■ Zur Leipziger Buchmesse 2018 teilte Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert feierlich mit, dass der Schrifststeller Michael Schindhelm die Kulturhauptstadtbewerbung Dresdens 2025 als Kurator begleiten wird. Schindhelm wurde bereits ein paar Tage davor von einem kurzfristig berufenen Kuratorium, bestehend aus etwa 30 Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur, Lehre und Forschung sowie Wissenschaft und Wirtschaft für diese Aufgabe ausgewählt. Das Kuratorium besteht unter anderem aus Bundesaußenminister a.D. Thomas de Maizière, dem Rektor der TU Dresden Hans Müller-Steinhagen, Sänger Roland Kaiser, der Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Marion Ackermann, dem Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle Christian Thielemann. Dirk Hilbert sieht Schindhelm mit seiner vielfältigen internationalen Erfahrung und Expertise als kräftigen Zugewinn für den Bewerbungsprozess der kommenden Monate. Um genauer zu erfahren, wie Schindhelm seine Arbeit in Dresden und damit auch seine neue Wahlheimat sieht, hat DRESDNER-Autor René Seim das Gesprech mit dem frisch berufenen Kurator der Kulturhauptstadtbewerbung gesucht.
Nach Arbeitsaufenthalten in Städten wie Berlin, Dubai und Basel kommen Sie nun mit vielen nützlichen Erfahrungen ausgestattet nach Dresden. Wie gut kennen Sie Dresden bereits?
Michael Schindhelm: Ich kenne Dresden seit gut 50 Jahren, und habe seitdem viele Etappen seiner Geschichte erlebt. Als Kind habe ich hier oft die Schulferien bei Freunden meines Vaters verbracht, der hier studiert hat. In den 80er Jahren war Wolfgang Engel entscheidend dafür, dass ich mich selbst dem Theater gewidmet habe. Vor circa 15 Jahren habe ich mit dem Theater Basel eine Produktion an der Semperoper gezeigt. Mit Martin Roth gab es einst Pläne einer Zusammenarbeit zwischen den Kunstsammlungen und Dubai. Ich habe während der Jahrhundertflut in Basel Geld für Dresden gesammelt und schließlich 350.000 CHF für die Wiederherrichtung von Kinderspielplätzen auf den Elbwiesen gespendet. Es gab Einladungen zu Buchlesungen und Filmvorführungen, und ich bin eng befreundet mit dem ehemaligen Kulturbürgermeister Lutz Vogel. Gerade habe ich die Biografie eines Teilzeit-Dresdners – Walter Spies – veröffentlicht. Genügt das?
Was heißt es, Kurator der Kulturhauptstadtbewerbung zu sein? Was genau kuratieren Sie?
Michael Schindhelm: Kurator heißt, eine Strategie für das Programm zu entwerfen, heute nennt man sowas gerne »Narrativ«. Außerdem geht es um wesentliche inhaltliche Schwerpunkte, die Kommunikation in der Stadt und darüber hinaus. Natürlich mache ich das nicht allein. Immerhin gibt es ja schon ein bewährtes Team in Dresden, das sich seit einiger Zeit intensiv mit den Vorbereitungen beschäftigt.
Wann kam man seitens der Stadt Dresden erstmals auf Sie zu, um Ihr Interesse als möglichen Kurator für den Bewerbungsprozess zur Kulturhauptstadt 2025 zu gewinnen? Und hatten Sie je Zweifel, ob Sie annehmen sollten?
Michael Schindhelm: Die Gespräche begannen erst vor wenigen Monaten, und es ging eher um die Frage, wie ich mich so intensiv und kurzfristig frei machen kann, wie es die Aufgabe erfordert. Ich habe zwar einst auch Anfragen aus Weimar und Essen gehabt und abgesagt, aber mit Dresden und vor dem Hintergrund meiner eigenen heutigen beruflichen Situation ist es diesmal etwas anderes.
Wie würden Sie jemandem, der sie auf der Straße darauf anspräche, kurz und knapp den Begriff »Kultur« erläutern, den Sie, laut einem Artikel in den DDN, in die gesellschaftliche Mitte rücken wollen?
