■ Die Gattungsbezeichnung »Grand opéra« ist bei »Les Troyens / Die Trojaner« buchstäblich zu nehmen. Denn als Hector Berlioz seine Oper über den Aufstieg und Fall der Städte Troja und Karthago schrieb, war er fest entschlossen, alles aufzubieten, was auf einer Opernbühne machbar ist: große Chöre, Ballettszenen, eine wahrhaft imposante Orchesterbesetzung und natürlich schwelgerische Gesangspassagen und Tragödien, die nach der Existenz des Menschseins greifen. Bis zu 300 Darsteller sollten sich gleichzeitig auf der Bühne tummeln, ein Ansinnen, das auch schon damals den Theaterdirektoren ein Schaudern über den Rücken jagte und weswegen die Oper in der Gesamtfassung kaum zur Aufführung gelangte. Auch für die Inszenierung in Dresden bedurfte es einiger Striche, um den dramaturgischen Spannungsbogen der Oper an einem Abend zu bewältigen. Wie dies gelingen kann, erfragte DRESDNER-Herausgeberin Jana Betscher bei der Regisseurin Lydia Steier und der Dramaturgin Anna Melcher.
Allein drei Chöre wirken bei»Die Trojaner« mit. Eine ganz praktische Frage: Wie bekommt man so viele Menschen auf der Bühne dirigiert?
Lydia Steier: Ja, manchmal komme ich mir vor wie eine Verkehrspolizistin, zum Beispiel, als ich eine Szene mit 160 Personen auf der Bühne gestellt habe. Auch für das Orchester reicht der Orchestergraben nicht aus, wir werden Musiker in den seitlichen Galerien platzieren. Aber das ist die Herausforderung für uns, mit den vielen Menschen ein Stück mit Spannung und Poesie zu formen. Und es ist nur in der Oper möglich, dass sich dann alles in Einklang fügt.
Anna Melcher: Für die Mitglieder des Chores ist es eine besondere Herausforderung, denn sie sind die Protagonisten des Stückes, der Motor, der die Handlung vorantreibt. Sie sind das Volk.
In den Gesellschaften von Troja und Karthago stehen die beiden Frauen Kassandra und Königin Dido im Mittelpunkt. Wie definieren Sie diese Frauenrollen?
Anne Melcher: Wie oft in der griechischen Mythologie werden Archetypen dargestellt. Und die sind immer zeitlos, in jeder Zeit kann es eine Kassandra gegeben haben. Und man wird als heutiger Zuschauer eine Frau vorfinden, die man emotional begreifen, im Kern fassen und ihre Beweggründe nachvollziehen kann. Und sie ist auch eine starke Frau, denn Kassandra lässt sich nicht von den neuen Herrschern vereinnahmen, sie geht den Schritt, sich selbst umzubringen. Und damit zeigt sie uns auch, wie verzweifelt ein einzelner Mensch sein kann, wenn die Gesellschaft zerbricht.
Lydia Steier: Die Umsetzung ins Heute kommt über die Ausstattung und auch darüber, wie der Chor auf die Frauencharaktere reagiert. Kassandra ist eine Frau, die ignoriert wird. Sie sieht alles, sie weiß alles, aber ihr wird tragischerweise nicht zugehört. Bei Dido, der Königin, war ist für mich als Frau, die Regie führt wichtig, dass sie trotz des Schmachtens auch eine Stärke hat. Dass es nicht selbstverständlich ist, dass eine Frau in dieser Position einfach verwelkt und stirbt. Und damit wird natürlich noch tragischer, dass sie ihrem Schicksal nicht entgehen kann.
Sie haben die Handlung des Stückes an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert angelegt. Welche Gründe sprachen dafür?
Lydia Steier: Wir nehmen die derzeitigen Zeiten als sehr unsicher wahr. Die letzten Jahrzehnte hatten wir es in Europa und auch Nordamerika sehr ruhig. Aber seit einiger Zeit ist Krieg nach einer langen Friedensphase wieder denkbar. Da wollten wir eine Parallele finden. Denn das Volk von Troja glaubte auch auch den vermeintlichen Sieg. Wir spielen mit der Idee, dass die Grundsituation der Menschen der Konflikt ist, also Frieden nur eine Atempause zwischen den Kriegen. Das ist zwar ein schrecklicher Gedanke, aber gerade darum geht es in den »Trojanern«.
Anne Melcher: Das ist auch der Bogen zur Jahrhundertwende. Auch das war eine Zeit von Unsicherheiter, aber auch von Aufbruch, von schnellen Entwicklungen, technische Neuerungen in atemberaubender Geschwindigkeit. Es herrschte ein großer Zukunfts- und Fortschrittsglaube. Auf der anderen Seite hatten die Menschen nichts aus der Geschichte gelernt, aus den blutigen Revolutionen und Kriegen ihres Jahrhunderts; jubelnd rannte das Volk in den Ersten Weltkrieg. So kann die Vergangenheit ein Scharnier sein, wie sich in den heutigen Zeiten Muster der Geschichte erkennen lassen.
Lydia Steier: Als die Trojaner in Karthago landen, kommen sie als Flüchtlinge an. Das Stück hat eine Aktualität, die sich besser erkennen lässt, wenn sie auf einer anderen Ebene erzählt wird. Mit ästhetischer Distanz kann man die Dinge viel mehr spüren, als wenn man sich der heutigen Bildsprache bedienen würde. Und wir wollen ja kein Lehrstück zeigen, sondern eine spannende berührende Geschichte erzählen und vor allem ein großes Stück Oper sinnlich erlebbar machen.
Les Troyens/ Die Trojaner, Grand opéra von Hector Berlioz in der Inszenierung von Lydia Steier. Premiere am 3. Oktober in der Semperoper, weitere Aufführungen: 6./ 9. Oktober; 21./ 27. November 2017. Mehr zum Stück: www.semperoper.de/spielplan/stuecke/stid/Trojaner/61062.html