■ Berühmt für seinen geschmeidigen Bariton ist Gregory Porter heute einer der bekanntesten Jazz-Sänger unserer Zeit. DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl unterhielt sich anlässlich dessen Auftritts zu den Jazztagen mit der Musikgröße über die heilende Kraft von Songs, Stimmpflege auf Tour und leidigen Rassismus beim Autokauf.
Was war die erste Musik, an die Sie sich erinnern, die bei Ihnen daheim gespielt wurde?
Gregory Porter: Die Gospel-Platten meiner Mutter – Mahalia Jackson oder James Cleveland. Ich bin mit dem Klang von Kirchenchören und solchen Sachen aufgewachsen.
Vor Ihrer Musikkarriere wären Sie beinahe Profi-Football-Spieler geworden, mussten aber wegen einer Schulterverletzung aufhören. Rückblickend ein Segen?
Gregory Porter: Damals meinte ein Arzt, dass es nicht heilen wird. Ich rief meine Mutter an und weinte. Sie ermutigte mich, indem sie daran erinnerte, dass mein Stipendium fürs College dadurch nicht verfällt. Ohnehin fand sie es gut, dass ich nun nicht mehr andauernd umgerempelt werde. Das gefiel ihr an diesem Sport nämlich gar nicht. Am Telefon machte sie mir klar, dass ich von jetzt an mehr Zeit für die Musik haben werde. Damals habe ich das als mütterlichen Optimismus abgetan, heute sehe ich es anders. Der Sport und sein Teamaspekt sind etwas Außergewöhnliches, das erlebe ich aber auch innerhalb meiner Band. Wenn ich heute in einen emotionalen Song einsteige, habe ich das Gefühl, den Leuten eine Botschaft zu übermitteln. Ich bin am richtigen Platz – das ist es, was ich tun soll.
Songs wie »Mister Holland« aus dem Album »All Rise« behandeln das Thema Rassismus. Hat sich seit den Black-Lives-Matter-Protesten in Reaktion auf die Ermordung George Floyds etwas verbessert?
Gregory Porter: Hier sollte man immer Lehren aus der Vergangenheit ziehen und die Regeln der Menschlichkeit achten. Wenn die Ideen von Demokratie, Fairness, Freundlichkeit und Gleichheit nicht erneuert und gepflegt werden, wenn dieser Boden nicht kultiviert, angereichert und gedüngt wird, dann wird er sterben und wir werden in dunkelste Zeiten des Egoismus und der Spaltung zurückfallen. Von daher ist also manches besser, einiges aber auch schlimmer geworden.
Wie erleben Sie das persönlich?
Gregory Porter: Ich will nicht sagen, dass meine Kämpfe die gleichen sind, wie sie meine Mutter zu kämpfen hatte. Manchmal ist es mehr, manchmal weniger. Schon mein Vater hatte einige Möglichkeiten, die er aber oft nicht wahrnahm, ganz einfach, weil er wusste, dass deren Umsetzung nicht realisierbar war. Heute sage ich mir, dass es nichts gibt, was ich nicht tun und keinen Ort, an dem ich nicht sein sollte. Ob man es glaubt oder nicht, es existieren aber auch für mich immer noch seltsame Barrieren. Die sind manchmal rassistischer, dann wieder sozial-ökonomischer Natur. Da spielt es keine Rolle, wie erfolgreich ich bin. Diese bestimmte Art der Befangenheit erlebe ich genauso. Wenn ich zum Beispiel ein schickes Auto kaufen will, ist es nie so, wie ich es mir in meinen Träumen vorstelle: Freundlich, voller Wärme und Anmut, dass man sich freut, mich zu sehen. Nein, wenn ich einen Porsche kaufen will, ist das verdächtig und es wird sich mehrfach rückversichert, ob ich mir auch ganz sicher bin, dass mein Konto gedeckt ist. Mit solchen Geschichten könnte ich ein ganzes Buch füllen. In meiner Musik wiederum gibt es die Sehnsucht, dass sich diese Dinge in Luft auflösen.
