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Grenzenlose Kürze – Im Interview: Katrin Küchler, eine der Festivalleiterinnen des Filmfestes Dresden
Im Interview: Katrin Küchler, eine der Festivalleiterinnen des Filmfestes Dresden
■ Im April 2013 findet das Filmfest Dresden – nun bereits zum 25. Mal – in den Dresdner Programmkinos statt. Trotz internationaler Reichweite und der breiten Anerkennung in der Szene, bedient das Festival eine Nische, deren Förderung alles andere als leicht ist. DRESDNERAutorin Adina Schütze hat sich mit Katrin Küchler, einer der Festivalleiterinnen, über die schützenswerte Kunstform »Kurzfilm« unterhalten.

Braucht der Kurzfilm eigene Reservate?

Katrin Küchler: Aus der gegenwärtige Perspektive betrachtet, ja. Da der Kurzfilm in den Kino- und Fernsehprogrammen kaum wahrnehmbar ist und dieser dort – pessimistisch formuliert – nicht mehr als eine Nischenexistenz innehat, sind beispielsweise Festivals eine wichtige, wenn nicht gar DIE wichtige Plattform für den Kurzfilm. Löblicherweise sind Fernsehsender wie 3sat, der mdr, allem voran aber ARTE bestrebt, dem Kurzfilm ein Podium zu geben.
Die Absenz des Kurzfilms war aber nicht immer so prekär wie dieser Tage, wirft man in der Filmgeschichte einen Blick zurück. Gestatten Sie mir daher an der Stelle einen kleinen Exkurs: Mal abgesehen von der Tatsache, dass es bis zum Aufkommen des Langfilms nur kurze Filme gab, erlebte dieser in den 1930er Jahren eine breite Wahrnehmung. Zu dieser Zeit war der Kurzfilm in Kinos meist als Vorfilm zu finden, der in Form von Wochenschauen, Zeichentrickfilmen oder einer Fortsetzungs-Serie vor dem eigentlichen Hauptfilm gezeigt wurde. Vor allem nach dem Krieg bestand die Notwendigkeit zur Herstellung von Kurzfilmen, die in erster Linie aber vor einem politischen Hintergrund entstanden und größtenteils Aufklärungs-, Medizin-, und Hygienefilme waren. Trotzdem der Kurzfilm zu jener Zeit so populär erschien, war dieser Zeitpunkt für manche Filmwissenschaftler eine degradierende Wende, indem der Kurzfilm auf den Status des Vorfilms »abrutschte«. (Heute würde man sich wünschen, wenn der Kurzfilm so frequent als Vorfilm in den Kinos zu sehen wäre).Von Werbung und Trailern verdrängt, tauchte der Kurzfilm erst in den 1950er Jahren, als »künstlerisch angepasster« Vorfilm wieder in den Kinos auf. Eine wesentliche Kehrtwende haben zweifelsohne die Oberhausener Kurzfilmtage eingeläutet. 1954 ursprünglich als Westdeutsche Kulturfilmtage gegründet, hat Oberhausen den Kurzfilm nicht nur salonfähig gemacht, sondern diesen auch bis heute als eigenständige Kunstform in die Gegenwart getragen.Festivals bieten meines Erachtens die einzige und einmalige Möglichkeit, den Kurzfilm in all seinen Ausprägungen zu sehen (z.B. als Spielfilm, Animationsfilm, Experimentalfilm, Dokumentarfilm, Found-Footage-Film, Musikvideo oder Mischformen wie Anima-Dok, erweiterte Filmformen, etc.) und diesen gleichzeitig in einer programmatischen Struktur zu präsentieren.Wenn ich mir die generelle Dichte an Kurzfilmfestivals und deren Besucherzahlen so anschaue, scheint ein genuines Grundinteresse zu bestehen, zum einen an Leuten, solche Filme zu machen , aber diese auch zu zeigen. Dies ist auf eine Kultur zurück zu führen, die sich über eine längere Zeit entwickelt hat. Und diese gilt es zu pflegen und zu erhalten, wie das mit Reservaten und deren Innenleben nun mal so ist – um auf ihren anfänglichen Terminus zurück zu kommen.

Die Kluft zwischen Film als Kunst und Film als Geschäft wurde schon früh in der Geschichte der Kunstform Film erkannt. Der Kurzfilm wurde so früh zum Genre, das mit der etablierten Form des Erzählens brach und mit bestehenden Konventionen experimentierte. Ist der Kurzfilm auch heute noch der Motor der Avantgardebewegung und des Experimentalkinos?

