■ Wie wohl kein anderes technisches Gerät hat das Auto unsere Umwelt und auch unser Zusammenleben beeinflusst. Man denke nur an die Stadtplanungen einer autogerechten Stadt den Flächenverbrauch für Straßen, die Lebensräume für Mensch und Tier zerschneiden. Auch die Behauptung von der »Freien Fahrt für freie Bürger« ist inzwischen löchriger als die Asphaltdecke so mancher Autobahn, jeglicher Anflug von Fahrspaß verebbt regelmäßig im nächsten Stau. Am »Mythos Auto« blättert also der Lack, dennoch scheint scheinbar unbegrenzte Mobilität in unserer Welt zu einem Grundbedürfnis gewachsen zu sein und unzählige Anekdoten, Erlebnisse und Familiengeschichten werden im Zusammenhang mit einem Auto erzählt. Für die Uraufführung »Asphalt« hat der Leiter der Bürger:Bühne, Tobias Rausch (Foto), Geschichten gesammelt und zu Szenen zusammengestellt, die das Faszinosum Auto und Mobilität in zahlreichen Facetten beleuchten und erzählen sollen. Der Regisseur, der unter den Theatermachern als Forscher und Grenzgänger gilt, erläutert im Gespräch mit DRESDNER-Herausgeberin Jana Betscher, wie er im Rahmen seiner theatralen Installation am Neumarkt den Fragen und Widersprüchen rund ums Auto nachgehen will.
Wie sind Sie als Nicht-Führerscheinbesitzer auf die Idee gekommen, sich mit dem Auto zu beschäftigen?
Tobias Rausch: Damit erfülle ich mir auch ein wenig einen Kindheitstraum. Denn immer, wenn ich mit meinen Eltern im Stau stand, war ich sehr neugierig, was wohl im Auto nebenan besprochen wird. Ich hatte das Bedürfnis, an diesem kurzen Ausschnitt eines anderen Lebens teilnehmen zu dürfen. Und natürlich gibt es da auch den Ansatz, dass das Auto erheblich zur einer Veränderung der westlichen Welt beigetragen hat und wir jetzt wieder an dem Punkt stehen, wo grundsätzliche Veränderungen des Autoverkehrs breit diskutiert werden.
Also erwartet uns ein politischer Diskurs?
Tobias Rausch: Es geht uns nicht darum, eine moralische Botschaft zu senden, sondern die Geschichten, die es in der Gesellschaft über das Auto gibt, auch in ihrer Widersprüchlichkeit zu zeigen. Wir versuchen zu erforschen, welche Beziehungen wir zum Auto entwickeln. Denn wir nutzen das Auto ja nicht nur, um von A nach B zu kommen. Es gibt ganz unterschiedliche Ebenen der emotionalen Bindung. Es kann ein Schutzraum, ein zweites Zuhause mit den Spuren des Lebens oder ein Statussymbol sein, oder auch sexuelle Komponenten aufweisen. Autos haben also etwas mit dem individuellen Charakter zu tun und die Identifikation ist groß, wenn auf die Frage, wo das Auto geparkt sei, geantwortet wird: »Ich stehe dort hinten. Kennen sie jemanden, der seine Waschmaschine mit Spiegelfolie abgeklebt und seinen Staubsauger tiefer gelegt hat« , fragte einer der Mitspieler, der Fahrlehrer ist. Auto ist mehr als Transportgefährt, es ist Teil und Ausdruck der Persönlichkeit.
Welche Geschichten werden von welchen Personen erzählt?
Tobias Rausch: Wie immer bei der Bürger:Bühne spielen Bürgerinnen und Bürger aus Dresden. Wir suchten nach Menschen, die eine besondere Beziehung zum Auto haben. Die Mischung ist sehr bunt. Vom Automobil-Ingenieur, der Fahrassistenzsysteme entwickelt hat, über einen KFZ-Mechaniker, einen Fahrlehrer bis hin zu privaten Erlebnissen mit und im Auto. Es wird das ganze Spektrum abgeschritten: Ein Mann erzählt eine ergreifende Liebesgeschichte, die in einem Auto begonnen hat und auch da zu Ende gegangen ist. Oder die Geschichte einer Frau, die in einen Verkehrsunfall verwickelt war und selbst nicht mitspielen kann, weil sie noch immer stark traumatisiert ist. Also alles, was das Auto für uns ausmacht: schöne Erlebnisse, Notwendigkeiten aber auch tragische Ereignisse.
Wenn die Verkehrsökologin über das Thema Mobilitätsgerechtigkeit spricht, ist es eigentlich die logische Konsequenz, dass wir einen radikalen Schnitt machen müssten: Das Auto hat keine Zukunft. Auf der anderen Seite haben wir eine Frau, die immer nur Mitfahrerin war, für sie extrem stressig. Irgendwann hat sie beschlossen, selbst zu fahren – hier ist das Auto ein Akt der Emanzipation und Freiheit. Ebenso wie für eine Mitspielerin aus Tunesien, die von ihrer Familie her keinen Führerschein machen durfte und jahrelang heimlich gearbeitet hat, um das Geld dafür zusammen zu bekommen. Bei diesen Widersprüchen kann man keine alleingültige Entscheidung fällen. Es bleibt als Widerspruch bestehen.
Und wie müssen wir uns das Geschehen dann genau vorstellen?
Tobias Rausch: Wir inszenieren auf dem Neumarkt einen Stau aus 40 Autos. Um eine einigermaßen realistische Verkehrssituation zu simulieren, stellt uns das Verkehrsmuseum drei historische Fahrzeuge zur Verfügung, von den DVB bekommen wir einen Bus und von der SK Baumaschinen einen Bagger. Alle anderen Fahrzeuge sind aus privater Hand. Das Publikum und die Spieler sitzen in den Autos. Es stehen immer zwei Autos nebeneinander, wie an einer roten Ampel. Man kann ins Nachbarauto reingucken und aber auch hören, was darin passiert. Insgesamt gibt es 18 Stationen mit Geschichten, die erzählt werden. Und dann gibt es noch Szenen, die stattfinden. Wir haben eine sehr intime Spielweise gewählt und auch die Geschichten, die erzählt werden, sind jetzt so inszeniert, dass der Eindruck entsteht, jemand teilt etwas ganz Intimes mit. Diese Exklusivität macht es zu einem besonderen Erlebnis, zumal nur zehn Aufführungen geplant sind.