Zur Kunst-Installation „Broken“ des Künstlers Dennis Josef Meseg am 5. Dezember am Neumarkt
Puppe oder Püppchen? Oder vielleicht doch nur die Reproduktion eines Opfer-Klischees?
„Künstler wollen etwas erschaffen, das der Welt keinen Schaden zufügt, sondern Freude bereitet“. Oder sie wollen eine Botschaft transportieren, so wie es die Installation „Broken“ des Bonner Künstlers Dennis Josef Meseg am 5. Dezember von 10 bis 18 Uhr am Dresdner Neumarkt intendiert. Meseg will mit der Aktion ein Zeichen setzen gegen Gewalt an Frauen, so wie er es zuvor schon in Bonn, Aachen, Bamberg oder Hamburg gesetzt hat. Die Umsetzung seiner Gedanken mündet in eine Installation, die aus 222 Schaufensterpuppen besteht, ummantelt von organgefarbenem Flatterfarband. Flatterband etwa sei ein Zeichen für Abgrenzung, im positiven Sinne als Schutz vor Gefahren, aber auch als ein Hindernis auf dem Weg zueinander zu verstehen. Seine Aktion will der Bildhauer, Maler und Autor als Aufruf verstehen, die Gewalt gegen Frauen zu beenden.
Dagegen regt sich nun Kritik. Künstler:innen, Aktivist:innen und studentische Vertreter:innen weisen darauf hin, dass der Künstler mit „Broken“ bewusst impliziert, dass er in seinem Projekt von vielen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten insbesondere in den Städten, in denen er gastiert, gefördert würde. Dies sei faktisch falsch, so hat sich das Gleichstellungsbüro Rhein-Sieg bereits von seiner Aktion distanziert. Auch weitere Gleichstellungsstellen geben an, nicht in die Planung der Ausstellung involviert gewesen zu sein.
„Er inszeniert sich selbst als Fürsprecher Betroffener, während er die Kritik dieser Betroffenen ins Lächerliche zieht. Dabei zeigt die nur oberflächliche und unzureichende Beschäftigung mit den Themen, die er behandelt, eine Kontinuität. In seinem vorherigen, vom Land NRW geförderten Kunstwerk zur Corona-Pandemie verteidigt er auch Kommentare von Nutzer:innen, die Versatzstücke von Verschwörungsdenken beinhalten, bspw. Aussagen über eine „inszenierte“ Pandemie oder Mediendiktatur. Auch dort äußert er sich bereits paternalistisch gegenüber weiblich gelesenen Personen.“, heißt es in der Mitteilung vom 3. Dezember. H.K.
Online werden Aktionen gegen Mesegs Installlation unter dem Hashtag #StillNotBroken zu finden sein. Ein erklärendes Statement ist hier nachzulesen.
Oder: Wie ein Holzkünstler aus Seiffen einen viralen Hit landete– von Heinz K.
Der Virologe von Tino Günther
Nicht nur Kulturveranstalter und Gastronomen, auch die Holzkünstler im gesamten Erzgebirge haben mit dem zweiten Lockdown und vor allem mit der Absage zahlreicher Weihnachtsmärkte zu kämpfen, sind mit letzteren doch ihre wichtigsten Absatzmärkte zusammengebrochen. Der findige Männelmacher Tino Günther aus dem erzgebirgischen Schnitzer-Eldorado, dem Spielzeugdorf Seiffen, wehrt sich auf seine Weise, um auf die wirtschaftliche Schieflage, in die er, wie so viele seiner Kollegen, schuldlos geraten ist – mit einem rauchenden Virologen. Denn: »Noch nie war der Beruf des Virologen so augenscheinlich wie in diesem Jahr«, so Günther, der übrigens Mitglied der FDP ist, im MDR. Die Ähnlichkeit des Virologenmännels mit dem bekanntesten und markantesten Vertreter dieser Zunft, Dr. Christian Drosten, ist natürlich rein zufällig. Selbstverständlich qualmt ein Virologe nicht aus dem Mund, denn da trägt er ja seine Maske, sondern aus dem Kopf. Gewiss rauchte Drosten auch des öfteren der Kopf, wenn er daran dachte, wie langsam und zögerlich die von ihm und seinem renommierten Institut empfohlenen Maßnahmen von der Politik umgesetzt wurden.
