DAVE-Opening 2020 im Kleinen Haus, copyright photo: Robby Klee
Seit 2014 gibt das DAVE-Festival Künstlerinnen und Künstlern aus der elektronischen Musikszene eine Plattform und macht die vielfältige Clublandschaft in Dresden einem größeren Publikum zugänglich. In diesem Jahr war es etwas anders: Die verkürzte Ausgabe kam als Hybrid daher und musste ohne Partys auskommen. Für die Oktober-Ausgabe hatten wir dazu Philipp Demankowski vom Organisations-Team des DAVE befragt. Jetzt, wo auch Live-Konzerte nicht mehr möglich sind, hat Karsten Hoffmann für DRESDNER Kulturmagazin noch einmal bei Philipp nachgehakt, und um Rückblick und Ausblick gebeten.
Wie
wurde denn in diesem Jahr die hybride Ausgabe des DAVE angenommen?
Welche Formate werden bleiben?
Wir
haben uns im Frühsommer nach langer Überlegung dazu entschieden,
ein Hybrid-Festival zu veranstalten, also eine Mischung aus
klassischen Präsenzveranstaltungen – minus der Partys aus
nachvollziehbaren Gründen – und digitalen Inhalten, die wir unter
dem Schlagwort DAVE TV subsummierten und die wie ein eigener
Fernsehsender mit vorher aufgenommen redaktionellen Inhalten sowie
Livestreams von Veranstaltungen und Behind-The-Scenes-Material
funktionierten. Das kam ganz gut an, wobei die genaue Auswertung noch
aussteht. Im Chat war immer gut was los, so dass trotz allgemeiner
Live-Stream-Müdigkeit das Ganze durchaus als Erfolg verbucht werden
kann.
Was waren die Highlights und wird es im nächsten Jahr wieder ein DAVE geben?
Ich denke schon, dass wir das im nächsten Jahr wiederholen werden, definitive Schussfolgerungen aus dem Blick in die Kristallkugel kann ich aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht machen.
Zentrale
Highlights waren sicher die drei Beyond The Club-Konzerte, das
Opening im Kleinen Haus sowie die DAVE Con im objekt klein a. Soweit
ich das beurteilen kann, liefen die Veranstaltungen sowohl inhaltlich
als auch besuchertechnisch super. Man hat gemerkt, dass die Leute
nach der Veranstaltungsarmut in den Vormonaten nach Kultur gieren.
Natürlich hatten wir großes Glück, dass DAVE punktgenau gerade vor
dem Lockdown-Light im November zum Ende kam. Wir haben aber auch
extrem viel Gehirnschmalz in ein stimmiges und sicheres
Hygienekonzept gesteckt, an das sich sowohl Besucherinnen und
Besucher als auch Team vorbildlich gehalten haben.
Im Gespräch mit Familientherapeutin Sylvia Betscher-Ott
Es gibt kaum ein Thema, das in vielen Familien mit weniger Emotionen beladen ist als Weihnachten. In unserem Kulturkreis gilt es als das Familienerlebnis, das der Selbstvergewisserung als Gemeinschaft dienen soll. Also machen sich jedes Jahr Heerscharen von Studenten, Singles und auch Paaren kreuz und quer durch die Republik auf den Weg, um unter dem Weihnachtsbaum die immer gleichen Rituale abzuhalten – gemeinsames Essen, gemeinsames Singen, Erzählen oder Gottesdienstbesuch, dann Geschenke auspacken, sich mehr oder weniger freuen, am nächsten Tag das Gleiche bei Oma und Opa. Und Erleichterung darüber, das Ganze einigermaßen ohne Streit überstanden zu haben. Nun scheint das Fest der Liebe ziemlich unsinnig, wenn allerorten »Kontakte reduzieren« das Diktum der Zeit lautet, und Familien unter dem Brennglas von Corona als »viraler Hotspot« definiert werden. Wie also dieses Weihnachten über die Bühne bringen? Darüber sprach DRESDNER-Herausgeberin Jana Betscher mit ihrer Schwester Sylvia Betscher-Ott, Gründerin des Würzburger Institus für systemisches Denken und Handeln und seit Jahrzehnten als Paar- und Familientherapeutin tätig.
Sylvia Betscher-Ott
Verunsicherung allerorten. Darf die Oma an Heiligabend nun dabei sein, sollte sie? Kann ich michmit meinen Freunden treffen? Kurzum: Ist das Fest der Liebe in Gefahr?
Sylvia Betscher-Ott: Ja, auf alle Fälle! (lacht). Sicherlich stellen uns diese Weihnachtsfeiertage vor interessante Herausforderungen. Das wohl durchgeplanteste Familienereignis des Jahres lässt sich unter den derzeitigen Bedingungen schlecht planen. Und dies schafft weitere Unsicherheiten in den von vielen als sehr unsicher wahrgenommenen Zeiten. Aber zu sagen ist: Das Feiern in der Kernfamilie ist ja auf alle Fälle möglich. Wer sich unsicher ist, wie älteren oder kranken Familienmitgliedern zu begegnen ist, kann sich mit einem Test ein wenig Zuversicht verschaffen. Aber das Risiko, sich oder andere anzustecken, ist natürlich trotzdem da.
Schafft diese
Unsicherheit nicht noch mehr Konflikte, denn an Weihnachten werden ja
häufig nicht nur die Gemeinsamkeit betont, sondern auch immer wieder
gerne Unterschiede in Charakter und Auffassung thematisiert?
Sylvia Betscher-Ott: Und da hat das Thema, wie die Coronamaßnahmen zu bewerten seien, mit Sicherheit erhebliches Streitpotential. Nimmt man dann noch Auseinandersetzungen, zum Beispiel über veganes Essen dazu, und kombiniert das Ganze mit den Animositäten und alten Wunden, die zu Weihnachten gerne aufgerissen werden, dann mag es in mancher Familie in der Stillen Nacht zu Konflikten kommen. Deshalb würde ich an dieser Stelle den Spieß gerne umdrehen: Statt darüber zu sinnieren, wie schrecklich dieses Weihnachten werden könnte, ist es lohnenswert, über Weihnachten neu nachzudenken.
