»Wer wenig Geld zur Verfügung hat, nutzt immer alle Möglichkeiten aus«

Fragen an Jens Besser – freischaffender Künstler und LackStreicheKleber – Urban Art Festival Dresden

Wie hast du persönlich die vergangenen Wochen erlebt?

Meine künstlerische Arbeit war vor allem von Absagen und massivem Verdienstausfall geprägt. Mir fehlt schon jetzt die Hälfte des diesjährigen Einkommens und ich lebe von hart Erspartem. Da ich eine Art »Erwerbsverbot« habe, kann ich schlicht nicht offiziell meiner Arbeit als freiberuflich tätiger Kunstschaffender und Kunstvermittler nachkommen. Aus der Not habe ich mit Freunden während des Lockdowns eine illegale Ausstellung auf einer Industriebrache organisiert – ich hatte die Isolation einfach satt. Auf der Industriebrache war auch genügend Platz für die Besucher, um Abstand zu halten. Alle Besucher waren sehr dankbar, was sich auch in den Spenden wieder spiegelte.

Die langjährigen Aktivitäten im öffentlichen Raum haben sich auf jeden Fall ausgezahlt. Während andere Kunstsparten nur eingeschränkt wahrgenommen werden konnten, hatte Urban Art großen Zuspruch. Werke im öffentlichen Raum haben einfach keine Problem mit Mindestabstand zwischen Betrachtern und es gibt keine Hygieneprobleme oder gar mit den Aerosolen.

Jens Besser

Was sind die größten Herausforderungen, die ihr bei LackStreicheKleber e.V. zu meistern habt?

Meine größte Herausforderung ist mit dem andauernden Ungewissheit klar zu kommen. Es ist einfach grauenhaft nicht zu wissen, was kommt und was überhaupt möglich ist. Deshalb wird es wohl noch weitere eigene inoffizielle Projekte geben, um mit dem Publikum in Verbindung zu bleiben. Meine Kunst lässt sich nur sehr schwer digitalisieren und verliert vor allem extrem an Tiefe bei einer Digitalisierung. Ob und wann es wieder offizielle Workshops gibt, hängt von den Einschränkungen ab. Aus finanzieller Sicht hoffe ich, dass es bald wieder los gehen kann.

Der Verein hat gerade weniger große Herausforderungen – die Ankündigung des Festivals wurde positiv aufgenommen und das Team hat viel Lust daran, das diesjährige Festival mit den vielen kleinen Veranstaltungen umzusetzen. Dank der Kleingliedrigkeit des Festivals ist es auch keine große Herausforderung, den Anforderungen bezüglich Mindestabstand und Hygienevorschriften nachzukommen. Unter den aktuellen Bedingungen war es im übrigen eine gute Entscheidung, nicht riesig zu wachsen, sondern lieber eine kleineres überschaubares Festival mit vielen kleinen Aktionen zu bleiben.

Wir haben auch im letzten Dezember bereits entschieden etwas von den Touristen weg, hin zu den lokalen Interessierten zu gehen – deshalb wurde das 6. LackStreicheKleber Festival in den September verschoben.

Ein weiterer Zufall ist, dass wir viele Absagen von Ausstellungsorten bekamen und wir deshalb schon von Anfang an eine Ausstellung unter freiem Himmel gedacht hatten. Dieses Konzept wird nun realisiert und ist irgendwie auch die konsequentere Lösung für ein Urban Art Festival.

Während der Corona-Krise haben sich viele digitale Kulturangebote herausgebildet. Wie siehst du diese Digitalisierung?

Ich sehe die Digitalisierung kritisch. Ohne eine entsprechende Qualität lässt sich kein gutes Angebot vermitteln. Die andauerne DIY-Praxis ist visuell oft grässlich und tut der Kultur nicht gut. Wenn diese Videos dann noch lange im Netz umherschwirren, wird man sich selber fragen: »Was habe ich da nur getan?«.

Außerdem halte ich vom Streamen nur in Ausnahmefällen etwas. Falls ein wirklich interessanter Vortrag aus Kapstadt gestreamt würde, und mich dieses Thema brennend interessiert, nehme ich in Kauf, vor dem digitalen Endgerät zu sitzen. Dagegen finde ich die DJ-Streams leider sehr uneinladend zum Tanzen, Feiern, Abhängen – eine Party lebt einfach von der Atmosphäre, den Menschen drumherum, dem Getränk in der Hand usw.

Zudem empfinde ich die zunehmende Arbeit an digitalen Endgeräten als eine Belastung. Es macht mir einfach keinen Spaß, viele Stunden auf einen Bildschirm zu schauen. Es ist total einengend. Ein genügend großer Projektionsraum mit entsprechender Technik ist leider viel zu teuer. Außerdem empfinde ich es total uninspirierend, immer in den eigenen vier Wänden zu sitzen. Wie soll man bitte in diesem Umfeld ein anspruchsvolles Kulturangebot entwickeln?

Wo stehen Kunst und Kultur, wenn sich der Alltag wieder normalisiert?
Ich hoffe, dass außerhalb der Kultur mehr digitale Streamingdienste genutzt werden – zum Beispiel von Politikern. Auch die Digitaliserung von Förderinstitutionen geht hoffentlich mehr voran. Wir als Urban-Artists haben in unserem Kontext schon seit über 20 Jahren viel mit Skype, E-Mails, digitalen Nachrichtendiensten, Websites und anderen digitalen Hilfsmitteln gearbeitet, um internationale Projekte zu organisieren. Eine der ersten Dresdner Graffiti-Websites aus unserem Umfeld gab es bereits 1996. Diese Seite findet man sogar auf Graffiti.org verlinkt. Digitalisierung ist also nichts Neues. Wer wenig Geld zur Verfügung hat, nutzt immer alle Möglichkeiten aus.

Kunst und Kultur haben einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert, wenngleich sich dies bisher selten finanziell in den Taschen der Kulturschaffenden zeigte. Ich hoffe, dass in Zukunft Künstler fairer bezahlt werden. Kulturschaffende und Kulturprojekte müssen Rücklagen bilden können. Das geht nur, wenn sie endlich entsprechend ihrer Leistung bezahlt werden und faire Stundenlöhne erhalten.

Was wird sich verändern? Wie ist dein persönlicher Blick in die Zukunft?
Wir hoffen, dass in Zukunft neben der Digitalisierung auch ernstzunehmende Nachhaltigkeitsprinzipien in die Kulturszene und Kulturverwaltung kommen. Unter Nachhaltigkeit verstehen wir unter anderem resourcenschonend handeln, klimafreundliche An- und Abreise von Künstlern, weniger Masse, dafür Klasse.

Innerhalb wie außerhalb der Dresdner Urban Art gibt es da viel Nachholbedarf. Es kann nicht sein, dass Urban Art nur im Kontext von »Kriminalprävention« im Hauptteil des aktuell zu erarbeitenden Kulturentwicklungsplan steht. Da täuscht auch das Zusatzpapier im Anhang nicht darüber hinweg, dass man sich jahrelang eine Urban-Art-Kennen-Wir-Nicht-Brille aufgesetzt hat. Die wenigen geförderten Aktionen wie das LackStreicheKleber-Festival sind leider der Szene und der Stadt gegenüber vollkommen inadäquat.

Das 6. LackStreicheKleber Festival findet vom 12. bis 20. September unter dem Titel »Of true Colors on Bi Cycle« in Dresden statt und will Verknüpfungen zwischen Urban Art und dem Fahrrad als Fortbewegungsmittel aufzeigen.