Die Nullserie war nach viralem Bekanntwerden übrigens binnen einer Nacht ausverkauft. Wer den rauchenden Virologen bestellt, wird wohl von Tino Günther und seiner Werkstatt erst Anfang kommenden Jahres eine Lieferung bekommen, so groß ist die Nachfrage. Geduld ist also auch hier gefragt, denn Holzkunst aus dem Erzgebirge ist nun einmal keine Massenware.
Der kulturelle Lockdown wäre vermeidbar gewesen – ein Kommentar von Heinz K.
Als ich neulich im Oktober eine Veranstaltung besuchte, da stand die Corona-Ampel noch auf Grün – mit Tendenz zu Gelb. Noch bevor ich das Stadtmuseum betrat, setzte ich (angesichts des gleich am Eingang präsenten Museumspersonals) automatisch den Mund-Nasen-Schutz auf und behielt diesen auch an, bis ich einen Platz gefunden hatte. Es war eine nicht sonderlich gut besuchte Literaturveranstaltung, die Erscheinung einer eben nicht gerade unbedeutenden Lyrik-Anthologie sollte gefeiert werden. Wirklich gefeiert wurde natürlich nicht. Das Museumscafé war aus Hygieneschutzgründen nicht zugänglich, also wurde die Lesung kurzerhand in einen großen Ausstellungsraum verlegt, in dem die überdimensionierte Lüftung unentwegt Störgeräusche produzierte, was der Konzentration auf das Eigentliche abträglich war. Nun steht die Ampel auf Rot. Sogar auf Dunkelrot, wie uns der altersgrüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretzschmann, warnend versicherte.
Lesung mit Abstand
Irgendwie hatte man
sich ja schon gewöhnt ans Maske tragen und Abstand halten. Und ans
hinsetzen auch bei Stehveranstaltungen. Ein erneuter Lockdown, so wie
im März geschehen, wurde vollmundig und fast einhellig von der
Politik ausgeschlossen (außer natürlich vom ewig um die
Bevölkerungsgesundheit besorgten Gesundheitsexperten der SPD, Karl
Lauterbach). Eigentlich.
Und nun ist er da,
verharmlosend als Lockdown Light oder Teil-Lockdown bezeichnet. Was
bedeutet das für die Kultur? Die Einschränkungen mögen vielleicht
gar nicht so drastisch erscheinen, wenn man weder an Kunst noch an
Kultur oder gar an Subkultur irgendein Interesse zeigt. Aber mal
ehrlich, wer möchte sich zu solch einem kulturlosen Typus zählen?
Offensichtlich sind die Repräsentanten der 16 Bundesländer und die
Bundesregierung einer Meinung, dass Kultur nicht systemrelevant und
daher am ehesten verzichtbar ist.
Anders ist es nicht
zu erklären, dass eine ganze Branche, die immerhin 1,5 bis 1,7 Mio.
Menschen beschäftigt (die Schätzungen gehen je nach Lesart
auseinander) stigmatisiert, seit acht Monaten an der Arbeit gehindert
und mit Almosen wie Hartz4 für Soloselbständige oder Krediten
abgespeist wird. Zugegeben, die Kultur-Lobby ist bei weitem nicht so
einflussreich auf die Politik wie die Auto-, Pharma- und Ärzte-Lobby
oder die großen Wirtschaftsverbände, aber immerhin ein nicht zu
unterschätzender Bereich, in dem personalintensiv gearbeitet wird,
um Menschen Freude zu bereiten und geistige Anregungen zu bieten.
Nicht ganz zufällig
ist dies auch der Bereich, der mir am meisten Freude bereitet,
weswegen ich mich auch dazu entschlossen habe, meine Berufung darin
zu sehen, kulturelles Erleben im lokalen und regionalen Umfeld zu
begleiten und zu befördern. Die Geringschätzung, die derzeit
Künstlerinnen und Künstlern entgegenschlägt, schlägt auch auf die
Kulturvermittler zurück. Auf Medien, Agenturen, Management,
technischen Support. Jeder und jede im künstlerischen Bereich
Kreative muss sich davon wie vor den Kopf gestoßen fühlen, weder
systemrelevant noch irgend relevant zu sein. Sind die Stimmen aus der
Kunst- und Kulturszene nicht laut genug, um da ein Umdenken zu
bewirken? Leider nein. Die Kunst erneuert sich ja bekanntlich
irgendwie von selbst, sie stirbt bestimmt nicht aus wegen eines
Virus. Um die großen Institutionen machen sich anscheinend die
wenigsten Sorgen. Tenor: die werden schon nicht fallengelassen, so
hofft man. Aber was ist mit den vielen anderen? Hat die angeschlagene
Kulturwirtschaft nicht auch ein Recht darauf, die Krise zu überleben?