Die Krise als
vielbeschworene Chance?
Sylvia Betscher-Ott: Das hört sich im ersten Moment tatsächlich ein wenig sarkastisch an. Dennoch, wir alle kennen Menschen oder wir gehören vielleicht auch selbst dazu, für die Weihnachten in erster Linie mit viel Aufwand und wenig vergnüglichen Stunden verbunden ist. Und sich aus dieser als Pflichtübung empfundenen Situation zu lösen, dafür bietet Corona einen recht eleganten Ausweg. Vielleicht mag man wirklich lieber Weihnachten zu Hause verbringen, statt für ein paar Stunden Familienfest durch die ganze Republik zu fahren. Vielleicht möchte man sich in diesen Tagen wirklich lieber mit seinen Freunden umgeben und sich nicht die immergleichen Geschichten von Onkel Erwin anhören? Die derzeitige Situation kann die Gelegenheit sein, mit den Eltern und Großeltern zu besprechen, ob man nicht dieses oder jenes bleiben lassen oder anders machen könnte und möchte. Zusammengefasst: Die Chance liegt tatsächlich darin, Rituale zu überprüfen und neue Rituale zu entwickeln.
Aber die Vorstellung, Weihnachten alleine zu verbringen, selbst wenn man sich nach etwas Ruhe sehnt, ist das nicht auch gruselig?
Sylvia Betscher-Ott: Das muss nicht sein. Denn wenn wir uns klarmachen, dass es dieses Jahr vielen so ergeht, fühlen wir uns weniger einsam. Das ist ein tröstlicher Reflex unserer Seele. Vielleicht sollte man für sich überlegen, warum Weihnachten derartig mit Bedeutung aufgeladen ist. Denn objektiv gesehen ist es kein Weltuntergang, wenn Weihnachten einmal nicht so stattfindet, wie es immer stattgefunden hat. Natürlich gibt es Umstände, die einen wenig froh machen. Mein Mann und ich zum Beispiel verbringen Weihnachten mit vielen Freunden. Die großen Festrunden fallen nun aus. Dann ist eben Kreativität gefragt, zu überlegen, wie man trotzdem eine schöne Zeit miteinander verbringen kann, zum Beispiel beim Spazierengehen. Mein Mann und ich werden also dieses Jahr um Weihnachten herum viel an der frischen Luft sein. Und einmal nicht für 15 oder 20 Leute einkaufen zu müssen, hat ja schließlich auch etwas für sich.
Vielen Dank für das Gespräch!
Sylvia Betscher-Ott, Dipl.Soz.Päd., Lehrtherapeutin für System- und Familientherapie (DGSF) Supervisorin (DGSv), Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, Weiterbildung in Gesprächspsychotherapie, Eheberatung und Mediation; langjährige Mitarbeit an einer Erziehungs- und Eheberatungsstelle; in freier Praxis tätig mit den Schwerpunkten Therapie, Supervision und Fortbildung; wuerzburger-institut.de
Kilian Forster, Leiter der Jazztage Dresden, Musiker und Manager – befragt von Heinz K.
Kilian,
du bist ja nun als Musiker und als Intendant der Jazztage Dresden in
doppelter Hinsicht vom Lockdown betroffen …
Sogar in dreifacher Hinsicht, da ich ja nicht nur die Jazztage leite und mit den Klazz Brothers spiele, sondern meine eigenen und andere Projekte – zusammen mit meiner Frau – auch noch manage. Also ein breit aufgefächertes Spektrum, damit wir, wenn ich mir mal in den Finger schneide oder Jazz nicht mehr so läuft oder die Klazz Brothers auseinander gehen, noch ein Standbein haben, um weiterzumachen. Alles ist jetzt auf Null.
Kilian Forster: Ich nehme meinen Vollbart erst ab, wenn wir wieder ein Konzert ohne Beschränkungen geben können.
Das
wäre auch meine Frage gewesen, wie du mit der Situation umgehst, in
der du nicht arbeiten kannst?
Also zuerst einmal war ich sehr beschäftigt mit Absagen und
Umverlegungen der Umverlegungen, mit Ticketumbuchungen und dem
Versuch, etwas Neues zu kreieren. Ich habe dann aber gemerkt, dass
das alles keinen Sinn macht. Und bevor man die Branche wechselt (das
waren tatsächlich die Überlegungen), ist die einzige Möglichkeit,
zu protestieren – Um uns selber mit den Jazztagen zu outen und auch
generell auf den Exodus der Veranstaltungswirtschaft und auf die
Vielfalt der Kultur, die jetzt in Gefahr ist, hinzuweisen. Denn dafür
haben wir ja studiert, davon leben wir und das brauchen wir einfach
für unsere psychische Gesundung.
Du
bist Initiator der Aktion Stumme Künstler. Was ist das Hauptanliegen
der Aktion?
Als Initiator kann man auch noch ein bisschen mehr machen, also
organisieren wir das auch noch zu fast hundert Prozent. Es soll und
wird jetzt leider größer werden und die Aktion geht auch in andere
Städte, wie etwa Berlin, Würzburg und Augsburg.
Das Hauptanliegen gilt sowohl den Künstlern als auch für die
Veranstalter und die Soloselbständigen. Wir sind von Gerhard
Schröder ermuntert worden, Ich-AGs zu gründen. Die jungen Leute
sind damals sehr kreativ damit umgegangen, und die fallen jetzt
komplett durchs Raster. Es gibt im Vergleich zu anderen europäischen
Staaten keinerlei Hilfe als den Verweis auf die Grundsicherung. Also
Leute, die Kredite aufgenommen haben, die Versicherungen zu zahlen
haben und ihr Schulgeld zahlen, haben nicht die Möglichkeit, ihre
Lebenshaltungskosten in der Soforthilfe anzugeben. Und es gibt Länder
wie Norwegen oder Großbritannien, die 80 Prozent des
Verdienstausfalls des letzten Jahres für die drei Monate und weitere
Monate übernehmen. Oder die Niederlande, die wenigstens zwischen
1.000 und 1.500 Euro geben. Angesichts dessen ist es eine Sauerei,
was hier bei uns passiert.
