■ Hier minimalistisch, da Spiegelkugelbombast: Über die Jahre haben Inéz Schaefer und Demian Kappenstein ihren ganz eigenen Kosmos geschaffen. Musikalisch wie visuell gibt es längst die Ätna-Liga, setzt das Dresdner Duo mit ihrem diversen Soundansatz internationale Standards. Mit DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl sprachen die beiden über ihr neues Album »Push Life«, die Arbeit mit Produzent Moses Schneider und ihre Erfahrungen in Russland und der Ukraine.
Wo seht ihr die künstlerische Weiterentwicklung von eurem Debüt »Made By Desire« hin zur neuen Platte?
Inéz: Bei »Made By Desire« hatten wir viel Hall und Raum. Wie ein Panorama. Jetzt schauen wir eher mit der Lupe auf die Songs – super trocken und ohne Hall. Obwohl mehr Effekte auf meinem Gesang liegen, ist auch meine natürliche Stimme öfter zu hören. Im Rahmen der Tour kurz vor Corona, waren gerade die Songs voll das schöne Erlebnis, mit denen man die Leute zum Tanzen bringt. Deshalb finden sich auch mehr tanzbare Sachen auf der Platte. Früher musste sich das Publikum im Ausdruckstanz üben, jetzt kann man im Viervierteltakt rumdancen.
Für »Push Life« habt ihr wieder mit Produzentenikone Moses Schneider zusammengearbeitet. Welchen Anteil hat er an eurem Sound?
Inéz: Wir arbeiten seit fünf oder sechs Jahren zusammen und sind ein total eingespieltes Team.
Demian: Auch die ersten zwei EPs haben wir schon mit ihm gemacht.
Inéz: Moses macht die Einstellungen der Aufnahmen und mischt das Ganze. Andererseits ist er auch beim Entstehen der Stücke dabei. Wenn wir zu einzelnen Teilen eines Songs nur Skizzen haben, ist er es, der uns schon mal sagt, wo es gerade langweilig wird oder man kürzen könnte. Ursprünglich sind wir zu Moses gekommen, weil er der richtige Typ fürs Live-Recording ist. Einer, der eher aus dem Punkumfeld und der Hamburger Schule kommt. Das finden wir total spannend. Wir jammen auch viel vor ihm. Wenn Demian und ich uneinig sind, überlassen wir Moses gerne mal die Entscheidung. Eine unfassbare Bereicherung.
Demian: Keine Idee ist erst mal schlecht. Er hat uns immer schon Mut gegeben.
Klingt nach detailverliebten Nerds … ?
Inéz: Ich bin schon sehr perfektionistisch und Moses ist ein absoluter Soundnerd. Durch dieses Album hat sogar er sich nochmal weiterentwickelt und in puncto Klang noch einiges herausgefunden.
Demian: Das verhält sich bei uns wie mit zwei Polen. Detailverliebtheit und Perfektionismus auf der einen, ein Plädoyer dafür, Dinge passieren zu lassen auf der anderen Seite. Ich liebe Zufälle.
Ihr habt euch an der Hochschule für Musik in Dresden kennengelernt. Gibt es bei so einem Background immer auch den Plan, die Musik auf monetär sichere Beine zu stellen?
Demian: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Natürlich lernt man an der Musikhochschule alles rein Musikalische. Der technisch-logistische Ablauf aber kommt zu kurz. Wo muss man welche Musik anmelden? Gibt es die Möglichkeit, damit tatsächlich Geld zu verdienen? Musikalisch ist man also gut ausgebildet, fragt sich ansonsten aber, wie das alles gehen soll? Man will nicht Gefahr laufen, die eigene Musik durch Entscheidungen zu verfälschen. Schließlich geht es darum, eine eigene Vision zu verbreiten. Viele müssen nach dem Studium da erst mal ihren Platz finden.
Im Video zum Song »Trick by Trick« gibt es viel Bling-Bling. Ein ironischer Verweis auf die Stereotype des Business und gleichzeitig ein gewollter Zwiespalt?
Inéz: Auf jeden Fall.
Demian: Ein an Hip-Hop angelehntes Video ist uns bislang noch nicht untergekommen. Das wollten wir uns von der Ästhetik her jetzt mal gönnen. Vieles davon ist ja auch total geil: das musikalische Gewand, die Art des Beats, der Rap.
Inéz: Oder Autotune. Wir wollten mit Klischees arbeiten und haben da auch nichts ausgelassen.
Ist Ätna noch Band oder schon Gesamtkunstwerk?
Inéz: Das muss jeder für sich entscheiden. Wir gehen immer von der Musik aus. Direkt im Anschluss arbeiten wir mit einem Team von Freunden und überlegen uns visuell witzige Sachen, auf die wir Bock haben. Es ist wunderschön, zur Musik eine zweite Ebene, einen Kontrast oder eine Doppelung kreieren zu können.
Wenn eure Musik ein Gebäude wäre, welcher architektonische Stil würde ihr entsprechen?
Demian: Ich würde sagen, ein Leuchtturm. Etwas, indem man nicht so gut wohnen kann.
Inéz: Ein Gebäude von Hundertwasser.
Demian: Ein Leuchtturm von Hundertwasser.
In einem früheren Interview mit dem DRESDNER Kulturmagazin habt ihr von einem Trip nach Russland gesprochen. Wie habt ihr die kreative Szene vor Ort empfunden und kennengelernt?
Demian: Jung und urban. Auch in vermeintlich ländlichen Regionen bis hin nach Sibirien. Wir haben das Land mit dem Zug bereist. Häufig gab es in den Orten jugendliche Cliquen, die mit teilweise limitierten Mitteln, aber totaler Leidenschaft Kultur überhaupt erst ermöglicht haben. Eine Art subkulturelle Szene, ohne staatliche Förderung oder feste Strukturen. Das war irre zu sehen. Da war so ein Punch dahinter. Auch die Sehnsucht nach Ferne der Leute, die wir dort kennengelernt haben, war immens. Das gilt auch für die Ukraine. Wir haben ein Musikvideo in Kiew gedreht. Auch dort haben wir Menschen kennengelernt, die wie wir an ihrer Kunst arbeiten. Das ist alles sehr vergleichbar und intensiv.
Eine Pro-Putin-Einstellung sucht man bei den von euch beschriebenen Kreativen in Russland wahrscheinlich vergebens?
Inéz: Das haben wir da gar nicht erlebt.
»Push Life« erscheint am 1. April; die Ätna-Tour startet am 24. März in der Schweiz, in Dresden sind Ätna dann am 6. und 7. Juli live im Beatpol zu erleben. Mehr zur Band: www.atnaofficial.com/