Ich will hier gar
nicht aufrechnen, wie sinnlos oder sinnvoll eine Schließung
beispielsweise von Museen oder Theatern ist, wenn zugleich unter
zumeist schlechteren Hygiene-Bedingungen der Besuch eines Baumarktes,
x-beliebigen Ladengeschäfts oder Friseurs möglich ist. Um mal vom
Gedränge im öffentlichen Nahverkehr ganz zu schweigen. Ich habe
noch keine Politikerin, keinen Politiker gehört, der dafür eine
plausible Erklärung parat hätte. Die Kontaktvermeidung, die sich
Bundesregierung und Länderchefs jetzt angesichts steigender
Fallzahlen auf die Fahne geschrieben haben, ist bei einem Museums-
oder Theaterbesuchs unter der peniblen Beachtung behördlich
genehmigter Hygiene-Auflagen obligatorisch. Trotzdem müssen Theater
und Museen im November schließen. Wer da nach Logik sucht, wird sie
nicht finden.
Andererseits sieht
sich die Politik außerstande, die beschlossenen Maßnahmen wirksam
zu kontrollieren. Auf Dresden heruntergebrochen, spielte sich am
sogenannten Assi-Eck in der Neustadt (und punktuell auch am Elbufer)
aus infektiöser Sicht über den Sommer hin monatelang
Unbeschreibliches ab. Die Behörden schritten allenfalls ein, wenn
die Situation alkoholisierter Partygänger zu eskalieren drohte. In
einem demokratisch verfassten Rechtsstaat wie der Bundesrepublik muss
eigentlich niemand befürchten, dass seine Privatsphäre ohne
triftigen Grund ausgespäht und sanktioniert wird. Und genau das
erscheint nun in der Politik im Bereich des Möglichen zu sein.
Stichwort: Infektionsketten verfolgen. Die Exekutive ist offenbar
nicht in der Lage, öffentliche Plätze in deutschen Großstädten zu
kontrollieren. Wie sollte sie denn dann in der Lage sein, die
privaten Rückzugsräume zu kontrollieren? Also bleibt im Grunde nur
der Appell an die Vernunft oder die Ermunterung zum Denunziantentum.
Der Appell an die Vernunft erscheint irgendwie auch notwendig. Nicht
notwendig sind jedoch die drastischen Einschränkungen des
Kulturlebens, die die Bundesregierung und die Repräsentanten der
Bundesländer unter Umgehung lästiger Debatten in Bundestag und
Länderparlamenten am Mittwoch dieser Woche beschlossen haben.
Die Stadträte Torsten Schulze und Holger Hase im Gespräch zur kulturellen Belebung des Sommers
Es ist, als wäre endlich der Stock aus dem Getriebe des Kulturlebens gezogen worden. Für den Sommer haben sich unterschiedlichste Veranstalter vorgenommen, wieder Kultur in die Stadt und Freude ins Leben zu bringen. Bei vielen der neuen Formate steht die Verpflichtung und damit die Unterstützung der lokalen freien Künstlerinnen und Künstler im Vordergrund. Wie sich dieses Engagement auch für andere Wirtschaftsbereiche und auch in der Zukunft auswirken könnte, darüber hat sich DRESDNER-Herausgeberin Jana Betscher mit den Stadträten Holger Hase, dem kulturpolitischen Sprecher der FDP-Fraktion und Torsten Schulze, dem wirtschaftspolitischen Sprecher der Grünen im Stadtrat unterhalten
Torsten Schulze
Die
Kunst- und Kulturstadt Dresden liegt halbwegs in Agonie. Welche Rolle
könnte oder sollte die Kultur einnehmen, um dem entgegenzuwirken?