Das ist das eine Anliegen. Das andere ist, dass wir vom Kulturamt der Stadt Dresden zu hören bekommen haben, dass es keine Hilfe zur Rettung der Jazztage geben wird – und das geht anderen Institutionen auch so. Das kann nicht sein. Wir haben 19 Jahre der Stadt etwas gegeben und dabei nichts verdient, sogar selber noch etwas drauf gezahlt, und dann noch in Aussicht gestellt zu bekommen, dass man froh sein solle, wenn es im nächsten Jahr genauso wenig Förderung gibt wie im letzten Jahr, (die Jazztage haben von Stadt und Land 5 Prozent des Umsatzes als Förderung bekommen und 95 Prozent selber erwirtschaftet, wo andere Festivals bis zu 50 Prozent ihres Umsatzes gefördert bekommen). Das war der Auslöser. Ein zweiter Auslöser war, dass es nicht einmal 100.000 Euro Kredit gibt, weil die Jazztage eine gemeinnützige Gesellschaft ist. Wir bekommen – und das geht vielen Institutionen so – keinen KfW-Kredit, weil wir als Gemeinnützige keinen Gewinn machen dürfen. Wir brauchen auch nicht unbedingt einen Kredit, sondern direkte Zuschüsse, aber mit einem Kredit wären wir wenigstens über die Runden gekommen und müssten auch nicht im September Insolvenz anmelden. Also vielleicht kann man ja als Zombie-Unternehmen noch ein wenig länger dahinvegetieren …
Nun hat die Bundesregierung die Verlängerung des Verbots von Großveranstaltungen bis 31. Oktober beschlossen. Was bedeutet das jetzt für die Jazztage? Planst du jetzt für 2021?
Ohne Hilfe wird es die Jazztage weder 2020 noch 2021 geben. Entweder
ist es der Stadt und dem Staat etwas wert – und das fordere ich
auch für andere Institutionen – oder eben nicht.
Bei
den Stummen Künstlern hast du ja nun auch schon teils hochrangige
Politiker auf die Bühne gebeten. Hat das etwas bewirkt, schiebt es
etwas an?
Es schiebt definitiv etwas an und es fördert das Verständnis für
die Freien und Selbständigen. So ist es in dem neuen Paket der
Landesregierung immerhin ein Fortschritt, dass von 68 Millionen für
die Kultur 30 Millionen an die Freien gehen, nur ist das eben wieder
begrenzt und nicht einmal im Ansatz ausreichend, um viele Unternehmen
in Sachsen vor dem Ruin zu bewahren. Wie brisant es wirklich für die
Freien im Verhältnis zu den Hochsubventionierten ist, das merkt man
in den Gesprächen mit den Kulturpolitikern, dass das bei ihnen noch
nicht angekommen ist. Trotzdem ist bei den Politikern die
Bereitschaft da zuzuhören, und das hat sicherlich bewirkt, dass wir
nun etwas mehr Hilfe bekommen.
Ich erwarte eigentlich von einer Kulturministerin, egal ob auf Land-
oder Bundesebene, dass sie klar formuliert, was die Hilfe sein muss,
und nicht, dass man uns noch erklärt, warum wir von 6 Milliarden für
die Kultur und den Tourismus nur 68 Millionen kriegen. Das kann nicht
sein. Es kommt mir manchmal so vor, dass ein jeder in Verantwortung
stehender Politiker betont, wie sehr ihm oder ihr die Kultur am
Herzen liegt, und das nehme ich auch jeder und jedem ab, aber das
klingt am Ende für mich wie eine anteilnehmende Beileidsbekundung
zum Tod der Branche.
Was
müsste die Politik deiner Meinung nach reagieren, um dieses
offensichtliche Defizit zu beheben?
Die Politik müsste individuelle Maßnahmen abfragen, welches
Unternehmen wie viel Geld benötigt, um zu überleben. Das muss
nachprüfbar sein, ganz klar dargelegt, mit allen Einsparpotenzialen,
die man selbst noch hat, um einfach die Kulturinstitutionen über
diese Zeit zu retten. Sodass man bis dahin überleben und frohen
Mutes daran arbeiten kann, fürs nächste Jahr Konzerte und
Veranstaltungen zu planen.
Was
ist denn mit dem Projekt Kulturinseln beabsichtigt?
Das sind 12 Bühnen in der Innenstadt, vom Goldenen Reiter bis zum
Hauptbahnhof, die donnerstags bis samstags im Stundentakt mit
Kurzkonzerten, Performances und Tanz von Dresdner Künstlern für
Touristen und Einheimische bespielt werden. Damit sollen zusätzlich
auch Tages- und Wochenendtouristen angezogen werden, indem ihnen
hervorragende Darbietungen von Dresdner Künstlern und Institutionen
und der freien Szene geboten werden.
Nun
sind ja die 500.000 Euro für die »Kulturinseln, die du mit ins
Leben gerufen hast, um weitere 500.000 Euro für das Projekt »Kunst
trotzt Corona« auf 1 Million aufgestockt worden. Wie bewertest du
diese Entscheidung des Dresdner Stadtrates?
Eine gute Sache. Vielleicht konnte ich mit all den Interviews, auf den Stumme Künstler-Demos, im Kulturausschuss und in den persönlichen Gesprächen mit den Politikern, wo ich die eine symbolische Million vor der Sommerpause gefordert hatte, mithelfen. Wenn es einen Teil dazu beigetragen hat, dann bin ich glücklich. Ab 1. Juli kann man sich für die Kulturinseln bewerben.
Wo
steht dann die Kultur, wenn die Krise vorbei ist?
