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Alles ist grau – Sleaford Mods im Interview (Copyright Photo: Roger Sargent)
Sleaford Mods im Interview (Copyright Photo: Roger Sargent)
■ Wütend und angepisst – so präsentieren sich die Sleaford Mods. Das minimalistisch-krawallige Duo aus Nottingham hat ein feines Gespür für politische und gesellschaftliche Missstände und schreckt nicht davor zurück, den Finger tief in die Wunde zu legen. Das macht ordentlich was her. Oft werden Jason Williamson und Andrew Fearn dafür als die zeitgemäße Stimme einer desillusionierten Arbeiterklasse gefeiert. Warum das nur die halbe Wahrheit ist, bei aller Wut auch Humor keine unwesentliche Rolle spielt und wie man es schafft aus der Labour Partei geschmissen zu werden, verriet Williamson DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl im Rahmen eines sympathisch kurzweiligen Telefonats.

Eure aktuelle Platte trägt den Namen »English Tapas«. Was muss man sich darunter vorstellen?

Jason Williamson: Andrew hat das Gericht auf einer Speisekarte im Pub entdeckt. Richtige Tapas sind in England eine nicht gerade günstige Delikatesse. Diese Variante aber bestand aus Pommes, Essiggurken und so was. Das fanden wir ziemlich lustig und ist charakteristisch dafür, wie Engländer versuchen, andere Kulturen zu übernehmen und daran scheitern. Es passt auch zu der Atmosphäre des Brexit und wie England mitunter vom Rest Europas wahrgenommen wird.

Du hast bei der letzten Wahl für Labour und gegen den Brexit gestimmt, bist anschließend Parteimitglied geworden und wurdest letztlich rausgeschmissen. Warum genau?

Jason Williamson: Ich habe einen Abgeordneten via Twitter beschimpft. Nicht direkt, sondern ich habe jemanden mit einem Schimpfwort bedacht. Hier ging es vor allem um die Aufhebung von Mitgliedschaften, damit man bei der Wahl des Parteivorsitzenden nicht für den Kandidaten Jeremy Corbyn abstimmen konnte. Ein Verzweiflungsakt, aber so läuft wohl Politik. Ich bin also kein Labour-Mitglied mehr, es interessiert mich aber auch nicht.

Wie ist die momentane Stimmung im Land?

Jason Williamson: Alles ist schrecklich. Die Regierung schadet dem Land, was wiederum für schlechte Stimmung in der Bevölkerung sorgt – und das nicht nur bei den Armen. Die ganze Situation entzieht den Leuten die Energie, man kann es förmlich fühlen. Alles ist grau.

Was bedeutet für euch der Begriff »working class«?

Jason Williamson: Das wurde uns übergestülpt. Wir haben über Arbeit an sich gesprochen und wie es sich anfühlt, kein Geld zu haben. Die Presse kam dann auf die Idee, dass es sich hierbei um etwas aus der Arbeiterklasse handeln muss. Wir kommen zwar aus diesem Umfeld, aber das war nicht unsere Motivation. Uns geht es darum Musik zu machen und Themen anzusprechen, die uns wichtig sind.

Eure Texte zeugen von Wut, Verzweiflung, haben aber auch viel Humor inne. Wie wichtig ist trotz allem diese lustige Seite?

Jason Williamson: Humor ist die Hauptmotivation. In einem guten Song steckt immer ein Aspekt, über den man lachen kann. Wir können nicht komplett ernst sein. Das ist so ein Erwachsenending – je älter man wird, umso mehr bekommt man einen Sinn für den Humor hinter den Dingen.

Wie wichtig waren die Einflüsse des Punk, wie die des Hip-Hop für euren Sound?

Jason Williamson: Wir sind beide große Hip-Hop-Fans, vor allem von der amerikanischen Ostküste. Außerdem haben wir einen ausgeprägten Hang zu elektronischen Musikelementen und weniger zur klassischen Live-Instrumentierung. Das haben wir in der Vergangenheit zwar auch mal gemacht, favorisieren aber das Arbeiten mit Computern. Beide Faktoren haben unseren Stil stark beeinflusst.

Wie würdest du die Art bezeichnen, in der du deine Texte vorträgst. Sind das Gedichte mit Musik unterlegt, oder tatsächlich Rap?

Jason Williamson: Es ist eine Art des Singens, keine Lyrik. Nur Gesang. Ich würde es auch nicht Rap nennen, obwohl es Elemente davon in sich trägt. Es ist einfach das, was wir machen.

Bist du nostalgisch, was die Musikszene vor 20 Jahren angeht?

Jason Williamson: Nein. Vielleicht, wenn es darum geht, dass ich damals 20 Jahre jünger war. Ansonsten glaube ich, die Musik heutzutage ist sogar um einiges besser als noch vor 20 Jahren. Als Musiker ist man heute nicht mehr von großen Plattenfirmen abhängig, um eine Menge Leute zu erreichen, sondern jeder kann alles selbst veröffentlichen. Das war früher unmöglich und jeder dachte, ein Plattenvertrag sei das große Ding. Das muss aber nicht unbedingt so sein. Für uns funktioniert das gerade, aber wir haben auch hart dafür gearbeitet. Für viele hat es hingegen nicht so gut geklappt. Plattenfirmen haben die Leute oft über den Tisch gezogen.

Während wir telefonieren bist du in einem Van unterwegs. Was war das Verrückteste, was euch auf Tour bislang passiert ist?

Jason Williamson: Da gibt es viele Geschichten. Wirklich eine Menge, aber ich werde dir mit Sicherheit keine davon verraten (lacht).

Du hast Drogen und Alkohol hinter dir gelassen und lebst heute nüchtern. Wann kam der Punkt, an dem du dich dafür entschieden hast?

Jason Williamson: Vor ungefähr zwei Jahren wurde mir klar, dass ich so nicht weitermachen kann.

Vermisst du es?

Jason Williamson: Ein wenig. Alkohol ist schon eine schöne Erfindung. Aber es hilft nichts. Man muss tun, was man tun muss.

Hast du schon mal darüber nachgedacht England zu verlassen?

Jason Williamson: Ich habe Kinder. Da kann man nicht so einfach umziehen. In ein anderes Land zu gehen ist keine kleine Sache. Ich trage Verantwortung, sie haben Freunde im gleichen Alter und ihr ganzes Umfeld vor Ort.
Danke für das Gespräch!

Sleaford Mods am 17. Mai mit No Waves als Support live im Beatpol; mehr zur Band: http://sleaford-mods.myshopify.com/

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