DRESDNER Interviews / O-ton!
Das Grauen in den Seelen – »Der Freischütz« ab 1. Mai wieder in der Semperoper – Im Gespräch mit Regisseur Axel Köhler
»Der Freischütz« ab 1. Mai wieder in der Semperoper – Im Gespräch mit Regisseur Axel Köhler
■ Kaum eine Oper ist in Dresden ist mit der Semperoper derart emotional verknüpft wie »Der »Freischütz«. Zum einen, weil sich der Komponist Carl Maria von Weber stark vom Landschaftsbild der Sächsischen Schweiz als Handlungshintergrund inspirieren ließ, und sich allein daraus schon der entsprechende Lokalkolorit ableiten lässt. Und zum zweiten war es »Der Freischütz«, mit dem 1985, vierzig Jahre nach der Zerstörung, die Semperoper wiedereröffnet wurde. Dieses Schließen einer tiefer Wunde der Stadt ist gerade für die älteren Dresdner seither unmittelbar mit dieser Oper verbunden. Dass selbige schon zu Lebzeiten von Webers von der Musikkritik als »erste deutsche Nationaloper« identifiziert wurde, wird der Beliebtheit beim Dresdner Publikum keinen Abbruch getan haben. Und so ist es nur konsequent, wenn Christian Thielemann selbst zum Taktstock bei der Premiere am 1. Mai greift. Für Axel Köhler, den Regisseur der Inszenierung, mag es sicherlich eine Herausforderung der besonderen Art sein, mit diesem für die Dresdner Seele sensiblen Thema umzugehen. Im Gespräch mit DRESDNER-Autor Aron Koban schildert er, wie er dieser Aufgabe begegnet.

Der »Freischütz« ist in Dresden insgesamt etwa 1.500 mal gespielt worden. Warum haben Sie sich ausgerechnet diese Oper vorgenommen?

Axel Köhler: Tatsächlich habe ich sehr gezögert, diese Verantwortung zu übernehmen. Der »Freischütz« ist eine Oper, die rauf und runter inszeniert worden ist, und die alle möglichen Lesarten hinter sich hat. Mir war von Anfang an bewusst, wie schwer es sein würde, etwas zu finden, das diese Inszenierung unverwechselbar macht.

Wie haben Sie dies mit dieser Oper vor?

Axel Köhler: Ich möchte versuchen, an den Ursprung des Stückes zu kommen, mit seiner ganzen Dramatik, ich möchte dem Stück nicht eine Meta-Idee überstülpen, dem dann alles zu folgen hat. Ich versuche, das Stück zu erzählen und die Figuren so zu führen, dass die Konflikte verständlich sind, dass man sich in die Geschichte hineinbegeben kann, dass es ein Krimi wird. Weder möchte ich, dass wir in einer folkloristischen Veranstaltung landen, mit viel Grün und ein bisschen Gespensterspuk, noch, dass wir es in einer Tiefgarage spielen lassen.

Planen Sie eine »Entrümpelung«? Wird man einen Wald sehen?

Axel Köhler: Ja, man wird einen Wald sehen. Eine »Entrümpelung« wird es vielleicht in der Art, dass ich mich komplett zum Stück, und was darin gesagt wird, bekenne.

Es ist am »Freischütz« das Irrationale und das Fehlen einer Logik kritisiert worden. Ist der »Freischütz« für Sie irrational?

Axel Köhler: Eigentlich nicht. Wenn man das Stück in den wahren Kontext setzt, sieht man vor allem eine Menschengemeinschaft, die von einem schweren Krieg traumatisiert ist. Wenn man so große Ängste hat, dann sind diese oftmals auch irrational. Wir können uns gar nicht vorstellen, was Agathe denkt, wenn eine Türe zuschlägt oder ein Wind durchgeht. Warum hat sie keine Mutter mehr, warum Ännchen keine Eltern? Welche Geschichten stehen dahinter? Der »Freischütz« hat viele solche verdeckten Geschichten und Beziehungen, die es lohnt, freizulegen.

Beim »Freischütz« haben wir »draußen«, das Schauerliche und Unheimliche, und »drinnen« eine trauliche Behaglichkeit, mit Jungfernkranz und Bauerntanz. Bleibt das nicht unverfänglich?

Axel Köhler: In unserer Inszenierung bleibt das Schauerliche nicht »draußen«. Auch schafft unser Bühnenbild immer Übergänge von drinnen nach draußen, es gibt keine komplett geschlossenen Räume. Die schönsten Häuser in Dresden stehen oft in Nähe zu Wald oder Heide. Nun stelle man sich vor, man muss in einer solchen Villa leben, die zerschossen ist, der eine Wand fehlt – und dahinter sieht man den Wald. Dann ist man in dem Haus, aber man ist auch draußen. Auch das Zimmer von Agathe, in dem der zweite Akt spielt, ist zwar ein geschlossener Raum, aber mit vom Wind fliegenden Türen und sich öffnenden Fenstern sind auch hier Verbindungen zwischen dem räumlichen Drinnen und Draußen.

Sie wollen diese Dichotomien zwischen innen und außen, zwischen Zivilisation und Wildnis unterlaufen?

Axel Köhler: Ja, das bietet sich bei dem Stück an. Es ist dann nicht so, dass das Grauen draußen im Wald ist, und drinnen ist alles behaglich: Das Grauen ist draußen und drinnen, es ist in den Leuten selbst, in ihren Seelen. Der Wald ist tatsächlich eine Metapher dafür. Deshalb wird es in der Wolfsschlucht auch keine Eulen und kein Pferdegetrappel geben, sondern eine gespenstische Geschichte, die auch heute stattfinden könnte.
Weber hatte noch gemeint, man solle an Eulen, Fledermäusen und Gerippen nicht sparen.Axel Köhler: Das war der Gruseleffekt der damaligen Zeit, darüber würden wir heute lachen.
Vielen Dank für das Gespräch!

Unter dem Titel »Dresden feiert den Freischütz« wird am 1. Mai die Premiere live auf den Theaterplatz übertragen; weitere Aufführungen in der Semperoper: 3., 11., 14., 19., 26., 31. Mai. Mehr dazu unter www.semperoper.de

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