Das ist die große Frage: Wollen wir den Amazon- und Netflix-Effekt und es wird nur noch auf ein paar Große verteilt sein? Wollen wir Streamingdienste nutzen und nur noch auf ein paar wenige Konzerte gehen sowie die hochsubventionierte Kultur erleben, oder wollen wir die ganze Vielfalt der kleinen bis großen Veranstalter, ob subventioniert oder nicht subventioniert, erhalten? Da sehe ich eigentlich nur eine Chance, wenn man endlich die Leistung der freien Kreativ- und Kulturwirtschaft anerkennt und dort ähnlich wie bei freien Schulen oder Privatkrankenhäusern eine adäquate prozentuale Förderung zukommen lässt, ihnen alle Freiheiten lässt und sie nicht politisch zu beeinflussen sucht. Das wird ein langer Kampf werden, so wie das bei den Freien Schulen, ob Waldorf oder Montessori, ja auch gewesen ist. Wir brauchen einen Verteilerschlüssel für die Veranstaltungsbranche, damit wir wieder handlungsfähig sind. Denn man kann nicht endlos an der Preisschraube drehen. Dort muss Solidarität und Fairness walten. Entweder gehen wir gestärkt aus der Krise, oder die Vielfalt der Branche wird sterben.
Thomas Jurisch (Moderator, Veranstalter und Slam-Comedian) – befragt von Karsten Hoffmann
Thomas Jurisch
Wie
hat dich die Corona-Krise getroffen?
Ich habe durch den Verlust meiner Shows, Moderationen und anderweitigen Aufträge natürlich Einbußen gehabt. Doch es hielt sich in Grenzen. Der schnelle Weg durch die staatlichen Hilfen, da muss ich gestehen, dass mir das herzlich am Hintern vorbei ging. Es geht um Geld. Mehr nicht. Dass sich die Beschränkungen irgendwann wieder lockern würden, war mir klar. Ergo habe ich die letzten drei Monate mehr als genossen. Niemand, der nervte, keine Ahnung wie es weiter gehen sollte und jeden Tag mit Sport, Kind und Natur verbracht. Die schönsten stressfreien Monate der letzten zehn Jahre.
Was
hast du denn unterdessen unternommen? Gab es für dich einen
Notfallplan?
Ich
hatte und habe keinen Notfallplan. Warum auch? Wir leben in
Deutschland. Dieses Land steht für seine Menschen ein. Wenn du in
Not kommst, dann hilft dir der Staat finanziell in vielen Belangen.
Dafür muss man zwar oft die Hosen runter lassen, aber dann läuft es
ohne Probleme. Ich habe die Zeit entspannt meine zukünftigen Shows
und Projekte umzusetzen und zu schauen, was sich ergibt.
Hattest
du unter Corona-Bedingungen schon Auftritte? Wenn ja, wie
reagierte das Publikum darauf?
Seit
Juni können wir wieder zaghafte Schritte mit bis zu 240 Zuschauern
machen. Das lässt hoffen und auch entspannt in die Zukunft sehen. Ab
Juli 950 Gäste bei den Filmnächten und viele diverse kleine andere
Shows füllen den Terminplaner und zeigen, dass man auch mit kleinen
Sachen Geld verdienen kann und vor allem, wer sich um seine Gäste
und Künstler kümmert. Das derzeitige Gejammer an allen Ecken nervt
mich wirklich an, denn statt kleine kontinuierliche Brötchen zu
backen, wollen alle nur große Shows, um abzusahnen. Das war und ist
nie meine Philosophie gewesen.
Welchen
Wunsch hättest Du an die Politik?
Ehrlich?
Keinen! Auch wenn die Bundesregierung in vielen Punkten vielleicht
überreagiert hat, hätte ich nicht in ihrer Haut stecken wollen. Sie
haben zwar einige Branchen an den Rand des Ruins gebracht, aber
lieber so, als Tausende von Toten. Und es hätte jeden von uns
treffen können. Meinem Sohn zu erzählen, dass der Papa sterben
wird, weil er unter die Risikopatienten fiel oder gar mein Kind
verlieren, des Leichtsinnes wegen, ist für mich undenkbar. Wir haben
alle die Chance auf Grundversorgung. Das hilft für kommende Monate
und einem zaghaften Neubeginn. Ich liebe derzeit diese Situation.
Endlich mal wieder alles auf Null fahren und sich dessen bewusst
werden, was man wirklich will.
Clubbetreiber Sebastian Gottschall (Strasse E, Reithalle, Bunker) – befragt von Karsten Hoffmann
Sebastian Gottschall
Wie
sieht die aktuelle Situation in der Strasse E aus?
Trüb,
da wir derzeit keinerlei Veranstaltungen durchführen können und
seit März einen totalen Umsatzverlust erleiden.
Gibt
es einen Notfallplan und alternative Konzepte? Welche
Unternehmungen hast du bisher angestellt?
Es
gibt keinen Notfallplan, insofern weiterhin alles untersagt bleibt
und man uns keinerlei Spielraum für Alternativen einräumt. Unsere
regelmäßigen Konzert- und DJ-Livestreams können uns leider auf
Dauer nicht retten.
Gab
es denn schon kleinere Gigs unter den aktuellen Auflagen und wie
könnte eine sinnvolle Lösung fürVeranstaltungen
aussehen?
