■ ColoRadio steht für Vieles: Von der ernsten Politsendung zur vergnüglichen Metalsendung am sonnigen Mittag, über lokale Livemusik aus dem Studio zu lalligem Sendungs-GaGaismus kurz nach Feierabend. Aber auch für recherchierte Formate, bilinguale Angebote und Lebenshilfe. Coloradio hat seinem Publikum viel zu bieten, auch wenn es nicht allen zu allen Zeiten gefällt. Der eine schaltet abrupt ab, weil der Moderator unverstanden bleibt, da entweder die Musik noch auf dem Plattenteller weiter läuft, oder der Moderator bereits nach Feierabend klingt. Für andere gehört coloradio in den alltäglichen Äther wie die Neustadt zu Dresden. Ein Gespräch mit einem, dem die Sendeanstalt in Pieschen am Herzen liegt, führte DRESDNER-Autor René Seim mit Jenz Steiner, der seit 2017 als Koordinator bei coloRadio aktiv ist.
ColoRadio ist sicher nicht deine erste »Arbeitsstation«. Erzähl doch bitte etwas zu deinem Werdegang!?
Jenz Steiner: Journalismus ist mein Beruf. Unabhängige Medienprojekte aufbauen und ins Rollen zu bringen – das ist meine Berufung. Ich mag Grassroot-Journalismus. Das Wort mag ich lieber als Bürger-Journalismus. Das klingt piefig, spießig und nach Modelleisenbahn-TV. Als Berliner Kind der Wendezeit und kleiner Hip-Hopper habe ich schnell verstanden, dass man alles selber machen muss, wenn man etwas erreichen will. Das habe ich dann auch mit meinen Freunden gemacht. Wir haben erst kleine A5-Fanzines gebastelt, später Bücher, Schallplatten und CDs veröffentlicht, Open Airs veranstaltet und in der Startphase der Antiglobalisierungsbewegung unabhängige Nachrichtenportale mit aufgebaut. Das erste Mal vorm Radio-Mikro saß ich 1992 im Funkhaus Nalepastraße in Berlin-Köpenick. Da gab es noch Paternoster, Bandmaschinen, Waffenkammern und Stahltüren an den Studioeingängen. Rio Reiser, Advanced Chemistry und David Bowie gaben sich damals dort bei DT64 und Rockradio B die Klinke in die Hand. Ich wollte auch gerne beim Piratensender »Radio P« mitmachen, der von den Dachböden bei uns um die Ecke sendete. Doch deren Redaktionstreffen in der Kneipe »Blabla« waren immer sehr konspirativ. Ich fand einfach keinen Kontakt.
Kannst du etwas zur Entwicklungsgeschichte von coloRadio mit seinen illegalen Anfängen als Piratenradio zum heutigen, ja doch etablierten Stand sagen?
Jenz Steiner: ColoRadio gibt es seit 1993. Zwei, drei Sendungsmacher aus den ersten Tagen sind auch noch aktiv mit dabei. Natürlich kann ich nicht aus erster Hand aus der Zeit berichten. Ich persönlich halte die Entstehung von coloRadio in Dresden, von Radio Blau in Leipzig und Radio T in Chemnitz für eine logische Konsequenz der Abschaltung des Jugendsenders DT64. Der hatte sich in der Nachwendezeit bundesweit zum wichtigen Sprachrohr und Vernetzungsmedium der jungen Subkulturen entwickelt. Sowohl journalistisch als auch musikalisch war DT64 bis zum Sommer 1993 einzigartig. Dann war Schluss. Die Sachsen bewiesen Pioniergeist und sagten sich: Okay, DT64 habt ihr uns genommen. Jetzt müssen wir wohl selber ran. Hilft alles nüscht.
Ich habe mal die erste Sendung gehört, und neulich hatte ich beim Aufräumen im Radio auch das Gründungsprotokoll der Radio-Initiative Dresden e.V., also des Trägervereins in der Hand. Das war ein bisschen wie »Nachts im Museum«. Sehr ergreifend. In meiner ersten Zeit bei coloRadio sah ich drei verschiedene Lager bei den Sendungsmachenden. Das muss vor meiner Zeit historisch gewachsen sein. Da waren einmal die Clubsound-Leute, die coole DJs rangeholt und geile Live-Sets ins Radio gebracht haben, die sonst nie über UKW laufen würden. Dann gab es die politisch sozialisierten Leute, die ein selbstverwaltetes und emanzipatorisches Medienprojekt als Stimme der sozialen Bewegungen hier etablieren wollten. Und nicht zu vergessen: die Fans sehr spezieller Musik und Hobbyfunker, die bunten Hunde der Stadt, die ihre eigene kleine Community mit dem wertvollen und einzigartigen Content bedienen, den öffentlich-rechtliche Sender nicht liefern wollen und private Sender nicht liefern können, da er sich nicht monetarisieren lässt. Ich sehe es als meinen Job, die Grenzen zwischen diesen Gruppen aufzuweichen.
