■ Die Heldin schläft in ihrer Geschichte ein ganzes Jahr lang. Ohne wenig geistreiche Metaphern bemühen zu wollen: Nach ziemlich genau einem Jahr im Wartestand kommt nun die Bühnenadaption von Michael Endes Märchenroman am tjg. auf die Bühne. Anfang der 1970er Jahre geschrieben und zehn Jahre später erfolgreich verfilmt, könnte angenommen werden, dass die Geschichte des kleinen Mädchens mit dem großen Mut ein wenig Staub angesetzt hat. Weit gefehlt, meint Katharina Prankatschk, die Regisseurin. Welche Bezüge »Momo« in unsere heutige Welt und Gesellschaft hat, erläutert sie im Gespräch mit DRESDNER-Herausgebein Jana Betscher.
Es ist ja immer ein wenig heikel, eine Romanvorlage, bei der die Bilder im Kopf entstehen mit den Mitteln der Bühne umzusetzen. Welche Herausforderungen stellen sich da bei »Momo«?
Katharina Prankatschk: Es gibt von Seiten des Verlages ein dramatisierte Fassung. Diese konzentriert sich mehr auf die zwischenmenschlichen Beziehungen und auf die Heldengeschichte der Protagonisten und den Kampf gegen das Prinzip der Grauen Herrn. Die Tiefendimension des Romans, das Atmosphärische, die Interpretationsmöglichkeiten, das Thema Unendlichkeit , die grundphilosophischen Fragen über die Zeit und das Leben werden ein wenig ausgeblendet. diese Aspekte versuchen wir, wie zum Beispiel durch ein sehr poetisches Bühnenbild wieder herein zu holen. Wenn wir die Sternstundenuhr des Meister Hora, eine kleine Taschenuhr, überdimensionieren, zeigen wir eine Matapher dafür, dass das Große auch im ganz Kleinen stattfindet.
Die Geschichte der Momo und ihr Sieg über die Grauen Herren ersann Michael Ende Anfang der 1970er Jahre. Damals sah man in den Grauen Herrn die Vertreter des kapitalistischen Systems. Gilt diese Annahme noch immer?
Katharina Prankatschk: Den Aspekt der Kapitalismuskritik nehme ich auch heute wieder an. Aber Michael Ende hat sich auch sehr stark mit der NS-Diktatur auseinandergesetzt. Die Zeichen im Buch weisen sehr auf dieses menschenverachtende Regime und das faschistoide Prinzip hin. Ich selbst habe als Kind in dem Alter, in dem sich auch Momo befindet, noch die DDR-Diktatur mitbekommen und ich habe mir überlegt, wie die Geschichte in dieser Kontextualiserung gelesen werden kann. Wer waren da die Grauen Herrn? Und welche Bedeutung haben sie heute? Reizvoll wäre gewesen, sie als Algorithmen oder Hologramme darzustellen. Es ist ein Prinzip der Entmenschlichung, der Entfremdung, für das diese graue Wesen stehen. Es gibt heute Erscheinungen wie die Algorithmen, die uns manipulieren und viele sind sich dessen nicht bewusst, wobei ich da kein eindeutiges Zeichen beschreiben möchte, es geht darum, das destruktive Prinzip darzustellen und Raum dafür zu lassen, darüber nachzudenken, was mich manipuliert.
Aber Manipulation und Zeitdiebstahl, das sind doch wirklich die Zeichen der Zeit. Wie nehmt ihr diesen Ansatz auf?
Katharina Prankatschk: Zeitdiebstahl interessiert mich tatsächlich als Künstlerin und Mutter im Kern. Die Geschichte ist ein Plädoyer, den Kindern Zeit zu geben, vor allem Zeit mit uns, den Erwachsenen. Wir befinden uns ja derzeit in einer gesellschaftlichen Krise, die uns alle herausfordert und auch bestimmte Dinge sehr deutlich aufzeigt. Die Setzung, Momo jetzt zu zeigen, passt sehr gut zur aktuellen Herausforderung. Wir leben in Zeiten, in denen Kinder lernen müssen, früh kleine Erwachsene zu sein, also unter Zeit-, Leistungs- und Anpassungsdruck zu stehen, dem Effizienz- und Nutzbarkeitsdenken, der Idee von Selbstoptimierung Folge zu leisten. Das ist nicht das Menschenbild, das Michael Ende in diesem Roman beschreibt und verteidigt. Er wendet sich den Verletzlichen zu, den Kindern, und das finde ich besonders wichtig in unserer utopistischen Welt, die Kinder diskriminiert. Die Gemeinschaft, die er beschreibt ist eine kleine Utopie. Er beschreibt ein Gruppe von Menschen, die sehr heterogen ist und die nicht durch Brillanz und Effizienz besticht, sondern durch Menschlichkeit.
Und wie soll diese utopistische Welt uns einen Weg in unser Leben weisen?
Katharina Prankatschk: Bei der Stückerarbeitung haben wir uns einen Übertitel gesetzt: Was ist das »Momo-Prinzip«? Und wir haben zusammengetragen, was dies für uns ausmacht: Es ist das Prinzip des Zuhörens, das Prinzip des Raumgebens, das Prinzip des Nichtbewertens, sondern des Anschauens. Wieviele Menschen haben emotionale Defizite, weil sie keinen Raum bekommen, um Mensch sein zu können oder sich angenommen zu fühlen. Für Michael Ende sind es nicht die sogenannten Leistungsträger, denen er seine Wertschätzung entgegenbringt. Es ist die Vielfältigkeit der Menschen, die den Wert einer Gemeinschaft ausmacht. Das Prinzip von Vereinheitlichung, von Gleichschaltung, von Anpassung, von Homogenisierungszwang, dagegen wehrt sich diese Geschichte.
Momo feiert am 5. Februar am tjg. Premiere; weitere Vorstellungen: 7., 8., 10., 12., 23., 24. Februar; Tickets und mehr Infos unter www.tjg-dresden.de/