Katrin Küchler: Ich finde es sehr spannend, dass sie die »Kluft zwischen Film als Kunst und Film als Geschäft« an den Anfang ihrer Frage stellen. Denn diese Kluft ist meines Erachtens der Kurzfilmbranche inhärent und wird sich nie so weit schließen lassen, dass Filmkunst und Ökonomie auf ein und derselben Stufe stehen. Ganz salopp formuliert werden sie mit künstlerischen Kurzfilmen nicht das große Geld verdienen und sich so auf dem Markt behaupten, wie dies Langfilme tun.
Schon allein mit künstlerischen (Lang)Filmen den großen Kassenschlager zu landen, erlebt man äußerst selten. Jetzt übertragen sie dies mal auf den künstlerischen Kurzfilm. Da bleibt unterm Strich nicht mehr viel.Andererseits sind sie mit Kurzfilmen auch gewissen marktwirtschaftlichen Zwängen enthoben, wobei sich mitunter eine größere künstlerische Gestaltungsfreiheit entfalten kann. Dieser Ansatz resultiert wiederum aus der spezifischen ökonomischen Anordnung des Kinos, welche vorrangig von der Logik des Langspielfilms angetrieben wird und der Kurzfilm dabei mit einem entscheidenden Vorteil besticht.Denn die Länge oder besser gesagt die Kürze, ist dabei keine Zeit-Norm im restriktiven Sinne, sondern ein produktions-ökonomischer Faktor, der vielmehr als Chance zu begreifen ist.Diese ökonomische Unabhängigkeit und die daraus resultierenden Gestaltungsfreiheiten sind für mich die spezifische Qualität wie aus das große Potential des kurzen Films, der per se als kreativer und experimentierfreudiger Impulsgeber begriffen werden kann.Hinzu kommt, dass der Film im Allgemeinen, aber die kurze Form im Besondern geradezu einlädt mit narrativen Konventionen zu brechen, diese ins Gegenteil zu kehren und neue Formen zu erfinden, kurzum Phänomene zu schaffen, die derartig nur im Film möglich sind.

Lassen Sie mich eine provokante These formulieren: Heute setzen Animationsfilme auf minimale, klassisch-narrative Strukturen und setzen als Schwerpunkt die Möglichkeiten moderner Computertechnologie. Welche Sprache spricht das Genre Kurzfilm heute? Ist es zu einer überwiegend technischen Spielwiese geworden?

Katrin Küchler: Die These ist ganz und gar nicht provokant, sondern bildet im Wesentlichen genau das ab, was Animationsfilm sein kann: Alles. Von bis. Gerade während der Filmsichtung für die Wettbewerbe blättert sich die gesamte Bandbreite vor einem auf. Opulent gestaltet 3D-Animationen, die mehr an eine Computerspielästhetik als an einem Film erinnern, über aufwändig inszenierte Puppenanimationen, nahezu haptisch anmutende Animationen aus Knete oder minimalistische Zeichenanimationen.
Ich erinnere mich da beispielsweise an »weiss« von Florian Grolig (ein Gewinnerfilm auf dem 20. Filmfest Dresden), in dem durch eine weiße Fläche und filigrane schwarze Linien eine beeindruckende Räumlichkeit erzeugt wird, die mit unserer Wahrnehmung und Perspektiven spielt. Oder der Film »LOOM«, der 2011 auf dem Filmfest lief und indem in einer aufwändig inszenierten 3D Animation die physikalische Zersetzung einer Motte gezeigt wird, was zum Teil schon ins Experimentelle abdriftet. Sehr beeindruckend! Beide Filme erzählen mit ihren Mitteln jeweils eine eindrucksvolle Geschichte, daher wäre es – gerade im Hinblick auf die Vielfalt der Animationstechniken – zu kurz gegriffen, sich auf eine einheitliche Sprache festzulegen.

Der Kurzfilm war lange Zeit das Resultat nicht-kommerzieller Projekte, bzw. wurde als »Studentenfilm« vor allem zum Ausdrucksmittel junger Filmemacher. Schaut man in die Geschichte des Filmfestes, als Forum verbotener und selten gezeigter Film, so steht diese ja in einer ähnlichen Tradition. Ist der Kurzfilm kommerzieller geworden?