Torsten Schulze: Die Agonie kann ich nur im öffentlichen Raum und durch die geschlossenen Veranstaltungsstätten erleben. Bei vielen Kulturschaffenden erlebe ich ganz viel Kreativität, wie sie mit der derzeitigen Situation umgehen. Das hat angefangen mit den zahlreichen Online-Streamingveranstaltungen und setzt sich jetzt im öffentlichen Raum fort. Ich sehe die vielen Kulturschaffenden als gut vorbereit und als wesentlichen Part bei einer Wiederbelebung unserer Stadt.
Holger Hase: Meiner Meinung nach steht eine lebendige Kulturszene immer für eine lebendige Stadtgesellschaft. Von daher müssen wir alles tun, den Kultursektor, unter den gegebenen Bedingungen, wieder zu beleben. Wenn die Menschen wieder Konzerte, Theater, Ausstellungen etc. besuchen können, wird auch der Optimismus und die Lebensfreunde in unsere Stadt zurückkehren.
Holger Hase
Es
sind ja in letzter Zeit eine Reihe von freien und privaten
Kulturveranstaltern, zum Beispiel in der Jungen Garde, auf den Plan
getreten, um dem Publikum über den Sommer Programm zu bieten. Gibt
es über den »Bespaßungsfaktor« hinaus noch weiteren Nutzen für
die Stadt?
Torsten
Schulze: Es ist erst einmal hoch
anzurechnen, dass trotz der Begrenzung der Gästezahlen die Betreiber
wieder bereit sind, unter diesen wirtschaftlich schwierigen
Bedingungen wieder Konzerte, Filmprogramme und weitere
Veranstaltungen anzubieten. Die Synergieeffekte sehe ich für viele
andere Bereiche im öffentlichen Leben. Die Menschen bekommen wieder
Lust, nach draußen zu gehen, sich in Cafés und Restaurants zu
treffen, den einen oder anderen Einkauf zu machen und Museen oder
Veranstaltungen zu besuchen.
Holger
Hase: Ohne Frage ja. Kultur ist für eine
Stadt wie Dresden auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Gerade vor
dem Hintergrund, dass in diesem Jahr wahrscheinlich viele Deutsche im
Inland Urlaub machen werden, sollten und müssen wir alles dafür
tun, dass kulturelle Angebote die Attraktivität des Reiseziels
Dresden steigern helfen.
Alle
neuen Formate haben auch zum Ziel, die lokalen freien Künstlerinnen
und Künstler zu unterstützen. Was kann die Stadt Dresden zur
Verbesserung der Lage beitragen?
Torsten
Schulze:
Neben direkten finanziellen
Unterstützungen wäre unter anderem die Ermäßigung oder der Erlass
von Gebühren für Veranstaltungen und andere Nutzungen des
öffentlichen Raums geeignet. Mit dem Verzicht auf Gebühren für
Gastronomie und Einzelhandel haben wir da schon einen ersten Schritt
getan. Auch die Förderung von Projekten unabhängig von
Antragsfristen und die Auszahlung von Projektgeldern trotz
Haushaltssperre
ist eine weitere Maßnahme.
Holger
Hase:
Wichtig wäre, und das trifft
nicht nur in Corona-Zeiten zu, dass wir Rahmenbedingungen schaffen,
die es der freien Szene ermöglichen, ihr künstlerisches
Wirken umzusetzen. Ich denke da vor allem an die Bereitstellung von
Infrastruktur, wie etwa
Atelier- und Ausstellungsräume. Dies sollte mit einer entsprechenden
Förderpolitik hinterlegt werden. Wir beraten im Kulturausschuss
gerade über den Kulturentwicklungsplan, der noch dieses Jahr
verabschiedet werden soll. Da haben wir jetzt die Möglichkeit, die
richtigen kulturpolitischen Weichen für die nächsten Jahre zu
stellen.
Die
Verhandlungen für den neuen Doppelhaushalt beginnen. Sind die
Akteure der Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft bislang ihrer Rolle
adäquat berücksichtigt worden? Wie ist die Einschätzung für die
Mittelverteilung unter einem mit ziemlicher Sicherheit schrumpfenden
Haushalt?
