■ Franzobel ist einer der populärsten deutschsprachigen Schriftsteller – und er polarisiert gern. Während des Corona-Lockdowns sprach er sich in einem kontrovers diskutierten NZZ-Artikel gegen den Überwachungsstaat, die Anschwärzungsmentalität und die Beschneidung der Grundrechte aus, die im Gewand eines allgemeinen Dienstes für die Gesundheit daherkamen. Sein aktueller Roman »Rechtswalzer« entwirft das sehr nahe Bild eines Österreich, das von einer Rechtsaußen-Einheitspartei regiert wird. Das sind vielversprechende Voraussetzungen: wenn er am 7. Juli sein Amt als neuer Stadtschreiber antritt, wird unser schönes Dresden in der Folgezeit hoffentlich nicht ungeschoren davonkommen. DRESDNER-Autorin Annett Groh hat mit dem Autor gesprochen.
Sie bringen jedes Jahr ein neues Buch heraus – oder zwei. Worüber sprechen Sie lieber: über das letzte Buch, über aktuelle Projekte oder über ganz andere Dinge?
Franzobel: Zwei Bücher im Jahr ist übertrieben – ich schreibe schon meistens längere Zeit an einem großen Roman. Das Problem ist, dass man meistens über Bücher sprechen muss, die gerade erschienen sind. Es liegt dann aber manchmal schon zwei oder zweieinhalb Jahre zurück, dass man damit fertiggeworden ist. Andererseits: Über Projekte zu sprechen, die gerade in Arbeit sind, das ist immer so ein bisschen wie über ungelegte Eier zu reden, also auch nicht ganz leicht.
Wieviel Mut hat der Roman »Rechtswalzer« erfordert?
Mut ist eine sehr schwierige Kategorie. Ich halte mich nicht für besonders mutig, weil ich ja im österreichischen, im westeuropäischen Raum relativ frei schreiben kann. Meine Existenz, mein Leben sind nicht wirklich bedroht. Es gibt zwar hin und wieder Anfeindungen, Leserbriefe, Postings – wirkliche Drohungen habe ich aber noch nicht bekommen. Insofern ist der notwendige Mut ein wesentlich kleinerer als in manch anderen Ländern. Aber es ist schon eine Eigenschaft von mir, dass ich mich an Autoritäten, an herrschenden Wahrheiten oder Meinungen reibe. Dass ich eigentlich immer das mache, was man nicht machen darf. Das hat vielleicht etwas Infantiles, oder etwas Revolutionäres, Anarchistisches. Weil ich immer so ein bisschen dagegenarbeite und Grenzen, die man nicht überschreiten soll, hinterfrage, überprüfe – oder eben doch überschreite.Was den »Rechtswalzer« anlangt, so war das nicht so mutig. Ich hatte ihn zuerst anders konzipiert, mit klar erkennbaren Bezügen zur aktuellen österreichischen Politik. Ich war schon mehr oder weniger fertig mit dem Buch, da habe ich es in die Zukunft verlegt, um Analogien zu Kurz und Strache, die damals regiert haben, zu vermeiden. Das war auch eine Rettung für den Text, weil er nach Ibiza überholt gewesen wäre. Obwohl damit nicht wirklich zu rechnen gewesen war. Als ich das Buch geschrieben habe, bin ich davon ausgegangen, dass diese Koalition lange Zeit Bestand haben wird. Dass sie so schnell zerbröckelt, war eigentlich nicht zu erwarten gewesen.
Mit Mut meinte ich gar nicht so sehr die politische Ebene, sondern die menschliche. Viele Stellen in dem Buch sind doch recht grausam. Was war schwieriger: der Blick hinter die Fassade der Gesellschaft, oder das Schreiben der Vergewaltigungsszenen?
Franzobel: Die Szenen im Gefängnis? Das kann man mit Schwierigkeitskategorien gar nicht beantworten. Mich hat das interessiert, und ich habe über Gefängnisse recherchiert. In Österreich lesen wir ständig so kleine Meldungen, dass wieder ein Häftling seine Zelle angezündet hat, dass einer sich aufgehängt hat, dass es Spitalsaufenthalte gibt – so ganz schlimme Dinge, die man aber zur Seite schiebt und die von den Medien nicht groß beachtet werden. Vielleicht sind die Gefängnisse in Deutschland ein bisschen humaner, aber auch da wird es genug Gewaltexzesse geben. Es ist eigentlich erschreckend, dass es diese tolerierte Parallelwelt gibt, die so viel gewalttätiger als unsere öffentliche Welt ist – dass es sie geben kann und dass wenig dagegen unternommen wird. Die Popularmedien sind ja nach wie vor für einen harten Kurs. Wenn jemand sagt, die Insassen sollen menschlich behandelt werden, dann heißt es gleich: »Das sind Mörder, Vergewaltiger und Kinderverzahrer, wie man auf österreichisch sagt. Die haben es nicht anders verdient, die gehörten sowieso … denen geht es noch viel zu gut.« Andererseits, wenn man weiß, dass es erschreckend viele Leute gibt, die unschuldig ins Gefängnis kommen – darüber gibt es Statistiken, die ich jetzt aber nicht im Kopf habe.