Nein, da jegliche Form innerhalb geschlossener Räume, egal ob Diskothek oder Konzert untersagt sind, und Begrenzungen auf 50 Personen mit Abstandsregeln wirtschaftlicher Unsinn sind, weil das eben auch mehr Geld kostet, als letztlich die Türen geschlossen zu lassen. Die einzig wirtschaftlich sinnvolle Maßnahme wäre die zumindest teilweise Aufhebung der Maßnahmen, da diese aufgrund der aktuellen sachsenweiten Entwicklung der Infektionszahlen nicht mehr angemessen sind. Das bedeutet Konzerte und auch Diskothekenbetrieb bis zur Besucherzahl X ohne weitere Einschränkungen wie Abstands- oder Maskenpflicht. Es macht keinen Sinn, Sachsen zur keimfreien Zone zu erklären. Dies ist nicht Sinn und Zweck der Schutzmaßnahmen. Als Alternative kann nur eine umfangreiche finanzielle Hilfe in Frage kommen, die nicht Rückzahlungspflichtig ist. Die versprochenen Juni-Maßnahmen der Regierung sind ja vom Umfang her, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit. Die meisten Unternehmen in meinem Umfeld würden mit diesen neuen Maßnahmen keine 3 Monate, sondern eher nur einen Monat durchhalten. Die Miet- und Unterhaltskosten in der Veranstaltungswirtschaft sind nicht zu unterschätzen. Leider begrenzt die Regierung die Hilfsmaßnahmen weiterhin anhand der Anzahl der Mitarbeiter, was aber finanziell im Veranstaltungsgewerbe weniger Einfluss auf die Gesamtkosten hat. Ein weiteres Problem wird sein, das auf lange Sicht der Veranstaltungswirtschaft Ton-, Licht- und sonstige Mitarbeiter wegbrechen werden, ebenso wie selbstständiges Gastro-Personal. Da Soloselbständige keinerlei Existenzhilfen bekommen und auf Harz 4 angewiesen sind, wovon sie ihren Lebensstandard nicht finanzieren können, werden sich viele dieser Freischaffenden beruflich umorientieren. Mir sind diesbezüglich bereits Fälle bekannt. Dies stellt ebenfalls eine Gefahr für die Veranstaltungswirtschaft dar, da uns schlichtweg das Fachpersonal abhanden kommt.
Was wäre dein Wunsch an die Politik?
Die
Scheuklappentaktik gegenüber der Veranstaltungswirtschaft und den
Soloselbständigen abnehmen und sich auf kompetente Weise mit den
realen Problemen auseinanderzusetzen. Pauschalisierte Hilfen ohne
Betrachtung der wirklichen Notwendigkeit finanzieller Hilfen wird das
Überleben der Veranstaltungswirtschaft nicht sichern. 2,3 Millionen
Selbstständige und deren privaten Unterhalt komplett zu ignorieren,
stößt bei mir auf komplettes Unverständnis. Dies als Wunsch zu
formulieren, wäre nicht angemessen. Direkte Hilfen sollten hier eine
Selbstverständlichkeit sein.
DJ und Drag Queen Lara Liqueur – befragt von Karsten Hoffmann
Wie
hat dich als DJ die Covid19 Pandemie getroffen?
Der
Lockdown und die dazugehörigen Beschränkungen und Clubschließungen
haben mich sehr stark überrascht. Bis Ende Juni wäre mein Kalender
eigentlich dauerhaft voll gewesen, ich hätte wie gewohnt meine 3 bis
4 Gigs pro Woche gespielt. Letzten Endes waren es dann exakt Null
Livegigs zwischen Mitte März und Mitte Mai. Anfangs habe ich noch
täglich Twitch-Livestreams gespielt, nach ungefähr einem Monat hat
mich das aber nur noch frustriert. Ohne »echte«
Menschen und »echte«
Gesichter ist das einfach nicht dasselbe. Einziges Einkommen in
dieser Zeit waren tatsächlich die Einnahmen von Twitch und einige
(wenige) Spotify-Tantiemen meiner musikalischen Veröffentlichungen.
Wie
sieht Dein aktueller Notfallplan aus und welche Unternehmungen hast
du bisher angestellt?
Aktuell
läuft die Booking-Phase langsam wieder an. Vor allem Firmen- und
Privatfeiern fragen nach und nach Termine für die zweite
Jahreshälfte an. Ich werde versuchen, mir für den Fall eines
zweiten Lockdowns so viele Rücklagen wie möglich anzuhäufen,
dieses Mal sieht man es ja wenigstens ein bisschen Voraus.
Hast
du denn schon kleinere Gigs unter den aktuellen Auflagen absolviert
und wie reagierte das Publikum darauf?
Ich
habe am Männertag und an Pfingsten im Biergarten des Alberthafens
gespielt, das wurde sehr dankbar angenommen. Außerdem habe ich die
Ersatzveranstaltung des CSD Dresden bespielt, auch das war sehr
angenehm. Man merkt, wie sehr die Partypeople es vermisst haben, sich
zu DJ-Musik zu bewegen. Alles in allem ist das Publikum trotz der
begrenzten Möglichkeiten absolut dankbar und jede Minute voll dabei,
teilweise sogar noch enthusiastischer als vor der Pandemie.
Welchen
Wunsch hättest du an die Politik?
Wir sind ein wichtiger Teil der Gesellschaft. Ein Großteil der Menschen nutzt unsere Musik und unsere Veranstaltungen, um vom Alltagsstress wieder runter zu kommen. Man soll die Feste feiern wie sie fallen, aber ohne uns gibt es viel weniger Feste und noch viel weniger zu feiern. Vergesst uns nicht und bitte, stützt auch die Eventbranche finanziell, auch wenn wir vielleicht keine für euch greifbaren Unternehmensausgaben haben. Und an alle da draußen, gerade jetzt noch mehr als sonst ohne hin schon: Habt euch lieb und seid nett zueinander!
Fragen an Jens Besser – freischaffender Künstler und LackStreicheKleber – Urban Art Festival Dresden
Wie
hast du persönlich die vergangenen Wochen erlebt?
Meine
künstlerische Arbeit war vor allem von Absagen und massivem
Verdienstausfall geprägt. Mir fehlt schon jetzt die Hälfte des
diesjährigen Einkommens und ich lebe von hart Erspartem. Da ich eine
Art »Erwerbsverbot«
habe, kann ich schlicht nicht offiziell meiner Arbeit als
freiberuflich tätiger Kunstschaffender und Kunstvermittler
nachkommen. Aus der Not habe ich mit Freunden während des Lockdowns
eine illegale Ausstellung auf einer Industriebrache organisiert –
ich hatte die Isolation einfach satt. Auf der Industriebrache war
auch genügend Platz für die Besucher, um Abstand zu halten. Alle
Besucher waren sehr dankbar, was sich auch in den Spenden wieder
spiegelte.
