DRESDNER Interviews / O-ton!
Die Welt krankt – Im Gespräch mit Ostrale-Leiterin Andrea Hilger (Foto: blaurock markenkommunikation)
Im Gespräch mit Ostrale-Leiterin Andrea Hilger (Foto: blaurock markenkommunikation)
■ Die 14. Ostrale mit dem Titel »kammer_flimmern« findet in diesem Jahr wieder in der robotron-Kantine statt. Für die diesjährige Ausgabe haben die Kuratorinnen Andrea Hilger und Antka Hofmann sowie die Kunsthistorikerin Lisa Uhlig entschieden, auf 3.000 Quadratmetern eine Auswahl von Künstlern der vergangenen 17 Jahre auszustellen. DRESDNER-Autorin Isabell Sterner hat Andrea Hilger getroffen, um mit ihr über die kommende Ostrale zu sprechen.

Der Titel der Ausstellung ist »kammer_flimmern«, also eine tödliche Herzrhythmusstörung. In welchem Zusammenhang steht er mit der Ausstellung?

Andrea Hilger: Die Welt krankt und wir müssen jetzt handeln. Beim Kammerflimmern hat man die Chance, den Menschen zu retten, wenn man sofort handelt. Die Kammer und das Flimmern als Einzelnes gesehen sind aber auch Teile der Ausstellung. Während die Kammer Schutz- und Isolationsraum in einem ist, kann das Flimmern, als ausschlagende Bewegung, eine Metapher für eine intime Auseinandersetzung mit den Werken der Ausstellung sein, welche die architektonischen Grenzen des Raumes sprengt. Damit gemeint ist, dass wir vielleicht in eine »Aktive« kommen, was den Kreis wieder zu seiner medizinischen Bedeutung schließt. Denn was die Gesundheit unserer Umwelt und unseres Miteinanders betrifft, ist es nicht mehr fünf vor, sondern fünf nach zwölf und dementsprechend unbedingtes Handeln notwendig.

Welches Potential sehen Sie in zeitgenössischer Kunst in der krisengezeichneten Gegenwart?

Andrea Hilger: Schon im Mittelalter hat Hieronymus Bosch die Pest oder Cholera dargestellt. Meiner Meinung nach ist er ein schönes Beispiel dafür, wie lange die Kunst schon auf den Ist-Status der Welt und Gesellschaft schaut und über einen humoresken Ansatz das Denken der Menschen verändern möchte. Die Leute im Draufblicken mitzunehmen und übers Lachen sich vielleicht auch selbst auszulachen, verhindert hoffentlich eine ausweglose Krisenkonstatierung. Schlussendlich steht jeder mit sich selbst vor einem Werk und die Auseinandersetzung ist dementsprechend höchst individuell. Mit den Problemfeldern der Gegenwart also auf ästhetischer, emotionaler oder sinnlicher Ebene in Verbindung zu treten, schafft einen einmaligen Erfahrungsmoment; uns wird hier weder etwas aufdiktiert, noch etwas von uns verlangt. Vielmehr kommen wir in eine fast spielerische Kontemplation, die uns neben einer Reflexionsebene von ganz alleine auch neue Handlungsoptionen gibt. Im besten Fall entsteht ein Wachrütteln.

17 Jahre sind eine lange Zeit. Was verbindet die Künstler der Ostrale?

Andrea Hilger: Es kommt immer wieder vor, dass es Überschneidungen oder gar Deckungsgleichheit bei Kunstwerken hier auf der Ostrale gibt. Beispielweise hatten wir vor ein paar Jahren einen Künstler aus Mexiko und einen aus Dresden, die das gleiche Bildformular für ihre Arbeit nutzten, obwohl sie aus völlig anderen Lebensrealitäten kamen. Das zeigt, wie verbunden und global gegenwärtige Problemfelder sind und der künstlerische Umgang mit ihnen.

Die robotron-Kantine als ehemaliger DDR-Bau trägt seine Geschichte im Namen. Wie reagiert die Ausstellung auf ein solches Gebäude? Schafft sie Bezugspunkte, oder behandelt sie ihn als semi white cube?

Andrea Hilger: Generell war es immer schwierig, einen großflächigen Raum für Kunst zu finden, der die Vielfältigkeit, in der wir als Künstler unterwegs sind, fassen kann. Deshalb sind wir sehr froh, nun hier in der robotron-Kantine zu sein. Und nebenbei erwähnt, fanden hier ja auch schon zu DDR-Zeiten Kulturveranstaltungen statt. Der Ort wird innen und außen bespielt, denn die Besucher sollen buchstäblich reingezogen werden, bevor sie im ersten Raum ein kompletter Reset erwartet – wozu ich aber an dieser Stelle noch nichts verrate. Wir achten sehr darauf, dass die alten Strukturen des Gebäudes erhalten bleiben und mit der Ausstellung eine Symbiose eingehen.

Was wünschen Sie sich für diese Ostrale?

Andrea Hilger: Für die Kunst generell, aber natürlich auch für die Ostrale, wünsche ich mir, dass wir irgendwann genauso viel Publikum haben wie beim Fußball. Dass Kunst und Kultur ein Grundbedürfnis der Menschen unserer Gesellschaft wird – das wäre schön.
Vielen Dank!

Die Ostrale – Biennale für zeitgenössische Kunst, vom 10. Juni bis 1. Oktober in der robotron-Kantine zu sehen. Öffnungszeiten: Mi-So 10 bis 19 Uhr; www.ostrale.de

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