Durch die Ökonomisierung der Live-Sparte gibt es zudem eine neue Kultur des Konzertabsagens, wenn der Vorverkauf nicht gut läuft. Dazu kommt die allgemeine Teuerung, die auch vor Konzerttickets keinen Halt macht.
Pogo: Von außen betrachtet sind wir Scheinriesen. Das fuckt uns aber nicht ab und gehört einfach dazu. Ein intimer Rahmen kann ja auch für ein besonderes Konzerterlebnis sorgen.
Der neue Song »Schweinelobby (Der Defätist)« vereint den für Messer typischen Humor mit musikalischen Referenzen hier in Richtung Fehlfarben. Die Platte kommt oft leicht und tanzbar daher. Eine bewusste Entscheidung?
Philipp: Das ist uns selber erst am Ende des Albumprozesses bewusst geworden. Da würde mich auch Pogos Sicht interessieren, denn mir scheint das selbstverständlich passiert zu sein. Humor in Texten gab es vorher schon, der wurde aufgrund des Pathos aber oft nicht wahrgenommen. Durch eine Lockerheit der Musik merkt man das jetzt mehr. Das hat vielleicht auch etwas mit einem gewandelten Lebensgefühl zu tun. Live haben wir vom zweiten Album jetzt den Song »Das Versteck der Muräne« wieder mit ins Programm genommen. Über den kann man sich einfach nur kaputtlachen. Ich weigere mich ja, das Wort »Erwachsenheit« zu verwenden, aber irgendein Reifeprozess ist da sicher passiert. Wie siehst du das, Pogo?
Pogo: Ich würde schon sagen, dass das geplant war. Aber gar nicht vor der »Kratermusik«, sondern unmittelbar nach dem Album »Jalousie«. Die Platte hatte eine Schwere, die der ein oder anderen Person in der Band zu schwer war. Ab da wollten wir vor allem im Spielerischen leichter werden. So entstand die Idee zu »No Future Days«. »Kratermusik« reiht sich in diesen Prozess mit ein.
Pogo, das Stück »Das verrückte Haus« von der vorherigen Platte »No Future Days« hast du damals zusammen mit Hendrik in einer Fragebogenmethode à la Max Frisch oder auch Pina Bausch geschrieben. Gab es beim aktuellen Album einen Song, der in ähnlicher Manier entstanden ist?
Pogo: Auf dieser Platte nicht. Die ganzen musikalischen Stücke sind diesmal entstanden, bevor der Text dazugekommen ist. »Das verrückte Haus« ist vor einem besonderen Hintergrund entstanden. Damals ist meine Mutter gestorben und die Arbeit an dem Stück war eine Art Verarbeitungsprozess. Das hat wahnsinnig geholfen. Für diese Form der Auseinandersetzung, Reflexion und den wahnsinnig schönen Freundschaftsdienst an sich bin ich Hendrik bis heute dankbar. Diesmal gab es glücklicherweise keinen so traurigen Anlass.
Philipp, deine Eltern haben zu drei Stücken Bläsersätze beigesteuert. Wie fragt man da an? Mama, Papa, wir brauchen Bläser, habt ihr Zeit?
Philipp: Genau so. Im Proberaum hatten wir schnell das Gefühl, an manchen Stellen könnten noch ein paar Bläser oder luftige Töne passen. Meine Mutter war Musiklehrerin und spielt ganz gut Klarinette, mein Vater spielt als Hobby Saxophon. Das war also einerseits ein ganz unkomplizierter Zugang zu Leuten, die das beisteuern können, zum anderen eine total schöne Erfahrung, das mit den Eltern zu machen und sich darüber auszutauschen. Eine wirklich tolle Sache, auch, dass das mit der Platte so dokumentiert ist.
Was kann man beim Besuch eines Messerkonzerts erwarten?
Pogo: Eigenlob stinkt zwar, aber das, was wir da machen, ist wirklich High Energy. Wer Bock hat, so einen Abend zu erleben, der oder die soll dahin kommen. Es sind alle eingeladen.
Philipp: Ich hätte es nicht besser sagen können. Auf Tour ist mir jetzt nochmal klar geworden, das Messer live eine andere Akzentuierung als auf Platte hat. Während es da sehr viele Details gibt, haben wir bei Konzerten die Möglichkeit, das weiterzumachen, was wir früher auch mit unseren Punk- und Hardcore-Bands gemacht haben – nämlich draufhauen.
Mein Lieblingssong auf der Platte ist »Eaten Alive«. Total tanzbar, und schon nach wenigen Sekunden erscheint vor dem inneren Auge eine Lederjacke mit Pins und Patch auf dem Rücken. Ich habe auch schon lange kein Stück mehr gehört, in dem »dumme Sau« gerufen wird ... ?
Pogo: Dafür hat Hendrik von uns auch dicke Props bekommen. Die Gesangsaufnahme von diesem Song war mein letzter Gänsehautmoment. Da hat Hendrik so hart geliefert.