Die andere Seite war aber wirklich politisch. Wir hatten damals das Schreckgespenst, dass eine rechte Regierung das Land übernimmt und schrittweise daran arbeitet, ein der Diktatur nahestehendes System zu etablieren. Was wir jetzt komischerweise mit Corona durch eine unerwartete Hintertür erst recht erlebt haben. Aber da haben alle Parteien mitgemacht. Das war dann eher diese Gesundheits … diktatur darf man nicht sagen, aber dieser Gesundheitswahn, der alles auf den Kopf gestellt hat.
Hätten wir denn eine Wahl gehabt?
Franzobel: Naja, das weiß ich auch nicht. Nein, wahrscheinlich nicht. Das Schreckgespenst der Angst war so groß, dass niemand es riskieren wollte, einen anderen Weg zu gehen. Und die Länder, die das nicht gemacht haben, haben sehr teuer dafür bezahlt. Man muss wirklich froh sein, dass man durch die sogenannte erste Welle einigermaßen unbeschadet durchgekommen ist. Aber es war schon erschreckend, wie da sehr undemokratisch die Leute entmündigt worden sind und wie sich anfangs kaum Widerstand geregt hat. Es gab ja auch Ideen mit Handytracking – Überwachung ist plötzlich wichtiger gewesen als alles andere. Wobei ich das in diesem Fall irgendwie auch einsehe: es geht um das Überleben einer Gesellschaft, und niemand wollte solche Zustände, wie sie in Italien geherrscht haben. Also ist da das Wohl des Einzelnen nicht so viel wert wie das Wohl der Gesellschaft. Das alles hat interessante Fragen aufgeworfen.
Jetzt ein scharfer Themenwechsel: Geben Sie mir doch spontan mal drei Assoziationen zu Dresden!?
Franzobel: Drei Assoziationen zu Dresden …
Oder eine, das reicht vielleicht auch schon ... ?
Franzobel: (Lacht.) Das erste, was mir einfällt, ist Sascha Horvath. Das ist ein österreichischer Fußballspieler, der bei Dynamo Dresden spielt.
Okay, davon habe ich nun gar keine Ahnung ... ?
Franzobel: Ja, das kann ich mir eh vorstellen. Er hat mir ein bisschen was über Dresden erzählt. Aber: ein guter Grund für mich war, dass ich hier ein bisschen über die DDR recherchieren möchte. Um vielleicht aus österreichischer, etwas unbefangenerer Sicht einen DDR-Roman zu schreiben.
Sie waren schon an anderen Orten Stadtschreiber – was wünschen Sie sich von Dresden?
Franzobel: Wünschen würde ich mir, dass ich interessante Leute kennenlerne, die mir spannende Geschichten erzählen. Das ist doch die Hauptsache, warum man irgendwohin fährt.
Franzobel (*1967), eigentlich Franz Stefan Griebl, erhielt u. a. den Ingeborg-Bachmann-Preis (1995), den Arthur-Schnitzler-Preis (2002) und den Nicolas-Born-Preis (2017). Sein 2017 erschienener Roman »Das Floß der Medusa« stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis und wurde mit dem Bayerischen Buchpreis ausgezeichnet. Zuletzt erschien 2019 »Rechtswalzer«, ein dystopischer Kriminalroman: Im Österreich des Jahres 2024 ist eine neue Partei an die Macht gekommen und höhlt langsam das demokratische System aus. Die meisten Leute schweigen dazu, weil es ihnen anscheinend besser geht mit den Populisten. Andere jedoch kommen unter die Räder. Während der Protagonist Malte Dinger lernt, wie schnell man in einer Diktatur auch als braver Bürger nach unten fallen kann, ermittelt Kommissar Groschen in einem Mordfall, in den auch die Partei verwickelt ist.
Antrittslesung von Franzobel findet am 9. Juli 2020 um 19.30 Uhr im Kulturpalast statt. Die Lesung gibt es auch per Live-Stream über www.literaturnetz-dresden.de