Ebenfalls auf »All Rise« findet sich das Stück »Thank You«. Es ist direkt an Ihren Bruder adressiert. Der starb 2020 an Corona, kurz darauf verlor Ihre Schwester den Kampf gegen Brustkrebs. War Musik in dieser Zeit für Sie ein Ort, an den man gehen kann, um auf eine sehr persönliche Weise zu trauern?
Gregory Porter: Das trifft es ganz gut. Meine Mutter ist schon seit vielen Jahren tot, aber ich beschwöre und ehre sie immer noch, indem ich von ihr in meiner Musik spreche. Manchmal ist es nur ein kurzes Stück Text, aber sie ist da. Das ist ein Teil meiner persönlichen Therapie. Auch die Liebe, die ich für meinen Bruder empfinde, der Wunsch nach dieser Art von Zuneigung, Freundschaft und Verbindung zu anderen Menschen wird als Botschaft weiterhin durch meine Musik transportiert. Im angesprochenen Song »Thank You« gibt es eine Stelle, in der ich vom grob geschliffenen Stein singe, den ich nicht selbst polieren konnte und der von jemand anderem bearbeitet werden musste. Das ist die Energie, die mein Bruder für mich war. Er hat etwas gesehen, bevor ich es gesehen habe, und mit mir auf eine Art und Weise geprahlt, wie ich es vorher nicht kannte. Ich war sehr schüchtern, daher war mir das ziemlich peinlich. Mein Bruder aber war das glatte Gegenteil. Er hat immer an mich geglaubt, war die Hand an meinem Rücken, die mich antreibt und nach vorne schiebt. Das hat mich unglaublich ermutigt und hilft mir bis heute.
In diesem Herbst werden sie in Europa auf Tournee sein. Eine oft nasse und regnerische Angelegenheit. Wie achten Sie da auf Ihre Stimme?
Gregory Porter: Ich beanspruche sie nicht übermäßig und versuche extreme Hitze wie Kälte zu meiden. Meine Stimme erholt sich zum Glück schnell. Das erlaubt mir viele, aufeinanderfolgende Auftritte zu absolvieren. Manchmal gönne ich mir einen Whiskey oder Cognac, aber ich übertreibe es nicht. Ich spiele zwar Shows vor zehn- oder fünfzehntausend Leuten in Hallen, in denen auch große Rockkonzerte stattfinden, pflege aber selbst keinen Rock-Lifestyle. Da gibt es keinen Haufen Koks.
Ihre Musik strahlt viel Optimismus aus. Wenn man sich die Welt im Moment anschaut: Kann man die Zuversicht da nicht verlieren?
Gregory Porter: Vielleicht habe ich eine passiv-aggressive Persönlichkeit, aber mir geht es vor allem um das Zurückdrängen der gegenwärtigen Negativität. Ein Push-Back ohne rosarote Brille. Das passiert in meinen Liedern ständig. Wir haben die Wahl, Spaltungsversuchen zu erliegen oder uns bewusst für die Liebe und den Frieden zu entscheiden. Und ich sage nicht, dass es dabei nicht um den Kampf für die richtige Sache geht. Ich mache Musik, aber nicht für ein Genre. Ich tue es nicht, um meinen Namen an der Spitze zu etablieren, sondern um ins Herz der Menschen zu treffen und sie etwas fühlen zu lassen. Was ich mache, dient auch einer gewissen spirituellen Befriedigung – nicht im religiösen Sinn, sondern als Glaube der Jazz-Gemeinschaft an sich selbst. An die Liebe und all das, was mich an der Musik bewegt. Von Nat King Cole und Donny Hathaway bis hin zu Marvin Gaye. Ich glaube nicht, dass ich diese Größe erreiche, aber ich werde von ihr beeinflusst.