Torsten
Schulze: Ich glaube die Investitionen in
Menschen ist aktuell wichtiger als in Beton. Da braucht es bei der
Aufstellung des kommenden Haushaltes eine Umsteuerung. Das Wirken der
Kultur- und Kreativschaffenden trägt entscheidend für die
Lebensqualität in unserer Stadt und deren Außenwirkung bei.
Allerdings hat sich das bei der Bereitstellung von öffentlichen
Mitteln nicht bei allen Akteuren wiedergefunden. Insbesondere die
Freie Szene ist damit konfrontiert, weit unter den
Honoraruntergrenzen tätig zu sein. Hier braucht es ein Umdenken.
Holger
Hase: Wir Kulturpolitiker im Stadtrat sind
ständig im Gespräch mit den kulturellen Akteuren in unserer Stadt,
um Meinungen und Wünsche abzuholen, die später in konkrete
politische Anträge umgesetzt werden können. Uns ist allen klar,
dass wir den Gürtel in den nächsten Jahren enger schnallen müssen
und zur Sparsamkeit aufgerufen sind. Doch die Frage ist, wie und wo
wird gespart? Es gibt da meines Erachtens parteiübergreifend eine
große Einigkeit, dass wir trotz des finanziellen Drucks unbedingt
verhindern müssen, dass im Kultursektor substanzielle Verluste
eintreten.
Wo
werden in den kommenden Haushaltsverhandlungen die übergeordneten
Prioritäten liegen und wie sieht eine persönliche Liste aus jeweils
drei Punkten aus?
Torsten
Schulze: Die Erhöhung der Mittel für die
institutionelle und Projektförderung in Kultur und Sport, die
Förderung von Nachhaltigkeit und eine zukunftsfähige
Stadtentwicklung, die an die Klimaveränderung angepasst ist, Radwege
und nachhaltiger Tourismus in Dresden. Der Erwerb und die Sanierung
der Robotronkantine kann verschoben werden, über den Einsatz von
städtischen Mitteln für die Wiedereröffnung des Fernsehturms
sollte noch mal grundsätzlich nachgedacht werden, eine Realisierung
des neuen Verwaltungszentrums durch ein städtisches
Tochterunternehmen ist ernsthaft zu prüfen
Holger
Hase: Die Stadt muss zunächst ihre
Pflichtaufgaben erfüllen, das ist ganz klar. Bei den freiwilligen
Leistungen – und dazu gehört eben auch die Kultur – werden wir
um eine Prioritätensetzung nicht herumkommen. Hier sollten
Investitionen in Zukunft Vorrang vor kurzfristigen konsumptiven
Ausgaben haben, wobei natürlich auch bei den Investitionen
verschiedene Dinge auf den Prüfstand gestellt werden müssen und
überlegt werden sollte, ob man nicht das eine oder andere Vorhaben
über einen längeren Zeitraum strecken kann.
Es
scheint sich ja ein wirklich spannender Kultursommer anzubahnen. Wird
dies eine Eintagsfliege bleiben, oder wäre ein Sommerkultur-Festival
im öffentlichen Raum (analog Greenwich Festival) begrüßenswert?
Torsten
Schulze: Eine Belebung des Stadtgebiets,
nicht nur der Innenstadt, ist perspektivisch gesehen ein gutes
Angebot in den Sommermonaten, um Gäste in die Stadt zu holen und
auch für die Dresdnerinnen und Dresdner. Wenn diese Angebote
zeitlich nicht in Konkurrenz zu anderen Veranstaltungen wie etwa zur
Jungen Garde, dem Palais Sommer oder den Filmnächten stehen, fände
ich das sehr überlegenswert. Eine Auswertung des diesjährigen
Kultursommers, insbesondere der Kulturinseln, ist daher sehr wichtig,
um über eine mögliche Fortsetzung sachlich debattieren zu können.
Holger Hase: Ich hoffe nicht, dass dies eine Eintagsfliege bleibt. Sollte das Format Erfolg haben, sollten wir zügig daran gehen, für eine Fortschreibung über das Jahr 2020 hinaus zu sorgen. Alles was unsere Innenstadt belebt, den Tourismus fördert und die Kulturszene belebt, findet politisch die Unterstützung der Liberalen.
Anmerkung
Das Gespräch mit Holger Hase und Torsten Schulze wurde vor dem Stadtratsbeschuss am 25. Juni zu den Dresdner Kulturinseln 2020 geführt.