Katrin Küchler: Die Frage impliziert für mich zwei Aspekte, zum einen das Politische, zum anderen das Non-Kommerzielle, Filme fernab des Mainstreams.
Grundsätzlich muss man erst einmal sagen, dass jene Filme, die wir heute auf dem Filmfest zeigen, uns keine massiven (kultur)politischen Probleme bereiten oder wir glücklicherweise auch nicht mit Aufführungsverboten oder der Zensur zu kämpfen haben. Das war damals eine politisch höchstbrisante Zeit und gar nicht mit Heute vergleichbar. Wie damals Filme gezeigt wurden und überhaupt, wie die gesamte Organisation vonstatten ging – was wir ja ausschließlich aus Erzählungen kennen – ist für mich kaum vorstellbar. Andererseits hat für mich diese Zeit auch ein gewisses anarchistisch Potential, in dem Grenzen neu ausgelotet, bewusst überschritten und neu gesetzt wurden, was heutzutage ebenso unvorstellbar für mich bleibt. Heute sind die Zwänge wieder andere.Wenn man jedenfalls eine Gemeinsamkeit, oder Tradition wie Sie es nennen, erkennen möchte, dann sicher in der Tatsache, dass das Filmfest – damals wie heute – Filme zeigt, die eher eine Nische besetzen oder der Öffentlichkeit größtenteils vorenthalten bleiben. Zudem muss man wissen, dass das Filmfest in den Anfangsjahren vornehmlich Langfilme gezeigt hat und sich die Fokussierung auf den kurzen Film erst im Laufe der Jahre kam. Ein Publikumsfestival wollte das Filmfest Dresden jedoch schon immer sein. Und die beachtlich hohen und tendenziell steigenden Zuschauerzahlen zeigen, dass sich das Filmfest in dieser Tradition in jedem Falle treu geblieben ist. Und das Publikum auch. Zumindest bringt es uns Jahr für Jahr ein sehr großes Vertrauen entgegen, sich immer wieder auf etwas Neues und Unbekanntes einzulassen. Denn die Namen der Kurzfilmregisseure oder Jurymitglieder, die auf dem Filmfest Dresden zu Gast sind, sind in der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt.Viele Filmemacher sind Studenten oder Absolventen von Film- und Kunstakademien. Aber auch freie Produktionen sind vertreten, losgelöst von einer solchen akademischen Struktur, die qualitativ nicht schlechter abschneiden müssen, im Gegenteil: ohne Vorgaben, mit wenig Geld und einem virtuellen Gegenüber und der ständigen Frage »Wem könnte das gefallen?«, erlaubt es dem Kurzfilm das zu tun, was er kann – nahezu alles. Ich persönlich finde solche Filme ja sehr spannend, die gerade aus wenig Mitteln viel machen und fernab einer Vorgabe eine eigene Handschrift entfalten. Vor allem diese Filme möchte das Filmfest Dresden fördern.Allerdings muss man sagen, dass von Kommerzialität bei Kurzfilmen auf der Stufe der Festivalauswertung kaum die Rede sein kann. Das ist vielmehr ein Feld, um Aufmerksamkeit zu generieren, sich vor Publikum und Jury zu behaupten und mit anderen Filmen zu kompetitieren. So wird das vielfach bemühte Bild des »Kurzfilm als filmische Visitenkarte« in manchen Fällen auch zur Eintrittskarte in die Professionalität.

Was kann das klassische Kino vom Kurzfilm lernen?

Katrin Küchler: Ich denke, die Frage ist so nur schwer zu beantworten, weil die beiden Formen nicht miteinander vergleichbar sind. Sowohl das klassische Erzählkino, in der Spielfilmtradition Hollywoods, wie auch der Kurzfilm folgen, mehr oder weniger konventionell, gewissen Regeln.
Es gibt sicher eine Menge Dinge, die den Kurzfilm vom Langfilm unterscheiden, mal abgesehen von der Länge. Viel spannender ist doch die Frage, kann der Kurzfilm etwas, was der Langfilm nicht kann? Er kann. Der Kurzfilm kann Dinge offen lassen – Anfänge, Enden Konflikte aufwerfen, kann Geschichten auch mit einer Fragestellung stehen lassen. Das soll nicht heißen, dass im klassischen Erzählkino diese Leerstellen automatisch geschlossen oder alle Fragen beantwortet werden, aber zumindest gibt es das Bestreben einer Erklärung. Der Kurzfilm lässt bewusst die Lücke offen, die der Zuschauer mit seiner eigenen Imagination füllen muss.

Konnte Dresden mit seiner massiven Förderung des internationalen Kurzfilms spürbare Akzente setzen? Welche Position nimmt das Filmfest Dresden international ein?

Katrin Küchler: Ich denke, es ist keinesfalls übertrieben zu sagen, dass das Filmfest Dresden innerhalb der Kurzfilmlandschaft einen sehr guten Ruf genießt und in seinem Bekanntheitsgrad eine große Reichweite erzielt. Eine nicht unwesentliche Rolle spielen dabei sicherlich die üppigen Preisgelder, die unter Filmemachern einen großen Anreiz bieten, ihren Film bei uns einzureichen. Uns freut es natürlich zu sehen, in welch großem Umfang und aus wie vielen Ländern der Welt uns die Filme erreichen. In diesem Jahr hatten wir über 2600 Einreichungen aus über 80 Ländern. Dies resultiert zu einem gewissen Teil aus den zahlreichen, oft langjährigen Kooperationen zu anderen Festivals, Filminstitutionen oder direkten Kontakten zu Filmschaffenden. So entsteht ein steter und reger Austausch, der sehr wichtig ist, um die Festivallandschaft und Kurzfilmkultur aktiv zu halten und mitzugestalten.
Aber nicht nur hoch dotierte Preisgelder und ein gutes Programm können international Akzente setzen. Viele der Filmemacher und Festivalgäste schätzen auch die herzliche Atmosphäre des Festivals, die nicht zuletzt durch all die engagierten und enthusiastischen Menschen getragen wird, die für eine Sache stehen und jedes Jahr zum Gelingen des Filmfests beitragen.
Vielen Dank für das Gespräch!

25. Filmfest Dresden, 16. bis 21. April, Festivalorte: Schauburg, Kino Thalia, Pk Ost, Technische Sammlungen, Kleines Haus, St. Pauli-Ruine, Frauenkirche etc. Komplettes Programm im timer und unter: www.filmfest-dresden.de

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