■ Treffpunkt: die große Wiese inmitten der Berliner Hasenheide. Im Interview mit DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl spricht die irische Singer/Songwriterin über die Kneipe des Vaters, das Akkordeon ihres Großvaters und ihr neues Album als Ode an die Gleichberechtigung.
Dein Vater hat dir als Kleinkind bei einem Unfall die Finger der linken Hand mit einem Rasenmäher abgetrennt – nur vier konnten wieder angenäht werden ...?
Wallis Bird: Hier und da nimmt er noch meine Hand und entschuldigt sich. Dann sage ich ihm, dass er sich keine Sorgen machen muss. Es ist ja mit das Beste, was mir passieren konnte.
Inwiefern?
Wallis Bird: Der Unfall hat mich in meiner Persönlichkeit geformt und gestärkt. In der Grundschule wurde ich gehänselt, habe aber gut dagegengehalten. Später wurde ich regelmäßig auf mein vermeintliches Handicap angesprochen und darauf, deswegen keine Gitarre spielen zu können. Das hat mich angespornt härter zu üben und besser zu werden. Ich wollte es allen zeigen.
Deinem Vater gehörte auch ein Pub. Eine prägende Erfahrung?
Wallis Bird: Sehr. Dadurch war ich immer von Menschen umgeben: jung, alt, betrunken, nüchtern, weinend, glücklich und traurig. Leute zu beobachten und zu sehen, wie mein Vater mit ihnen umgeht, war wie eine Therapie. Im Pub treffen die guten und schlechten Seiten des Lebens direkt aufeinander – joy and pain. Außerdem lief immer Musik.
Was ist deine früheste musikalische Erinnerung?
Wallis Bird: Mein Großvater hatte ein kleines, blaues Perlmutt-Akkordeon. Eines Tages holte er es vom Regal und fing an zu spielen. Ich war total fasziniert. Später habe ich an einem Sommertag alle nach draußen gebeten, um ihnen etwas darauf vorzuspielen. Da muss ich so um die drei gewesen sein.
Komponierst du heute zu Hause oder im Studio?
Wallis Bird: Früher habe ich im Studio geschrieben, bis zu zwei Monate darin verbracht, um die riesige Auswahl an Möglichkeiten zu nutzen. Eine Phase, in der viel interessantes Material entstanden ist. Luxuriöse Voraussetzungen, da so ein Aufenthalt nicht ganz billig ist. Heute mache ich viel zu Hause, versuche abzuschalten und mich aufs Wesentliche zu konzentrieren.
2012 bist du nach Berlin gezogen. Die erste Zeit an der Spree bezeichnest du als schlaflos ... ?
Wallis Bird: Oh my gosh – die ersten neun Monate!
Bist du ruhiger geworden oder zieht dich Berlin immer noch in seinen Bann?
Wallis Bird: Von dieser Stadt bekomme ich nie genug. Seit sieben Jahren lebe ich hier und es fühlt sich immer noch wie Urlaub an – immer frisch, immer neu. Hier kann man alles machen. Als Berliner hat man ja fast schon die Pflicht, die Stadt laut und seltsam zu finden. Mit 36 merke ich natürlich, dass ich runterkommen und auf meine Gesundheit achten muss. Ich rauche nicht viel und trinke auch mal ein halbes Jahr nichts.
Das erste Stück auf deinem neuen Album trägt den Titel: »As The River Flows«. Ansprache an einen Rassisten?
Wallis Bird: Ein Arschloch, mit dem ich zur Schule gegangen bin. Er hat sich auf Facebook über Flüchtlinge ausgelassen, die in unsere Heimatstadt kommen. So nach dem Motto: »Wenn die mein Grundstück betreten, hole ich die Waffe und bringe sie um.« Nicht cool. Rassismus gegen Migranten macht mich so was von wütend. Der Typ hat selbst Kinder. Gäbe es in Irland Krieg, würde auch er versuchen, mit seiner Familie einen sicheren Ort aufzusuchen. Mit meinem Song rufe ich ihm zu: »Kevin, wach verdammt nochmal auf!«
Wie kam es, dass deine neue Platte den Titel »Woman« trägt?
Wallis Bird: Der Titel war mir schon sehr früh klar. Er kam und wollte nicht mehr weggehen. Trotzdem hatte ich Bedenken.
Warum?
Wallis Bird: Ich hatte Sorge, es sei zu aufdringlich und man würde mir unterstellen, die Feminismus-Karte zu spielen.
Gab es negative Reaktionen?
Wallis Bird: Nein, wahrscheinlich auch, weil es in den Songs viel um Gleichberechtigung geht. Ich zelebriere das Wort und die Idee »Frau«. Da wird schon noch Kritik kommen, aber damit kann ich umgehen. Auch 2019 passiert noch zu viel Mist in puncto Frauenrechte. Noch herrscht die Ungleichheit auf der Welt. Mein Appell: Lasst uns daran festhalten, dass die Dinge für alle besser sein könnten.
Empathie als Antwort auf globale Missstände?
Wallis Bird: Hätten wir mehr davon, gäbe es vielleicht keine Armut und keinen Rassismus. Viel Schlechtes im Leben rührt daher, dass Menschen kein Gefühl für die Lebensumstände ihres Gegenübers haben.
Du nennst dich auch eine wütende Pazifistin?
Wallis Bird: Genau.
Schränkt das pazifistische Element nicht den Handlungsrahmen der Wut kontradiktorisch ein?
Wallis Bird: Es stimmt: Pazifismus reicht nicht mehr aus. Bist du nicht wütend, dann bist du nicht wach. Bist du nicht wach, dann passt du nicht auf, was um dich herum passiert. Ich bin ein wütender Pazifist, versuche nicht gewalttätig zu sein, habe aber auch kein Problem mit Konfrontation. So bin ich aufgewachsen.
Die neuen Songs kommen erstaunlich vielfältig daher, »Woman Oh Woman« gar als Soul-Hymne ...?
Wallis Bird: Ich kann nichts dafür, es passiert einfach. Man hat eine Idee, formt, gestaltet, nimmt auf, schaut was passiert und am Ende hat man ein Ergebnis. Der Soul auf »Woman Oh Woman« ist mein ganz persönlicher Elvis-Costello-Moment. Ein Stück in der Machart alter amerikanischer Pop-Klassiker. Ein Lied des Aufbegehrens und der Anbetung einer wunderbaren Frau.
Wallis Bird ist am 13. Oktober live im Beatpol zu erleben; mehr zur Künstlerin: www.wallisbird.com