»Entweder gehen wir gestärkt aus der Krise, oder die Vielfalt der Branche wird sterben«

Kilian Forster, Leiter der Jazztage Dresden, Musiker und Manager – befragt von Heinz K.

Kilian, du bist ja nun als Musiker und als Intendant der Jazztage Dresden in doppelter Hinsicht vom Lockdown betroffen …

Sogar in dreifacher Hinsicht, da ich ja nicht nur die Jazztage leite und mit den Klazz Brothers spiele, sondern meine eigenen und andere Projekte – zusammen mit meiner Frau – auch noch manage. Also ein breit aufgefächertes Spektrum, damit wir, wenn ich mir mal in den Finger schneide oder Jazz nicht mehr so läuft oder die Klazz Brothers auseinander gehen, noch ein Standbein haben, um weiterzumachen. Alles ist jetzt auf Null.

Kilian Forster: Ich nehme meinen Vollbart erst ab, wenn wir wieder ein Konzert ohne Beschränkungen geben können.

Das wäre auch meine Frage gewesen, wie du mit der Situation umgehst, in der du nicht arbeiten kannst?

Also zuerst einmal war ich sehr beschäftigt mit Absagen und Umverlegungen der Umverlegungen, mit Ticketumbuchungen und dem Versuch, etwas Neues zu kreieren. Ich habe dann aber gemerkt, dass das alles keinen Sinn macht. Und bevor man die Branche wechselt (das waren tatsächlich die Überlegungen), ist die einzige Möglichkeit, zu protestieren – Um uns selber mit den Jazztagen zu outen und auch generell auf den Exodus der Veranstaltungswirtschaft und auf die Vielfalt der Kultur, die jetzt in Gefahr ist, hinzuweisen. Denn dafür haben wir ja studiert, davon leben wir und das brauchen wir einfach für unsere psychische Gesundung.

Du bist Initiator der Aktion Stumme Künstler. Was ist das Hauptanliegen der Aktion?

Als Initiator kann man auch noch ein bisschen mehr machen, also organisieren wir das auch noch zu fast hundert Prozent. Es soll und wird jetzt leider größer werden und die Aktion geht auch in andere Städte, wie etwa Berlin, Würzburg und Augsburg.

Das Hauptanliegen gilt sowohl den Künstlern als auch für die Veranstalter und die Soloselbständigen. Wir sind von Gerhard Schröder ermuntert worden, Ich-AGs zu gründen. Die jungen Leute sind damals sehr kreativ damit umgegangen, und die fallen jetzt komplett durchs Raster. Es gibt im Vergleich zu anderen europäischen Staaten keinerlei Hilfe als den Verweis auf die Grundsicherung. Also Leute, die Kredite aufgenommen haben, die Versicherungen zu zahlen haben und ihr Schulgeld zahlen, haben nicht die Möglichkeit, ihre Lebenshaltungskosten in der Soforthilfe anzugeben. Und es gibt Länder wie Norwegen oder Großbritannien, die 80 Prozent des Verdienstausfalls des letzten Jahres für die drei Monate und weitere Monate übernehmen. Oder die Niederlande, die wenigstens zwischen 1.000 und 1.500 Euro geben. Angesichts dessen ist es eine Sauerei, was hier bei uns passiert.

Das ist das eine Anliegen. Das andere ist, dass wir vom Kulturamt der Stadt Dresden zu hören bekommen haben, dass es keine Hilfe zur Rettung der Jazztage geben wird – und das geht anderen Institutionen auch so. Das kann nicht sein. Wir haben 19 Jahre der Stadt etwas gegeben und dabei nichts verdient, sogar selber noch etwas drauf gezahlt, und dann noch in Aussicht gestellt zu bekommen, dass man froh sein solle, wenn es im nächsten Jahr genauso wenig Förderung gibt wie im letzten Jahr, (die Jazztage haben von Stadt und Land 5 Prozent des Umsatzes als Förderung bekommen und 95 Prozent selber erwirtschaftet, wo andere Festivals bis zu 50 Prozent ihres Umsatzes gefördert bekommen). Das war der Auslöser. Ein zweiter Auslöser war, dass es nicht einmal 100.000 Euro Kredit gibt, weil die Jazztage eine gemeinnützige Gesellschaft ist. Wir bekommen – und das geht vielen Institutionen so – keinen KfW-Kredit, weil wir als Gemeinnützige keinen Gewinn machen dürfen. Wir brauchen auch nicht unbedingt einen Kredit, sondern direkte Zuschüsse, aber mit einem Kredit wären wir wenigstens über die Runden gekommen und müssten auch nicht im September Insolvenz anmelden. Also vielleicht kann man ja als Zombie-Unternehmen noch ein wenig länger dahinvegetieren …

Nun hat die Bundesregierung die Verlängerung des Verbots von Großveranstaltungen bis 31. Oktober beschlossen. Was bedeutet das jetzt für die Jazztage? Planst du jetzt für 2021?

