■ Von der kleinen Oi!-Kapelle entwickelte sich das Düsseldorfer Quintett über die Jahre zu einer der erfolgreichsten Punkbands des Landes. DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl unterhielt sich mit Frontmann Sammy Amara über das neue Album »Puro Amor«, Europa und die Zeit nach der Pandemie.
Was würde dein heutiges Ich dem jüngeren Sammy raten?
Sammy Amara: Mach genauso weiter, lass dich nicht ärgern, es wird schon alles. Das wusste der junge Sammy aber auch schon. Von meinen Eltern bekam ich viel Selbstvertrauen mit auf den Weg – hatte viel Glück im Leben.
»Ärgern« ist ein gutes Stichwort: Wird eine Band erfolgreich, wendet sich ein Teil der frühen Anhängerschaft oft mit Kommerzvorwürfen ab. Wie sensibel bist du diesbezüglich?
Sammy Amara: Ich schlafe besser, seit ich verstanden habe, nie alle glücklich machen zu können. Dieses Aufbäumen ist ja gerade wieder aktuell. Leute, mit denen ich damals in der Szene war und durch eine harte Schule gegangen bin, aber schätzen die Band für ihre Positionen und das, was wir uns erarbeitet haben. Aber ganz ehrlich: Die Kids müssen brüllen, aufbegehren und rebellieren. Man kann gar nicht die Musik gut finden, die im Garten der Nachbarin bei Gin und Grillpartys läuft.
Das neue Album »Puro Amor« kommt extrem vielseitig daher. Konzept oder Entwicklung?
Sammy Amara: Ich hatte keine Blaupause, in welche Richtung es beim Schreiben gehen soll. Alles war möglich, ganz ohne Einschränkungen. Vielleicht bin ich deswegen so happy mit der Platte. Nichts ist verkrampft oder erzwungen. Jeder Song für sich hat etwas und wird unterschiedliche Menschen ansprechen. Ich bin super gespannt auf die Reaktion der Fans, aber auch von Leuten außerhalb unseres Bereichs. Das wird interessant.
Worum geht es im Stück »Porca Miseria« – frei übersetzt: »Verdammt nochmal«?
Sammy Amara: Um Europa und wie uns alte Männer reinreden. Nimm den Brexit als Beispiel: Die meisten, die dafür gestimmt haben waren die Älteren. Ein großer Teil der Jugend ist faul mit dem Arsch zu Hause geblieben und wird jetzt die Konsequenzen ausbaden müssen. Ich verstehe nicht, wie man mit dem Wissen, das wir haben, eine derart chauvinistische Grundhaltung einnehmen und Nationalismus diese Renaissance erleben kann. Wir wissen doch alle, wohin das führt.
Die zweite Vorab-Single zur Platte »Alles wird wieder OK!« hast du vor Corona geschrieben, jetzt hat der Song seinen Moment. Ist Zuversicht hier die große Überschrift?
Sammy Amara: Klar, aber eigentlich ist es viel trivialer. Es geht um die Vorstellung, dass wir Menschen uns irgendwann zusammenraufen und wieder einen vernünftigen Umgang miteinander pflegen – dass der Text durch die Pandemie doppelt und dreifach Sinn ergibt, ist gut und schlecht zugleich.
Immer wieder werdet ihr auf die Herkunft deines Vaters und Ines, als Frau am Bass angesprochen. Sollte das 2021 noch eine Rolle spielen?
Sammy Amara: Ines und ich sind davon total genervt und hätten am liebsten, dass es keine Erwähnung wert ist. Gerade forcieren wir das allerdings auch etwas. Wir haben das Gefühl, im Moment zwar keine Revolution, aber einen kleinen Umbruch zu erleben – mit Black Lives Matter, Diversität oder der Diskussion ums Gendern. Hier rückt etwas ins Bewusstsein des Mainstreams, was auf lange Sicht das Leben für Menschen, die nicht immer neutral wahrgenommen wurden, erträglicher und besser machen wird. Daher äußern wir uns, wie normal und selbstverständlich das für uns ist.
Wie fühlt man sich als Band aus Düsseldorf, irgendwann den Staffelstab der Toten Hosen weiterzutragen?
Sammy Amara: Da sind wir wieder bei meinem jungen Ich. Selbst als kleiner Oi!-Skin habe ich nichts auf Die Toten Hosen kommen lassen. Das ist eine wichtige Band für mich, ohne die wir nicht da wären, wo wir sind. »Learning English« hat uns gezeigt, was da draußen ist. Dafür bin ich ewig dankbar und finde es super, dass sich der Kreis irgendwann geschlossen hat und wir uns angefreundet haben.
Was machen wir nach der Pandemie?
Sammy Amara: Für viele waren das 13 beschissene Monate in der Schwerelosigkeit. Gott sei Dank tendiert der Mensch dazu, das Schlechte zu vergessen und sich an das Gute zu erinnern. Die erste Zeit nach der Pandemie wird episch. Davon erzählen wir noch unseren Enkelkindern. Wir werden feiern, knutschen und glücklich sein.