Die langjährigen Aktivitäten im öffentlichen Raum haben sich auf jeden Fall ausgezahlt. Während andere Kunstsparten nur eingeschränkt wahrgenommen werden konnten, hatte Urban Art großen Zuspruch. Werke im öffentlichen Raum haben einfach keine Problem mit Mindestabstand zwischen Betrachtern und es gibt keine Hygieneprobleme oder gar mit den Aerosolen.
Jens Besser
Was
sind die größten Herausforderungen, die ihr bei
LackStreicheKleber e.V.
zu meistern habt?
Meine
größte Herausforderung ist mit dem andauernden Ungewissheit klar zu
kommen. Es ist einfach grauenhaft nicht zu wissen, was kommt und was
überhaupt möglich ist. Deshalb wird es wohl noch weitere eigene
inoffizielle Projekte geben, um mit dem Publikum in Verbindung zu
bleiben. Meine Kunst lässt sich nur sehr schwer digitalisieren und
verliert vor allem extrem an Tiefe bei einer Digitalisierung. Ob und
wann es wieder offizielle Workshops gibt, hängt von den
Einschränkungen ab. Aus finanzieller Sicht hoffe ich, dass es bald
wieder los gehen kann.
Der
Verein hat gerade weniger große Herausforderungen – die
Ankündigung des Festivals wurde positiv aufgenommen und das Team hat
viel Lust daran, das diesjährige Festival mit den vielen kleinen
Veranstaltungen umzusetzen. Dank der Kleingliedrigkeit des Festivals
ist es auch keine große Herausforderung, den Anforderungen bezüglich
Mindestabstand und Hygienevorschriften nachzukommen. Unter den
aktuellen Bedingungen war es im übrigen eine gute Entscheidung,
nicht riesig zu wachsen, sondern lieber eine kleineres überschaubares
Festival mit vielen kleinen Aktionen zu bleiben.
Wir haben auch im letzten Dezember bereits entschieden etwas von den Touristen weg, hin zu den lokalen Interessierten zu gehen – deshalb wurde das 6. LackStreicheKleber Festival in den September verschoben.
Ein
weiterer Zufall ist, dass wir viele Absagen von Ausstellungsorten
bekamen und wir deshalb schon von Anfang an eine Ausstellung unter
freiem Himmel gedacht hatten. Dieses Konzept wird nun realisiert und
ist irgendwie auch die konsequentere Lösung für ein Urban Art
Festival.
Während
der Corona-Krise haben sich viele digitale Kulturangebote
herausgebildet. Wie siehst du diese Digitalisierung?
Ich
sehe die Digitalisierung kritisch. Ohne eine entsprechende Qualität
lässt sich kein gutes Angebot vermitteln. Die andauerne DIY-Praxis
ist visuell oft grässlich und tut der Kultur nicht gut. Wenn diese
Videos dann noch lange im Netz umherschwirren, wird man sich selber
fragen: »Was
habe ich da nur getan?«.
Außerdem
halte ich vom Streamen nur in Ausnahmefällen etwas. Falls ein
wirklich interessanter Vortrag aus Kapstadt gestreamt würde, und
mich dieses Thema brennend interessiert, nehme ich in Kauf, vor dem
digitalen Endgerät zu sitzen. Dagegen finde ich die DJ-Streams
leider sehr uneinladend zum Tanzen, Feiern, Abhängen – eine Party
lebt einfach von der Atmosphäre, den Menschen drumherum, dem Getränk
in der Hand usw.
Zudem
empfinde ich die zunehmende Arbeit an digitalen Endgeräten als eine
Belastung. Es macht mir einfach keinen Spaß, viele Stunden auf einen
Bildschirm zu schauen. Es ist total einengend. Ein genügend großer
Projektionsraum mit entsprechender Technik ist leider viel zu teuer.
Außerdem empfinde ich es total uninspirierend, immer in den eigenen
vier Wänden zu sitzen. Wie soll man bitte in diesem Umfeld ein
anspruchsvolles Kulturangebot entwickeln?
Wo stehen Kunst und Kultur, wenn sich der Alltag wieder normalisiert? Ich hoffe, dass außerhalb der Kultur mehr digitale Streamingdienste genutzt werden – zum Beispiel von Politikern. Auch die Digitaliserung von Förderinstitutionen geht hoffentlich mehr voran. Wir als Urban-Artists haben in unserem Kontext schon seit über 20 Jahren viel mit Skype, E-Mails, digitalen Nachrichtendiensten, Websites und anderen digitalen Hilfsmitteln gearbeitet, um internationale Projekte zu organisieren. Eine der ersten Dresdner Graffiti-Websites aus unserem Umfeld gab es bereits 1996. Diese Seite findet man sogar auf Graffiti.org verlinkt. Digitalisierung ist also nichts Neues. Wer wenig Geld zur Verfügung hat, nutzt immer alle Möglichkeiten aus.
Kunst
und Kultur haben einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert,
wenngleich sich dies bisher selten finanziell in den Taschen der
Kulturschaffenden zeigte. Ich hoffe, dass in Zukunft Künstler fairer
bezahlt werden. Kulturschaffende und Kulturprojekte müssen Rücklagen
bilden können. Das geht nur, wenn sie endlich entsprechend ihrer
Leistung bezahlt werden und faire Stundenlöhne erhalten.
Was
wird sich verändern? Wie ist dein persönlicher Blick
in die Zukunft?
Wir hoffen, dass in Zukunft neben der
Digitalisierung auch ernstzunehmende Nachhaltigkeitsprinzipien in die
Kulturszene und Kulturverwaltung kommen. Unter Nachhaltigkeit
verstehen wir unter anderem resourcenschonend handeln,
klimafreundliche An- und Abreise von Künstlern, weniger Masse, dafür
Klasse.
Innerhalb wie außerhalb der Dresdner Urban Art gibt es da viel Nachholbedarf. Es kann nicht sein, dass Urban Art nur im Kontext von »Kriminalprävention« im Hauptteil des aktuell zu erarbeitenden Kulturentwicklungsplan steht. Da täuscht auch das Zusatzpapier im Anhang nicht darüber hinweg, dass man sich jahrelang eine Urban-Art-Kennen-Wir-Nicht-Brille aufgesetzt hat. Die wenigen geförderten Aktionen wie das LackStreicheKleber-Festival sind leider der Szene und der Stadt gegenüber vollkommen inadäquat.
