Experiment zwischen Lo-Fi und Lärm

Hellerau Bandstand feiert die Rückkehr des Musikvideos – von Heinz K.

Eigentlich war es nie tot, das Musikvideo. Es ist wohl nur etwas in die Jahre gekommen. 1981 startete MTV und ist immer noch da – auch wenn der Lack längst ab ist. Mitte der 80er schwappte die Video-Welle nach Europa über, immer teurere und aufwendige Musik-Videos wurden gedreht – Michael Jackson (R.I.P.) produzierte 1995 mit »Scream« für 7 Millionen Dollar ein Video, das 20 Jahre lang als das teuerste der Musikgeschichte galt. In jener Ära wurde das Musikvideo zu einem unverzichtbaren Marketing-Instrument, um im harten Pop-Business zu überleben. Die Zeit von stets präsenten Pop-Stars in Music Televion ist längst vorbei – und bleibt doch unvergessen.

Das hat sich wohl auch das Festival-Team um Rosa Müller und Moritz Lobeck gedacht und kurzerhand »Return of the Music Video« als Motto für den Hellerau Bandstand 2021 ausgegeben. Unter Lockdown-Bedingungen ist eine physische Begegnung von Künstlern und Publikum natürlich nicht möglich. Das ist umso bedauerlicher, da der für alle Räume im Festspielhaus konzipierte Bandstand gerade davon lebte, die im Normalfall bestehende Distanz zwischen Bühne und Publikum auf ein Minimum zu reduzieren, um die Musikperformance so unmittelbar und unverstellt wie möglich wirken zu lassen. Aber vielleicht funktioniert es ja auch ganz anders. So will sich der Bandstand ab diesem Jahr für »neue Medien, neues Publikum und neue Horizonte« öffnen. Auf einer eigens dafür entwickelten Online-Bühne kann sich das Publikum im Februar auf zwei Abende mit regionaler Musik und produzierten Musikvideos freuen. Eine Jury hat dafür im Vorfeld Bands und Solokünstler mit Lebens- und Schaffensmittelpunkt in Sachsen für einen Auftritt und die Produktion eines Musikvideos ausgewählt.

Die Arbeit, Copyright Foto: Tine Jurtz

Bekannte Namen sind diesjährig allerdings Mangelware. Viele frisch gegründete Projekte sind am Start, Leipzig grüßt Dresden. Zu den hier Bekannten darf sich die Dresdner Musikgruppe Die Arbeit zählen, die mit reduzierten Gitarren, Beats auf dem Punkt sowie durchdachter deutschsprachiger Poesie und Propaganda kleine existenzialistische Gesamtkunstwerke erschafft. Das bislang herausragendste Produkt ihrer Arbeit ist das im Februar 2020 auf dem Dresdner Label »Undressed Records« erschienene Album »Material«. Bekannt durch ihre Performances dürfte auch das musikalisch nur schwer zu verortende Jazz-Beat-Improvisationstrio Zur Schönen Aussicht sein. Oder Anna Munka alias No Splendor, die sich intensiv mit den Kontaktpunkten von Sprache und Musik beschäftigt. Munka ist Veranstalterin und Performerin der Reihen »Lyrik ist Happening« und »No Splendor feat.« (kooperatives Songwriting). Derzeit arbeitet sie an ihrem Soloprogramm, wobei sie ihre Songs nicht nur in klassischer Singer/Songwriter-Manier mit der Gitarre begleitet, sondern auch durch wundersame Geräuschkulissen aus Field Recordings, Sprechtexten und Live-Loops in Szene setzt.

Born in Flamez, Copyright Foto: Peter R. Fiebig

Was erwartet uns noch? Da wäre zum Beispiel Born in Flamez. Eine interessante Produzentin und DJ aus Berlin, die 2013 ihr »transhumanes Musikprojekt« startete und darin genreübergreifend düster-eingängige Elektronik, dekonstruierte Clubmusik, Lo-Fi-Pop, Grime und Elemente klassischer Musik miteinander verwebt. Oder EVIN, die zwischen Soul, R’n’B, Hip-Hop und ihren orientalischen Wurzeln Geschichten vom Träumen, von Selbstzweifeln und Stärke erzählt. Das Songwriter-Duo Monkey & Goat alias Katta Lattke und Chris Farnaby will dem Wort »Duo« eine ganz neue Bedeutung verleihen mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, harmonischen Satzgesängen, Glockenspiel – alles ohne Playback. Mit der punk-poppigen One-Girl-Group Lea Matika, der queer-feministischen Synthpop/Folk-Glam/Dada-Band Cocktail Napkin, der Leipziger Band Das Feuilleton, die lyrisch anspruchsvolle deutsche Texte mit energetischen Kompositionen verbindet, sind noch längst nicht alle genannt. Schaut euch das Video-Show-Experiment an, es lohnt sich!

Hellerau Bandstand 2021, am 12. und 13. Februar, jeweils 20 Uhr, online unter hellerau.live
Begleitend dazu findet am 13. Februar der erste AI Songwriting Contest mit Jovanka v. Wilsdorf (Konzept und Produktion) als digitaler Workshop statt. Mehr Infos unter hellerau.org