Michael Schindhelm: Die Wirklichkeit des Menschseins besteht aus zwei Teilen: Natur und Kultur. Ich gehe deshalb so weit zurück, weil die Abgrenzung einzelner Lebensbereiche in Politik, Wirtschaft, U- und E-Kultur etc. nicht mehr den inhaltlichen, ökonomischen und technologischen Herausforderungen und Möglichkeiten unserer Zeit entspricht. Menschen wollen teilhaben an politischen und wirtschftlichen Entscheidungsprozessen, Technologie stellt den Arbeitsmarkt auf den Kopf. Ich habe 1996 einen Text geschrieben mit dem Titel »Das Ende der Arbeit«, wo ich die damals in Ostdeutschland grassierende Arbeitslosigkeit zum Anlass nahm, über eine Umwertung der Werte zugunsten der Kultur aufzustellen. Genau das scheint jetzt begonnen zu haben.
Um ein erfolgsversprechendes Bewerbungskonzept zu erabeiten, das Dresden als Kulturhauptstadt 2025 Deutschland und Europa begeistert, wollen Sie den Dresdner Bürgern zuhören. Wie genau wird das passieren?
Michael Schindhelm: Das Bewerbungsbüro der Landeshauptstadt hat bereits Umfragen gemacht, die zeigen, dass ungewöhnlich viele Dresdner von der Bewerbung wissen. Es gibt Plattformen wie die »Streitbar«. Ich werde mir das alles genau anschauen. Wann immer ich in einer neuen Stadt anfange, lasse ich mir erst von unterschiedlichsten Menschen in der Stadt deren Position darlegen. So entsteht ein dynamisches Bild über die Identität, die Stimmung, die Perspektive, die Friktionen in einer Stadt.
Sie sind bereits seit Sommer 2009 als Kulturberater verschiedener öffentlicher Einrichtungen tätig. Das lässt vermuten, dass Sie sich zügig einen guten Überblick über Schwächen und Stärken von neuen Projekten verschaffen können. Wo sehen Sie derzeit die zweifelsfreien Stärken von Dresden und wo die Schwächen, bezüglich einer erfolgreichen Titelbewerbung?
Michael Schindhelm: Nach meinem Eindruck wird es Zeit, dass der Begriff der Kulturhauptstadt eine weitere Adaption erfährt. Anfangs wurden Städte wie Paris und Berlin gewählt, dann »historische Fixsterne« wie Weimar, dann kam die Welle der postindustriellen Upgrades à la Ruhrgebiet. Doch worum geht es ab 2025 in Europa, in der Welt? Menschen, die dann jünger als 40 sind, haben keine persönliche Erfahrung mehr mit der deutschen Teilung und dem Kalten Krieg. Umgekehrt werden die Digitals ein Alter erreicht haben, in dem sie überall in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen werden. Migration und Globalisierung sowie Künstliche Intelligenz werden unser Leben massiv verändert haben. Eine »traditionell« der Kultur zugewandte Stadt wie Dresden scheint mir deshalb geeignet, die zentralen Themen der mittelfristigen Zukunft auf unserem so fragilen Kontinent zu thematisieren, weil die Kultur als gemeinsamer Nenner dieser Themen bereits so tief in der Identität verankert ist. Dresden muss dieser Zukunft gegenüber, wie jede europäische Stadt, offen und neugierig sein. Wir haben alle eine Menge zu lernen und zu erleben. Ist das nicht schön?
Zur Person: Michael Schindhelm (geb. 1960 in Eisenach) hat nicht nur ein Master of Science in Quantenchemie, er ist auch Schrifststeller und Filmemacher, war zudem als Kulturberater, Dozent und Kurator für internationale Institutionen wie u.a. West Kowloon Cultural District, Hongkong; Strelka Institut Moskau; OMA, Rotterdam; Zürcher Hochschule der Künste, CAFA Peking, NTU Singapore tätig. Zudem war er Gründungsdirektor der Dubai Culture & Arts Authority in Dubai, bevor die Weltfinanzkrise ihn stoppte. Vor seinem Aufenthalt in den Vereinigten Arabischen Emiraten, war er bereits Generaldirektor der Berliner Opernstiftung (2005 bis 2007) und Intendant des Theaters Basel (1996 bis 2006). Neben all diesem Glanz, soll nicht verschwiegen sein, dass Schindhelm in den 1980er Jahren vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR als IM (inoffizieller Mitarbeiter) geführt wurde. Ehrenräte, die 2001 in der Schweiz und 2004 in Deutschland eingesetzt wurden, kamen übereinstimmend zur Auffassung, dass diese Kontakte Schindhelms Wirken in öffentlichen Ämtern nicht infrage stellen.