Das 6. LackStreicheKleber Festival findet vom 12. bis 20. September unter dem Titel »Of true Colors on Bi Cycle« in Dresden statt und will Verknüpfungen zwischen Urban Art und dem Fahrrad als Fortbewegungsmittel aufzeigen.
Andrea Bielmeier, Romy Jaehnig und Frank Schöne vom Scheune-Team – befragt von Jenny Mehlhorn
Wie arbeitet ihr
derzeit?
Das Scheune-Team arbeitet seit dem 1. April in Kurzarbeit und überwiegend im Homeoffice, aufgelockert durch vereinzelte Teamsitzungen – natürlich unter Einhaltung aller notwendigen Abstands- und Hygiene-Regelungen. Zum Glück haben wir einen großen Hinterhof und den Saal. Die Sommerpause haben wir uns dennoch anders vorgestellt. Zwischen dem 13. März bis 30. April waren allein 44 Scheune-Veranstaltungen von Verlegungen oder Komplettabsagen betroffen. Auch im Mai wird nichts stattfinden. In den ersten Wochen hatte man noch gut damit zu tun, das ganze Programm neu zu organisieren. Dann hat sich das Team engagiert weiterhin dem Großprojekt Sanierung der Scheune gewidmet. Mitte April lief beispielsweise eine Bürger*innenbeteiligung zur Fassade. Und die Arbeit an Konzepten für die Zeit während und nach der Sanierung des Hauses sichert zumindest den Blick in die weiter entfernte Zukunft ab Ende 2021.
Kulturzentrum Scheune: Dienstberatung in Corona-Zeiten
Wie geht ihr mit
dieser Ungewissheit um?
Das aktuell
praktizierte »Fahren
auf Sicht«
macht wirkliches Planen beinahe unmöglich. Eine offiziell
legitimierte Definition wäre also schon hilfreich. Allerdings steht
dann die Frage im Raum: Traut man sich tatsächlich auch die
Umsetzung einer »kleinen
Großveranstaltung«
zu? Und kommen dann auch Besucher?
Was stellt sich
als das größte Problem für euch heraus? Wie finanziert ihr euch
bei ruhendem Veranstaltungsbetrieb? Greifen die Förderungen und
Hilfen?
Der Mai ist ohnehin schon auslaufende Hauptsaison. Der Wegfall der Gastronomie, der Bunten Republik Neustadt und die Unwägbarkeiten für den Schaubudensommer (wurde nach dem Interview inzwischen abgesagt) tun ihr übriges. Die drohenden Einnahmeeinbußen über mehrere Monate hinweg lassen sich irgendwann nicht mehr so einfach kompensieren. Soforthilfen und alle getroffenen solidarischen Maßnahmen sind eine dankbare kurzfristige Hilfe, könnten womöglich aber nicht reichen. Für Kulturbetriebe mit einem internationalen Programm sind die Folgen, auch bei gelockerten Maßnahmen vor Ort nachhaltiger – nicht nur finanziell, sondern auch hinsichtlich eines allgemein vielfältig verfügbaren Angebots mit all seinen Nischen. Die neue Saison wird derzeit stark mit Nachholterminen verbucht, aber sind die Menschen dann wirklich kulturell so ausgezehrt, dass sie über Monate hinweg auf drei Konzerte pro Woche gehen? Insgesamt sehen wir derzeit aber einen außergewöhnlichen Zusammenhalt, auch dank der sehr engagierten Arbeit des Dresdner Klubnetzwerkes.
Kreativ aus der
Not heraus zu werden, etwa durch neue Veranstaltungsformen. Welche
Möglichkeiten habt ihr?
Wir haben uns über
mehrere Tage an den Klubnetz Streaming Sessions beteiligt, die in der
aktuellen Lage sicher eine gute Lösung sind, das Live-Erlebnis aber
nicht ersetzen können. Zudem stehen wir im Austausch mit einigen
lokalen Künstler*innen und Partnern und erarbeiten
verantwortungsvolle Formen der Umsetzung. So lange in unseren
Räumlichkeiten keine Konzerte und Partys möglich sind, kann man
diese beispielsweise auch für Weiterbildungsformate oder andere
»ruhige«
Konzepte nutzen. Platz genug haben wir jedenfalls. Es wäre aus
finanzieller Sicht, aber auch für die Motivation der Kolleg*innen,
sehr hilfreich, die geplanten Sommer Open Airs durchführen oder
zumindest die Bespielung des Vorplatzes wieder aufnehmen zu können.
Was wird dir/euch
2020 wahrscheinlich am meisten im Dresdner Kulturleben fehlen?
Die Abwechslung, das
direkte Feedback und der Applaus des Publikums.
Bernhard Reuther, Geschäftsführer des ehemaligen Kino im Dach und künftigen »Zentralkino« im Kraftwerk Mitte – befragt von Martin Krönert
Bernhardt Reuther
Hallo Bernhard,
wie ist es dir in den letzten Wochen und Monaten so ergangen?
Alles ganz okay. Bis auf die Coronageschichte. Die war so nicht vorgesehen (lacht). Im Groben läuft bei uns alles nach Plan weiter. Der Umzug vom Kino im Dach zum Zentralkino war ja schon weit vorher festgelegt. Es gibt ein paar Verzögerungen baubedingt, die auf Corona zurückzuführen sind und so nicht geplant waren. Aber wir sind insgesamt gut voran gekommen.
Also darf man
hoffen, dass gleich nach Corona das Zentralkino angesagt ist?
Jein. Wir haben
aktuell die Situation, dass Sachsen ab 15. Mai die Kinos wieder
öffnen lässt. Wir haben jedoch bis heute noch keine Infos (Anm. d.