Nachtrag
Zum
Stadtratsbeschluss vom 25. Juni 2020, die ab 18. Juli stattfindenden
Kulturinseln im Stadtgebiet zu erweitern und mit 1 Million Euro
auszustatten, äußerte sich Torsten Schulze wie folgt:
»Mit
der Aufstockung des Gesamtbudgets auf 1 Million Euro gibt es jetzt
die Chance, mehr Veranstaltungsorte insbesondere auf der Neustädter
Seite zu kreieren und mehr Kunst- und Kulturschaffenden
Auftrittsmöglichkeiten und damit ein Einkommen zu sichern. Die
Verantwortung für das Gelingen des Kulturinselsommers ist damit
gestiegen und ich wünsche mir, dass alle Akteure zügig und
professionell zusammenfinden, um gemeinsam unter einem Dach das
Projekt zu einem Erfolg zu machen.«
Hygiene-Regeln, Sicherheitsabstand, Homeoffice – Seit dem Lockdown am 13. März ist nichts mehr wie es war. Und an die neuen Begrifflichkeiten müssen wir uns wohl auch erst gewöhnen, die uns im Zuge der ergriffenen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus begleiten.
Aktion Stumme Künstler am 13.5.2020 am Dresdner Elbufer, Foto: meeco Communication Services
Seit nunmehr acht Wochen steht das gesellschaftliche Leben still, und auch nach den ersten Lockerungen vom 4. Mai ist nicht an eine unbeschwerte Neuauflage zu denken. Was bedeutet das für eine Kunst- und Kulturstadt? Mindestens bis 31. August sind Großveranstaltungen untersagt, die beiden Dresdner Staatstheater und weitere Theater wie jenes in Bautzen haben ihre Saison bereits vorfristig beenden müssen. Die Politik hangelt sich im zweiwöchigen Rhythmus von Verfügung zu Verfügung. Wirklich planbar ist so eigentlich nichts, denn solange es Kontaktbeschränkungen gibt, ist an normale Veranstaltungen, die ja auch immer ein Gemeinschaftserlebnis sind, nicht zu denken. Es ist kaum vorstellbar, eine Party oder ein Konzert im Clubrahmen mit Mundschutz im gebührenden Sicherheitsabstand zu feiern und für jedes Getränk vor die Tür gehen. Das würde so nicht funktionieren. Die Theater können zudem auch nicht von jetzt auf gleich hochgefahren werden. Sie brauchen Vorlaufzeit und einen neuen Spielplan. Vor allem fehlt die Planungssicherheit, die einen Zeithorizont eröffnet, in dem Veranstaltungen, unter welchen konkreten Bedingungen auch immer, wieder möglich sind. Das ist eine Notwendigkeit, die uns in den dutzenden Interviews, die wir in den letzten Tagen und Wochen geführt haben und weiterhin führen werden, bei allen Gesprächspartnern aus dem Kunst- und Kulturbereich begegnet ist.
Eines ist jetzt schon klar: Digitale Angebote, so gut sie auch sein mögen, können das physische Erlebnis nicht ersetzen. Je länger nun aber das kulturelle Leben brachliegt, umso größer wird der Hilfsbedarf und die Sorge, dass danach, wenn alles wieder hochgefahren werden kann, einigen Kulturträgern – ob privatwirtschaftlich orientiert oder öffentlich gefördert – die Puste ausgegangen ist. So fordern etwa die maßgeblichen Verbände der Musikwirtschaft ein bundesweites Soforthilfepaket von 582,17 Mio. Euro, um wenigstens 10 Prozent des riesigen Schadens, der in der Branche bislang entstanden ist, ersetzt zu bekommen und nicht Insolvenz anmelden zu müssen. Auch die freien Träger haben sich mit einem Hilferuf an die sächsische Landesregierung gewandt und fordern einen Schutzschirm für freie Kulturträger in allen Sparten und für deren Vermittlungspartner von 20 Mio Euro.
