■ Es ist ein Film, der all jene erhellen dürfte, die immer noch nicht verstehen können, wie Donald Trump Präsident werden konnte. In John Maddens Politthriller »Die Erfindung der Wahrheit« brilliert Jessica Chastain als knallharte Waffenlobbyistin, die sich durch einen verbalen Ausrutscher plötzlich in einer konkurrienden Firma auf der Gegnerseite wiederfindet. DRESDNER-Autor Martin Schwickert sprach mit dem Regisseur über Faszination für seine Frauenfigur und wie authentisch der Film die politische Landschaft Washingtons abbildet.
Elisabeth Sloane ist eine Lobbyistin, die in keinster Weise um Sympathien buhlt. Wie bringt man eine solche Figur dem Publikum nahe?
John Madden: Es ist nicht die Aufgabe eines Regisseurs, Filme über liebenswerte Menschen zu machen. Aber es ist unsere Pflicht, die Menschlichkeit in jeder Figur zu zeigen. Elisabeth ist eine Figur, die ihre Menschlichkeit fast vollkommen beiseite geschoben hat, weil sie ihrem Beruf, den sie obsessiv ausübt, im Wege steht. Dennoch bauen wir zu der Figur eine Beziehung auf, denn sie tut das, was uns als Menschen definiert: Sie macht Fehler.
Sie verzichten auch auf jegliche Psychologisierungen?
John Madden: Ja, wir haben bewusst darauf verzichtet ihr Verhalten psychologisch zu erklären. Elisabeth ist eine Frau, die immer auf eigene Rechnung arbeitet. Sie hat nicht das Bedürfnis sich zu erklären. Die Hollywood-Orthodoxie, die ein Kindheitstrauma aus dem Hut zaubert, um das Publikum auf die Seite der Protagonistin zu ziehen – das ist mir einfach zu langweilig.
Hätte der Film auch mit einer männlichen Hauptfigur funktioniert?
John Madden: Nein. Der emotional dysfunktionale Outlaw, der sich gegen das System stellt, ist einer der klassischen Charaktere des amerikanischen Kinos. Die Tatsache, dass es in diesem Fall eine Frau ist, macht es sehr viel interessanter.
Inwieweit ist die Figur davon geprägt, dass sie sich als Frau in einer männerdominierten Welt durchsetzen muss?
John Madden: Es gibt viele mächtige Frauen im politischen Establishment in Washington, aber sie sind immer noch in der Minderheit. Und wir haben gerade erlebt, wie eine Frau, die glaubte ins Weiße Haus einziehen zu können, systematisch dämonisiert und entwertet wurde. Elisabeth Sloane ist eine Frau, die sich nie über ihre Geschlechtszugehörigkeit definieren würde, aber natürlich hat sie ihr Handwerkszeug in einer Männerwelt gelernt, in der sie sich ihren Platz erkämpfen musste. Sie wendet keinerlei »weibliche« Tricks an, um ihre Ziele erreichen, sondern arbeitet mit Argumenten, Überredungskunst und vor allem mit gezielten Überraschungen. Unser Film interessiert sich sehr für Gender-Politik, versteht sich aber weder als feministisches Traktat oder eine politische Polemik, sondern als Studie einer komplexen Frauenfigur, die sich durch eine sehr interessante Welt voller Widersprüche bewegt.
Wie nah ist der Film an der politischen Realität in Washington?
John Madden: Natürlich arbeiten nicht alle Lobbyisten mit solch harten Bandagen. Aber wir wollten zeigen, wie die politischen Narrative kontrolliert werden. In dieser Hinsicht ist die US-Waffenlobby ungeheuer erfolgreich. Sie hat immer wieder die Kontrolle der öffentlichen Diskussion um dieses Thema erlangt. Kein Mensch außerhalb der USA versteht, warum es über Jahrzehnte kein Gesetz durch den Kongress geschafft hat, das den Waffenbesitz im Land reguliert. Wie wichtig die Kontrolle der Narrative ist, wird in der aktuellen politischen Situation immer deutlicher. Fake-News und das postfaktische Zeitalter sind unmittelbare Resultate dieser manipulativen Bestrebungen. Wir leben in einer Zeit, in der es keinen Respekt mehr vor dem politischen Diskurs gibt.
Dieser Film zeigt, wie diese Narrative erschaffen werden und sich gegen alle Fakten durchsetzen.
»Die Erfindung der Wahrheit«, ab 6. Juli im Ufa-Palast und Pk Ost. USA/Frankreich 2016, Regie: John Madden, mit: Jessica Chastain, Mark Strong, Sam Waterston u.a. Zum Trailer: http://youtu.be/BKbCAxsKTVg