Ohne Hilfe wird es die Jazztage weder 2020 noch 2021 geben. Entweder ist es der Stadt und dem Staat etwas wert – und das fordere ich auch für andere Institutionen – oder eben nicht.

Bei den Stummen Künstlern hast du ja nun auch schon teils hochrangige Politiker auf die Bühne gebeten. Hat das etwas bewirkt, schiebt es etwas an?

Es schiebt definitiv etwas an und es fördert das Verständnis für die Freien und Selbständigen. So ist es in dem neuen Paket der Landesregierung immerhin ein Fortschritt, dass von 68 Millionen für die Kultur 30 Millionen an die Freien gehen, nur ist das eben wieder begrenzt und nicht einmal im Ansatz ausreichend, um viele Unternehmen in Sachsen vor dem Ruin zu bewahren. Wie brisant es wirklich für die Freien im Verhältnis zu den Hochsubventionierten ist, das merkt man in den Gesprächen mit den Kulturpolitikern, dass das bei ihnen noch nicht angekommen ist. Trotzdem ist bei den Politikern die Bereitschaft da zuzuhören, und das hat sicherlich bewirkt, dass wir nun etwas mehr Hilfe bekommen.

Ich erwarte eigentlich von einer Kulturministerin, egal ob auf Land- oder Bundesebene, dass sie klar formuliert, was die Hilfe sein muss, und nicht, dass man uns noch erklärt, warum wir von 6 Milliarden für die Kultur und den Tourismus nur 68 Millionen kriegen. Das kann nicht sein. Es kommt mir manchmal so vor, dass ein jeder in Verantwortung stehender Politiker betont, wie sehr ihm oder ihr die Kultur am Herzen liegt, und das nehme ich auch jeder und jedem ab, aber das klingt am Ende für mich wie eine anteilnehmende Beileidsbekundung zum Tod der Branche.

Was müsste die Politik deiner Meinung nach reagieren, um dieses offensichtliche Defizit zu beheben?

Die Politik müsste individuelle Maßnahmen abfragen, welches Unternehmen wie viel Geld benötigt, um zu überleben. Das muss nachprüfbar sein, ganz klar dargelegt, mit allen Einsparpotenzialen, die man selbst noch hat, um einfach die Kulturinstitutionen über diese Zeit zu retten. Sodass man bis dahin überleben und frohen Mutes daran arbeiten kann, fürs nächste Jahr Konzerte und Veranstaltungen zu planen.

Was ist denn mit dem Projekt Kulturinseln beabsichtigt?

Das sind 12 Bühnen in der Innenstadt, vom Goldenen Reiter bis zum Hauptbahnhof, die donnerstags bis samstags im Stundentakt mit Kurzkonzerten, Performances und Tanz von Dresdner Künstlern für Touristen und Einheimische bespielt werden. Damit sollen zusätzlich auch Tages- und Wochenendtouristen angezogen werden, indem ihnen hervorragende Darbietungen von Dresdner Künstlern und Institutionen und der freien Szene geboten werden.

Nun sind ja die 500.000 Euro für die »Kulturinseln, die du mit ins Leben gerufen hast, um weitere 500.000 Euro für das Projekt »Kunst trotzt Corona« auf 1 Million aufgestockt worden. Wie bewertest du diese Entscheidung des Dresdner Stadtrates?

Eine gute Sache. Vielleicht konnte ich mit all den Interviews, auf den Stumme Künstler-Demos, im Kulturausschuss und in den persönlichen Gesprächen mit den Politikern, wo ich die eine symbolische Million vor der Sommerpause gefordert hatte, mithelfen. Wenn es einen Teil dazu beigetragen hat, dann bin ich glücklich. Ab 1. Juli kann man sich für die Kulturinseln bewerben.

Wo steht dann die Kultur, wenn die Krise vorbei ist?

Das ist die große Frage: Wollen wir den Amazon- und Netflix-Effekt und es wird nur noch auf ein paar Große verteilt sein? Wollen wir Streamingdienste nutzen und nur noch auf ein paar wenige Konzerte gehen sowie die hochsubventionierte Kultur erleben, oder wollen wir die ganze Vielfalt der kleinen bis großen Veranstalter, ob subventioniert oder nicht subventioniert, erhalten? Da sehe ich eigentlich nur eine Chance, wenn man endlich die Leistung der freien Kreativ- und Kulturwirtschaft anerkennt und dort ähnlich wie bei freien Schulen oder Privatkrankenhäusern eine adäquate prozentuale Förderung zukommen lässt, ihnen alle Freiheiten lässt und sie nicht politisch zu beeinflussen sucht. Das wird ein langer Kampf werden, so wie das bei den Freien Schulen, ob Waldorf oder Montessori, ja auch gewesen ist. Wir brauchen einen Verteilerschlüssel für die Veranstaltungsbranche, damit wir wieder handlungsfähig sind. Denn man kann nicht endlos an der Preisschraube drehen. Dort muss Solidarität und Fairness walten. Entweder gehen wir gestärkt aus der Krise, oder die Vielfalt der Branche wird sterben.