■ Schon seit »Absolute Giganten« steht Sebastian Schipper für innovatives Kino aus Deutschland. Mit seinem neuen Projekt »Roads« betritt er abermals unbekanntes Terrain mit hoher gesellschaftlicher Relevanz. DRESDNER-Autor Martin Schwickert traf den Hannoveraner Filmemacher für ein Gespräch über die Beweggründe und die neu gewonnenen Erfahrungen bei der Entstehung seines Jugenddramas.
Herr Schipper, Ihr letzter Film »Victoria« hat auch international viel Aufsehen erregt. Mit »Roads« machen Sie nun als Regisseur und Produzent ihre erste internationale, englischsprachige Produktion ...?
Sebastian Schipper: Ich habe nicht gedacht, »so jetzt will ich mal auf Englisch drehen«. Das hat sich aus der Geschichte ergeben. Ich habe auch darüber nachgedacht, ob es nicht besser wäre, es mit einem deutschen Jungen zu erzählen, weil mir das möglicherweise näher liegt. Aber ehrlich gesagt ist die Lebenswelt eines 18-Jährigen von meiner eigenen ohnehin so weit entfernt, dass es keinen großen Unterschied mehr macht, ob der Junge aus Hamburg oder aus London kommt. Und in dem Moment, wenn sich die beiden in Marokko treffen, hätten sie sich sowieso auf Englisch unterhalten. Das war eine Entscheidung, die allein aus der Erzähllogik heraus entstanden ist.
Gyllan und William sind beide um die 18. Ist das ein Alter, in dem man besonders empfänglich für neue Freundschaften ist?
Sebastian Schipper: Wenn man in diesem Alter zum ersten Mal ohne Familie auf Reisen geht, ist das Phänomen, neue Leute kennenzulernen, besonders reizvoll. In der Zeit macht man vielleicht noch nicht mit »der Beziehung« Urlaub, und ist eher mit seinem besten Kumpel oder besten Freundin unterwegs. Andere Menschen treffen, mit Unbekannten auf irgendwelchen Parkbänken oder im Interrail-Abteil ein billiges Bier zu trinken – das passiert in diesem Alter einfach sehr viel häufiger.
Sie reisen mit dem Film nach Marokko und Calais; Nahtstellen der Migrationsbewegungen. Warum war Ihnen diese zeithistorische Verortung so wichtig?
Sebastian Schipper: Der politische Kontext ist in diesem Film absolut essentiell. Aber trotzdem ist es zuerst einmal eine Geschichte über die Freundschaft zweier 18-Jähriger, die mit einem geklauten Auto quer durch Europa fahren. Der eine ist aus dem Kongo, der andere aus London. Für mich ist das Versprechen des Films, dass das Leben trotz allem Wahnsinn um einen herum, trotz aller Härten voller Wunder und Überraschungen steckt. Und das lässt sich in einem Set-Up, das mit unserer gesellschaftlichen Realität verbunden ist, nicht nur bedeutsamer, sondern schlichtweg auch interessanter erzählen. Wenn ich von einer Poesie und Schönheit erzählen will, dann muss die heutige Welt mit all ihren Widersprüchen auch darin vorkommen.
Sie haben auch vor Ort in Calais und Marokko recherchiert. Was haben Sie über die Menschen, die auf der Flucht sind, gelernt?
Sebastian Schipper: Es hat mich verblüfft, mit welcher Offenheit mir die Migranten begegnet sind, obwohl sie in diesen tragischen und furchtbaren Verhältnissen leben. Und das ohne irgendeinen Vorwurf, wo es mir als privilegiertem Europäer doch so über die Maßen gut geht. Die Neugier und die Bereitschaft mir ihre Geschichten zu erzählen, mir zu begegnen – das hat mich wirklich überwältigt. Außerdem habe ich gesehen, wie stark die Menschen zusammenhalten. Ich habe mich immer gefragt, wie die das überhaupt schaffen, so weit zu kommen. Das funktioniert, weil sie extrem gut organisiert sind. Natürlich gibt es auch da Abgründe und furchtbare Ausbeutung. Aber eben auch Momente der Hoffnung. Und was Calais betrifft: Ganz viele junge Menschen aus allen Ecken Europas kommen dort hin, um sich in den Flüchtlingshilfeorganisationen zu engagieren und schuften dort mit einer unheimlichen Energie. Die Zeit in Calais mit all den Begegnungen ist ein wirklich profundes Erlebnis in meinem Leben.
Das Flüchtlingsthema wird im öffentlichen Diskurs ja nur zu oft vom rechten Populismus dominiert. Ist Ihr Film der Versuch diesem Diskurs die ganz normale Schönheit einer menschlichen Begegnung entgegenzusetzen?
Sebastian Schipper: Ich glaube, es gibt Populismus von beiden Seiten. Natürlich kann ich den Populismus von rechts schlechter ertragen, weil hier diffuse Ängste an einem Sündenbock abreagiert werden. Aber es gibt auch von linker Seite eine Angst, sich mit dem Thema tiefer auseinander zu setzen. In vielen guten und gut gemeinten Dokumentationen wirken die Flüchtlinge oft wie so eine Zombie-Apokalypse und kommen kaum zu Wort. Ich wollte das anders machen. Provokant formuliert freundet sich in meinem Film ein 18-jähriger Londoner mit einem solchen Zombie an.
Warum erzählen Sie von dieser Freundschaft in Form des Roadmovies?
Sebastian Schipper: Das ist aus der Geschichte entstanden. Ich mag den Begriff Roadmovie gar nicht so gern. Aber nun heißt der Film auch noch »Roads«, da darf ich mich wohl nicht beschweren. Roadmovies wirken auf mich oft etwas bemüht. Da werden immer allerlei Hebel in Bewegung gesetzt, damit es auch einen Grund gibt irgendwohin zu fahren. Das ist in unserem Film anders. Gyllen und William haben existenzielle Gründe und ein klares Ziel. Film ist Bewegung und in »Roads« ist die Bewegung eine logische Schlussfolgerung aus den Lebenszielen der Figuren.
Am Schluss des Films steht kein klassisches Happy End, sondern ein melancholisch-realistischer Hoffnungsschimmer …?
Sebastian Schipper: Ich glaube, diese Welt ist voller Hoffnung, aber wir müssen uns der Welt und vor allem auch einander zuwenden. Deshalb sollte die Hoffnung, die der Film vermittelt, kein ausgedachter Kinoquatsch sein. Für mich ist das Kino kein Fluchtgenerator. Da gehört die Diskussion hin, wer wir sind und wie wir leben wollen, ohne dass das gleich im Problemfilm enden muss.
»Roads« (ab 30. Mai im Pk Ost, Schauburg, KiF und Thalia), D/Frankreich 2019, Regie: Sebastian Schipper, mit: Fionne Whitehead, Stéphane Bak, Moritz Bleibtreu u.a. Zum Trailer: http://youtu.be/kZ-vYrOdwf8