Ist es messbar, welche Reichweite und Relevanz ihr im Sendegebiet habt?
Jenz Steiner: Für die Werbebranche ist coloRadio als nichtkommerzielles Lokalradio nicht relevant. In den großen Telefonumfragen der AG MA, der Arbeitsgemeinschaft Medienanalyse, werden wir nicht erfasst. Für die bunten Hunde der Stadt, für alle Player in Off-Szene, Sub- und Soziokultur, also bei den Leuten, die die Stadt mit Leben füllen und Dresden zu dem machen, was es wirklich ist, sind wir ein wichtiger Anlaufpunkt. Die füllen einerseits unser Programm mit Leben, andererseits hören sie auch ganz genau hin, jetzt im ersten Jahr der Corona-Krise noch mehr als sonst. Das merke ich nicht nur am bimmelnden Telefon, an Kommentaren auf der Website, Facebook-Likes und den vielen Mails, die bei uns eintrudeln. Es gibt andauernd Anfragen von Leuten, die nicht nur Podcasts produzieren wollen, sondern richtig über UKW auf Sendung gehen wollen. Radio ist nicht tot. Nur der Dudelfunk hat offenbar ausgedient. Das sieht man ja an den Stationen, die hier sang- und klanglos aus dem Äther verschwunden sind. Niemand hat es bemerkt. Keinen hat es interessiert, ob es die gibt oder nicht.
Auf eurer Homepage blinkt im Tagesprogramm ab und an der Hinweis auf: »Hier könnte deine Magazinsendung laufen«. Was muss man denn mitbringen, um bei coloRadio eine Sendereihe zu starten?
Jenz Steiner: Bei coloRadio ist grundsätzlich erstmal alles möglich. Unser Programm spiegelt das Kulturleben der Stadt. Hier hört man, was hinter den Fassaden passiert. Das ist total spannend. Hier kommen Leute zu Wort, die sonst keine Stimme haben, auch Menschen mit Behinderung, mit Fluchtgeschichte, Menschen am Rand der Gesellschaft, Straßenmusiker. Wenn Du eine nette Idee hast, haben wir als Radio das technische Equipment dazu. In Workshops und Tutorials gibt es das technische und journalistische Knowhow dazu. Reine Playlists ohne Moderation langweilen natürlich. Das kann Spotify besser. Was man sonst noch mitbringen muss, ist zusätzlich etwas Engagement fürs Radio. Das ist selbstverwaltet. Wir sind DJs, Moderatorinnen, Putzkraft, Buchhaltungs- und Technikwartungsexpertinnen gleichzeitig. Wir müssen alle etwas mehr machen als nur unsere Sendung. Staubsaugen, Müll wegbringen, Förderanträge schreiben. Aber dafür ist es unser Radio. Da lohnt sich der Aufwand.
In den letzten Jahren gab es ein rasantes Wachsen an Angeboten von Podcasts. Kannst du kurz die Unterschiede zwischen Radiosendung und Podcast skizzieren und sagen, ob die Formate zueinander in Konkurrenz stehen?
Jenz Steiner: Ich finde, Podcasts und Radiosendungen stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Ich finde eher, dass Live-Sendungen und vorproduzierter Content jeweils anderen Spielregeln folgen. Ich merke es an meinem eigenen Hörverhalten. An unsere Magazinsendungen im Vorabendprogramm stelle ich andere Erwartungen als an einen monothematischen Podcast. Was ich an Live-Sendungen liebe, ist das Unmittelbare und Authentische, die Regelmäßigkeit, die wiederkehrenden Elemente, die Geschwindigkeit, auch die Pannen und Versprecher. Was ich an Podcasts mag, ist die Hintergründigkeit, der Raum für Tiefgang. Ich bin Fan von beidem. Genau das entwickelt sich bei uns auch immer mehr und wächst stärker zusammen.
Ihr habt eure Sendeheimat im Zentralwerk in Dresden-Pieschen. Inwieweit ergeben sich Kooperationen, oder arbeitet man im Alltag doch aneinander vorbei?
Jenz Steiner: Im Augenblick ergeben sich im Rahmen des Online-Festivals »Aussitzen Deluxe« ganz tolle Kooperationen, etwa mit dem Farbwerk, einem Theater für Menschen mit und ohne Behinderungen, mit der Ecce, dem Spätverkauf am Eingang. Der C3D2, die Dresdner Zelle des Chaos Computerclubs sendet auf coloRadio. Gerade wird der Hof des Zentralwerks etwas grüner. Daran beteiligen wir uns auch. Ich denke, dass wir an einem guten Anfang stehen. Das Zentralwerk mausert sich mehr und mehr zum ernstzunehmenden Kulturstandort in Dresden.