Immerhin haben Museen und Galerien wieder geöffnet, und die Not macht erfinderisch. Selbst totgeglaubte Formate wie das Autokino erleben derzeit eine Wiedergeburt. Kultur ist durchaus systemrelevant, »denn Kultur ist kein Luxus, den wir uns leisten oder auch streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere eigentliche innere Überlebensfähigkeit sichert.« (Richard von Weizsäcker, 1991). Hoffen wir, dass der Ruf der Kultur nicht ungehört verhallt.
Unter Meinungskultur versammeln wir auf dieser Seite eine ganze Reihe an Stimmen aus der Kunst- und Kulturszene der Stadt. Die Interview-Reihe wird fortgesetzt.
René S. hatte alles genau geplant und vorbereitet. Seine Anthologie war gerade aus der Druckerei gekommen, auf verschiedenen Lesebühnen der Stadt waren Termine bis zum Sommer vereinbart, das Programm dafür war bis ins Detail ausgefeilt – Es sollte sein großer Wurf als Autor und Herausgeber werden. Und nun: Alles abgesagt, zwei Jahre Arbeit perdu.
Vor ähnlichen Situationen stehen die Mehrzahl der freien Künstler und Kreativen in der Stadt und im Land. »Und die Lage trifft viele ins Mark« berichtet Nils Burchartz, Vorstand beim Branchenverband »Wir gestalten Dresden«: »Eine abgesagte Tour zum Beispiel bringt eine Band schnell in den wirtschaftlichen Totalausfall, denn eine Tour sichert gewöhnlich das finanzielle Auskommen für die Musiker über einen längeren Zeitraum.«
Bei den Akteuren geht zurzeit die Sorge vor einem Flächenbrand in der Kunst-, Kultur- und Kreativszene um. Denn Kultur und Kulturvermittlung gehören zu den arbeitskraftintensiven Produktionsfeldern, auf denen viel an Klein- und Kleinstunternehmer, auch in den technischen Gewerken, outgesourced ist, die mit Honorarverträgen, Einzelaufträgen und Projekten agieren. Dies betrifft nicht nur die einzelnen Künstler oder Künstlergruppen, sondern zieht seine Kreise auch zu den Konzert- und Tourveranstaltern, den Clubs, den privaten Theatern und schlussendlich auch zu den großen und kleinen Kulturinstitutionen.
Denn auch wenn die städtischen und staatlichen Kulturinstitutionen derzeit, zumindest was die Aufrechterhaltung des Betriebes und die Zahlung der Gehälter von den Förderstrukturen abgesichert sind, müssen auch sie in absehbarer Zeit wieder Einnahmen verzeichnen, so Torsten Schulze, Grünen-Stadtrat, der derzeit einen Eilantrag für den Stadtrat am 26. März vorbereitet: »Wir als Stadt sind auch sehr darauf angewiesen, dass wir in unseren Einrichtungen Einnahmen generieren. Und wenn die in Größenordnungen wegbrechen, dann haben wir als Kommune eine deutlich geringe Möglichkeit, dies zu kompensieren.«
Zu Beginn der Krise wurden in Berlin vollmundig große Hilfspakete angekündigt. Nur: Bislang blieb es weitestgehenst bei Ankündigungen, und diese beinhalten in erster Linie Stundungen bei den Finanzämtern, die Anmeldung von Kurzarbeit und erleichterter Zugang zu Krediten. So auch der von Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig vorgebrachte Vorschlag, 650 Millionen Euro als sogenannte Nachrangdarlehen an Klein- und Kleinstbetriebe auszureichen.