Red.: Zum Zeitpunkt des Interviews war dies noch nicht klar), wie die
Auflagen dazu sind. Ganz allgemein macht es auch für Kinos keinen
Sinn zu öffnen, da schlichtweg keine aktuellen Filme zur Verfügung
stehen. Alle Werbemaßnahmen sind schon lange verpufft. Und ich sehe
auch noch nicht, dass im angehenden Sommer so großer Bedarf besteht,
sich gleich nach der Öffnung wieder in geschlossene Räume zu setzen
und Filme zu gucken. Ich kann keine Termine nennen. Grob gesagt wird
das Zentralkino zwischen Juli und September wohl aufmachen. Keine
ideale Zeit für eine Kinoeröffnung …
Es wurde ja auch
sehr kurzfristig gedacht mit der Lockerung Mitte Mai …
Von der Kinobranche
ist überall hin zur Politik kommuniziert worden: Schön und gut,
dass wir wieder öffnen dürfen, aber wir brauchen Vorlaufzeit. Was
wir brauchen, ist eine Ansage und zwar eine einheitliche, bundesweit.
Die Filmverleihe und Lizenzgeber werden jetzt nicht nur für zwei
oder drei Bundesländer ihre Filmstarts durchführen. Es würde mich
überraschen, wenn jetzt in der Stadt alle Kinos plötzlich erwachen
und zum Normalgeschäft übergehen.
Der Einschnitt in
die Kinokultur ist durch Corona sicherlich enorm. Ist für dich das
Kinojahr jetzt generell gelaufen?
Am liebsten möchte
ich das Jahr 2020 einfach aus dem Gedächtnis streichen. Aufholen ist
einfach nicht mehr drin. Das betrifft nicht nur Kino, sondern alle
Branchen. Niemand wird jetzt zweimal am Abend essen gehen oder sich
eben nun doppelt so oft Filme anschauen, wie er sonst getan hätte.
Das wird eines der, ach was, das allerschlechteste Kinojahr aller
Zeiten werden. Das ist ganz klar. Ich gehe aber weiterhin davon aus,
dass es noch einen Bedarf gibt. Sonst würde ich das alles gar nicht
mehr machen.
Wie
haben Sie persönlich die vergangenen Wochen erlebt?
Als
eine Zeit großer Heterogenität, zwischen sonnigem Vorfrühling und
geordneten Zuständen hierzulande auf der einen Seite, wo gerade
maximal ein Hefewürfel fehlt, und der Verzweiflung in unseren
Nachbarländern, in die wir so gerne in den Urlaub fahren, auf der
anderen. Haben wir eigentlich genügend geholfen?
DHMD Team; Copyright Foto: Oliver Killig
Was sind die größten Herausforderungen, die Sie und Ihr Haus zu meistern haben?
Herunterfahren
war keine Kunst, jetzt geht es darum, unsere Besucher*innen wieder
für unsere Angebote zu interessieren. Darüber hinaus brauchen wir
Fantasie, Durchhaltevermögen, hohe Qualität und leider auch
erhebliche Mittel, um die notwendigen Hygienekonzepte umzusetzen.
Besonders schmerzlich ist, dass wir viele unserer interaktiven
Elemente nur eingeschränkt zugänglich machen können – und das
Kinder-Museum muss vorerst ganz geschlossen bleiben. Was wir vor
allem brauchen ist Geduld, viel Geduld.
Während
der Corona-Krise haben sich viele digitale Kulturangebote
herausgebildet. Wie sehen Sie diese Digitalisierung?
So
richtig neue Entwicklungen sehe ich eigentlich nicht, aber eine
größere Verbreitung und eine aufmerksamere Rezeption. Wir müssen
aber auch selbstkritisch auf die derzeitigen Klick-Zahlen sehen, denn
wir machen diese coolen Angebote ja nicht für uns. Die Kern-Qualität
der Museen ist immer noch, und jetzt umso mehr, die gemeinsame und
sinnliche Wahrnehmung von Kunst und Kultur, selbstbestimmt in Zeit
und Raum.
Wo
stehen Kunst und Kultur, wenn sich der Alltag wieder normalisiert?
Viele Menschen müssen ihren Alltag derzeit unter schwierigen Bedingungen organisieren, das kostet Kraft und Konzentration. Bleibt da genügend Aufmerksamkeit für Kunst und Kultur? In vielen Kulturbereichen gibt es eklatante Flurschäden, da braucht es nicht nur Verständnis und schöne Worte, sondern signifikante, materielle Unterstützung. Die kulturellen Supertanker sind systemrelevant, die werden die Corona-Zeit vermutlich glimpflich überstehen, aber für viele Künstler*innen, für viele kleinere Initiativen sieht es schwieriger aus. Ermutigend finde ich, dass Parlament, Politik und Verwaltung wirklich bemüht sind, schnell und umfassend zu helfen. Es braucht aber auch Selbstbewusstsein auf Seiten von Kunst und Kultur, sich im Rennen um Förderung und Unterstützung zu behaupten.
Was
wird sich verändern? Wie ist Ihr persönlicher Blick in die Zukunft
aus?
Ich
hoffe nicht, dass sich unser Land als Kulturnation grundsätzlich
ändert. Krisen bringen ungeahnte Kräfte hervor, aber auch
Unverdautes und Risse werden sichtbar. Ich bin bestürzt, wie viel
Antisemitismus, Antiamerikanismus und krude Verschwörungstheorien
ans Licht kommen, befeuert von russischen Staatsmedien, die einige
unserer Mitbürger offenbar verlässlicher finden als die Tagesschau.
Eigentlich ist in einer solchen Lage die Selbstverständigungsleistung
von Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft gefragt – Aber Kunst
und Kultur brauchen gerade selbst Unterstützung und es wird wohl
einige Zeit brauchen, bis sie diese Aufgabe wieder erfüllen können.
Unsere Museen sehe ich in Zukunft nicht nur als wichtige
Bildungsinstitutionen, sondern mehr und mehr als sozialer Ort, als
Ort der Verständigung über das, was wichtig ist beim Zusammenleben.
Das müssen wir nachjustieren und weiterentwickeln, und das wird
sicher ziemlich spannend, sowohl für unser Team als auch für unsere
Gäste.