■ Wenn Gärten endgültig verloren gehen, bevor ihre Brachen gerodet werden, dann verschwindet nicht nur Grün und freier Raum. Es verschwindet auch unendlich viel Geschichte und Gartenkultur. Seit 2013 widmet sich die Gap Group dem Verschwinden von Gärten und rückt ins Bewusstsein, was uns Stadtbewohnern damit verloren geht. Im Gespräch mit Annette Nickel, einem der drei Mitglieder der Gap Group, erkundet DRESDNER-Autorin Christine Gruler das Zukunftspotential dieser Beschäftigung.
Getroffen habt ihr euch zuallererst im damals noch verwilderten Herzogin Garten gegenüber dem Zwinger. Dort, wo jetzt moderne Mietwohnungen entstanden sind, habt ihr euer Glück in der Lücke gefunden?
Gap Group: Ja, wir trafen uns dort 2012 zum Brachen-Brunch. Jeder brachte was zu Essen mit. Bei mir, ich kam in zitronengelb gekleidet, waren es Zitronenhühnchen und Herzoginnenkartoffeln. Letztere habe ich auf Papier ausgedruckt, weil zu aufwendig in der Zubereitung. Das Hähnchen war dafür echt und lecker. Ulrike brachte Orangen-Zwiebel-Salat mit und war in Orange gekleidet.
Eine Anspielung auf die ehemalige Orangerie dort?
Gap Group: Genau, das nicht geplante Zusammentreffen der Zitrusfrüchte. Wir haben uns da voll ergänzt und waren die einzigen, die sich so intuitiv auf die Geschichte des Ortes eingelassen haben . Ulrike hat bei diesem Treffen übrigens vieles zur Geschichte des ehemaligen Lustgartens erzählt . Sie ist als Freie Künstlerin schon lange am Gartenthema dran.
Ihr Nachname Gärtner war also schon Programm?
Gap Group: In mehrfacher Hinsicht. Zum einen hat sie sich als Freie Künstlerin schon lange mit Pflanzenthemen auseinandergesetzt. Zum anderen hat sie mit Jan Minack, der auch zu uns gehört, im Projekt »Essbarer Garten« zusammengearbeitet. Leider ist dieses Projekt gestorben. Aber statt traurig zu sein und sich zu grämen, sind wir dann gemeinsam neu aufgebrochen. So schmerzhaft Verluste sind, wir finden immer neues Glück in der Lücke. Daher auch der Untertitel unseres Gruppennamens. Lücke war schon besetzt durch A.R. Penck und Co. Deshalb die englische Variante Gap Group.
Was ist das Anliegen von Gap Group?
Gap Group: Wir erkunden die Lücke, um Überreste pflanzlichen und menschlichen Lebens zu entdecken. Brachen von ehemaligen Gärten und Parkanlagen sind unser Gelände. Wie Stadtarchäologen auf Spurensuche heften wir den Blick nach unten und sammeln. Mal sind es Scherben von alten Pflanzgefäßen wie wir sie im Herzogin Garten aufgespürt haben, mal Fliesen auf dem ehemaligen Areal von Villeroy und Boch, die wir für unser Archiv auflesen. Außerdem halten wir alles in Fotos fest. Das ist dann auch das, was uns rastlos macht. Beim Fotografieren brauchen wir den bestimmten Moment, der ein Erinnerungsfoto ausmacht. Das bestimmte Licht, das alles in eine bestimmte Szenerie rückt. Da kommen Geschichten auf, die wir erzählen wollen.
Was sind das für Geschichten?
Gap Group: Sowohl reale, sprich die Geschichte des Ortes wie wir sie recherchiert haben, als auch fiktive. Da stellen wir uns anhand der Fundstücke eine Szene vor und inszenieren das für unsere Fotos.
Was hat es mit den gelben Westen auf sich?
Gap Group: Wir wollten uns einfach einen offizielleren Anstrich geben, eine gemeinsame, auch wiedererkennbare Arbeitskleidung schaffen. Die hat Jan im Rosenwerk übrigens selbst bedruckt.
Wo sich eure Kunst doch aus dem Verschwinden generiert, was haltet ihr dagegen?
Wir wirken dem Vergessen entgegen, liefern Denkanstöße und sind zudem Katalysatoren. Viele Leute springen auf unsere Ausstellung an und erzählen uns dann ihre eigenen Gartengeschichten. Auf alle Fälle tragen wir zur Überlieferung bei. Unsere Vision ist es in Zukunft außerdem, einen realen Quadratmeter Freiraum auf diesen Brachen einzurichten.
Die Rauminstallation »Verlorene Gärten« der Gap Group ist im Rahmen der Ausstellung »Die Erfindung der Zukunft« noch bis 3. November im Japanischen Palais zu sehen; mehr unter www.gapgroup.info