Eine Herangehensweise, meint Nils Burchartz, die für die Betroffenen ein Danaer-Geschenk ist: »Denn für diese Akteure ist ein Kreditzugang traditionell extrem schwierig. Und die meisten von denen haben keine Rücklagen, und dann noch einen Kredit aufzunehmen, wird deren Lage auch langfristig nicht verbessern. Zumal wir ja auch gar nicht kalkulieren können, wie lange das Ganze andauert und wie dann das Publikum reagiert. Die musikalischen Künstlern, die ich kenne, sind jetzt schon panisch. Die sehen eine Show nach der anderen wird gecancelt, und der Zeitraum wird immer länger. Da ist kein Licht mehr am Horizont. Man darf nicht anehmen, dass die das schon schaffen werden, sie werden es im Zweifelsfall nicht schaffen.«
Einig sind sich Nils Burchartz und Torsten Schulze, dass, ohne den Freistaat und den Bund aus der Verantwortung zu entlassen, von Seiten der Stadtverwaltung die ersten Rettungsmaßnahmen sofort angegangen werden müssen. Torsten Schulze: »Als Stadt sind wir schon ganz gut aufgestellt. Für unsere eigenen Einrichtungen können laufende Kosten gedeckt und gesichert werden. Die Frage ist eben, ob auch Honorarkräfte von der Stadt abgefangen werden. Wir haben in den Museen, an der VHS, an der Musikschule und auch an den Theatern Honorarkräfte. Da wäre es gut, wenn die Stadt von den Honoraren zumindest anteilig etwas bezahlen könnte, um den kompletten Einkommensausfall abzumildern. Von 60 bis 70 Prozent zu sprechen, erscheint mir realistisch.« Und Nils Burchartz ergänzt: »Ich sehe die große Gefahr, dass in einigen Einrichtungen die Mentalität ist: Der Betrieb ist eingestellt, wir kümmern uns um unsere Angestellten, und die Freien können nach Hause gehen, denn die haben ja noch andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Das ist de facto Quatsch. Zum Beispiel sind bei der HSKD sind zwei Korepititoren angestellt und die restlichen elf sind Freie.«
Auch gibt es Überlegungen, wie das Fixkostenpaket für den Kreis der Kulturakteure und -wirtschaftsbetriebe gedeckelt werden könnte. Dazu Torsten Schulze: »Es wäre auch die Frage, ob städtische Versorgungsunternehmen, wie die Drewag, die monatlichen Abschläge reduziert oder stundet. Es gibt die Möglichkeit, die Zahlungen über längere Zeiträume zu strecken oder über die großen Hilfspakete des Bundes, die angekündigt sind, zu holen. Denn eine Rechtsabteilung eines Energieversorgers ist sicherlich effizienter in der Lage, Hilfsgelder einzuwerben als der einzelne Club, das Privattheater.«
Hilfreich wäre sicherlich ein Notfallfond, den man auch auf städtischer Ebene einrichten könnte, »aus zweckgebundenen Haushaltsmitteln, über die der Stadtrat schnell entscheiden könnte«, so Torsten Schulze. Und diese Wirtschaftshilfe sollte auch noch weiterführende Dimension eröffnen, zum Beispiel als Zuschüsse, mit denen privatwirtschaftlich Kulturbetriebe ertüchtigt werden, auch ihren Freien eine Zukunftsperspektive zu eröffnen. Nils Burchartz hält es demzufolge für wichtig: »Wenn es wieder losgeht, braucht es ein kulturelles Konjunkturpaket, um die vorhandenen Strukturen abzusichern und wieder zu beleben, da sind dann auch KSK und Gema in der Pflicht.«
Unklar ist derzeit noch, welche Ausmaße das derzeitige wirtschaftliche Wachkoma erreichen wird. Noch ist gar nicht im Kalkül, dass ja auch die Kulturbesucher, die in der Privatwirtschaft beschäftigt sind, zunehmend von Einnahmen abgeschnitten werden und die Verunsicherung steigt. Auch hier sieht Torsten Schulze die Politiker in der Pflicht: »Es wird nicht über den Virus informiert. Es braucht eine Deadline, damit die Leute wissen, müssen sie sich noch drei Wochen organisieren oder fünf Wochen, oder bis in den Herbst hinein: An der Stelle muss Klarheit geschaffen werden. Auf unabsehbar, damit kann kein Mensch klarkommen und die Panik wird noch zusätzlich geschürt. Die Gefahr einen großen Crashs steigt umso mehr, je länger Unklarheit besteht. Und Nils Burchartz ergänzt: »Wir fahren alle zurzeit nur auf Sicht und das im dichtesten Nebel.«
Aktuell entscheidet der Stadtrat in der Sitzung am 26. März über eine Soforthilfe zur Unterstützung von Kleinstunternehmen, Selbständigen und Freiberuflern als Zuschuss von jeweils 1.000 Euro. Mehr unter www.dresden.de/corona
Update 29.3.2020. Inzwischen ist auch das Soforthilfeprogramm des Bundes für Selbständige, kleine Unternehmen, Freiberufler und Landwirte durch die Länder angelaufen: bundesfinanzministerium.de
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