»Der wirkliche Besuch im Museum kann durch nichts ersetzt werden«

Dr. Gisbert Porstmann, Generaldirektor der Städtischen Museen Dresden – befragt von Annett Groh

Wie haben Sie persönlich die vergangenen Wochen erlebt?

Ein Ereignis in diesem Umfang haben wir noch nie erlebt – nicht umsonst wird davon ja in Superlativen – von einer Pandemie – gesprochen. Es war eine zweigeteilte Erfahrung. Zum einen eine gewisse Anspannung und die Herausforderung, auch mit den eigenen Ängsten umgehen zu müssen. Zum anderen aber auch die Erfahrung, wie kollegial und engagiert alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Museen auf die Situation reagiert haben.

Zuerst haben wir um den 13./14. März mit den notwendigen Hygienemaßnahmen noch versucht, die Veranstaltungen durchzuführen. Als dann klar war, dass die Komplettschließung der Museen der nächste Schritt ist, war die Hauptaufgabe, alle Mitarbeiter mit den wichtigsten Aufgaben für das Homeoffice zu versorgen. Nicht zu vergessen auch das private Leben, das organisiert werden musste: Meine Frau ist im medizinischen Dienst, und wir haben ein schulpflichtiges Mädchen und ein Mädchen in der Kita – das war schon anspruchsvoll. Die gesamte Familienlogistik musste neu organisiert werden. Und dann begann schon der neue Alltag mit unseren wirklich tollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die fast aus dem Stand digitale Angebote für unser Publikum erarbeiteten. Das Echo, was ich da bekommen habe, war ermutigend und motivierend.

Dr. Gisbert Porstmann, Foto: Hans-Ludwig Böhme

Wie genau sah denn die Arbeit während dieser Zeit aus?

Wir haben versucht, in einem ersten Schritt die Vermittlungsangebote, also das Sprechen über Kunst, das Sprechen über Exponate ins digitale Medium zu überführen. Da hat uns das Dresden Fernsehen sehr geholfen. In einem zweiten Schritt haben wir auch die Ausstellungen der kleineren Häuser komplett digitalisiert, so dass man dort jetzt virtuelle Rundgänge machen kann und zu den Exponaten dann die wichtigsten Informationen findet. Die Arbeit daran hat auch verschiedene Analyseprozesse befördert, denn wir haben gemerkt, dass eine 1:1-Übertragung dessen, was man sonst analog macht, im Digitalen nicht auf so große Gegenliebe stößt. Es war eine interessante und wichtige Erfahrung. Der wirkliche Besuch im Museum kann durch nichts ersetzt werden. Das Digitale hat einen großen zusätzlichen Wert, und wir wollen jetzt herausfinden, was dieses Extra genau ist, um dann dort mit unserer digitalen Strategie anzusetzen. Aber das unmittelbare Erlebnis vor Ort, das Gespräch und der Austausch darüber, das Diskutieren, das Laufen im Raum wird immer zentral bleiben, da bin ich mir jetzt zu hundert Prozent sicher.

Nun haben die Museen wieder geöffnet. Wie geht das Laufen durch den Raum unter Corona vonstatten?

Wir haben die ganze Zeit auf die Wiedereröffnung hingearbeitet, denn die Arbeit im geschlossenen Museum fühlt sich wie Fahren mit angezogener Handbremse an: ohne Besucherinnen und Besucher ist es eigentlich unerträglich. Wir haben also die behördlichen Anforderungen umgesetzt und ein Hygienekonzept erarbeitet, wie es auch andernorts gemacht wird. Die Menschen sind ja sehr diszipliniert, es wird überall darauf geachtet, dass man die Abstände einhält. Und so machen wir es auch. Wir haben entsprechend der Quadratmeterzahl unserer Häuser Richtwerte für die Besucherdichte ermittelt, und das wird von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des DWSI, also unserem Wachschutzunternehmen, gezählt. Zusätzlich gibt es Desinfektionsmöglichkeiten, Hinweise über die Hygienevorschriften, Händewaschen – man fühlt sich an die Kinderzeit erinnert, wo man das schon einmal alles beigebracht bekommen hat. Vielleicht war das ja ein bisschen in Vergessenheit geraten, aber jetzt kommen diese wunderbaren alten Praktiken wieder ins Bewusstsein (lacht). Sämtliche interaktiven taktilen Medienstationen sind abgeschaltet. Von dieser Seite gibt es also einen Rollback hin zum analogen Museum. Parallel arbeiten wir an verschiedenen Umrüstungen, damit wir die Angebote der Medienstationen bald wieder zur Verfügung haben. Diese Umrüstungen sind aber nicht provisorisch gedacht, sondern wir möchten einen neuen Standard erreichen. Zum Beispiel können die Besucher bald an den einzelnen Stationen ihre eigenen Kopfhörer benutzen. Die Mitmachbereiche für Kinder und Jugendliche, also etwa das Erlebnisland Mathematik und der Wellenreiter, sind jetzt noch geschlossen. Hier sind wir im Austausch mit dem Hygienemuseum und arbeiten unter Hochdruck daran, dass diese Bereiche auch bald wieder geöffnet werden können.

Wie sieht es mit dem Ferienprogramm für Kinder im Sommer aus? Wird das ausfallen?

Das Ferienprogramm darf nicht ausfallen! Wir setzen alles daran, dass wir die Kinder und Jugendlichen nicht alleine mit ihren Eltern zuhause lassen. Es war ja jetzt anstrengend genug für alle Familien, zuhause zu sitzen und nicht raus zu können. Im Moment sind wir dabei, die Angebote so zu verändern, dass die Ferienveranstaltungen stattfinden können.

Wo stehen Kunst und Kultur, wenn sich der Alltag wieder normalisiert?

Es gibt viele Töne in diesem großen Orchester der Gesellschaft. Ich denke, dass Kunst und Kultur nicht das Sahnehäubchen sind, das obendrauf kommt, wenn alles andere einigermaßen gut läuft. Sondern dass Kunst und Kultur (wenn auch etwas pauschal formuliert) tatsächlich zu einer Daseinsfürsorge dazugehören. Denn das sind die Bereiche, in denen wirklich die Auseinandersetzung mit der Gegenwart in unterschiedlichen Formen geschieht. In Kunst und Kultur wird in ganz verschiedenen Prozessen über die Gegenwart verhandelt, da wird die Zukunft ausgetestet, da werden Rezepte entwickelt und Wege geöffnet, die vorher noch nicht gedacht wurden. Für mich ist das ein zentraler Punkt, wenn wir die Aufgaben in kommenden Situationen bewältigen wollen. Derzeit ist das natürlich kein leichtes Fahrwasser, in dem wir uns bewegen. Die wirtschaftlichen Erwägungen sind das eine, aber die Reaktionen der Menschen haben mich auch gelehrt, dass Menschen gerade in der Krise auch den erweiterten Denkraum von Kunst und Kultur brauchen: die Besinnung und die Kontemplation, die aus Musik kommen, aus Poesie, aus Kunstwerken. Und dafür kämpfe ich. Mit der anstehenden Haushaltskonsolidierung wird das jetzt nicht einfach werden. Die Reflexe sind so, dass man automatisch zuerst an Kunst und Kultur denkt, wenn es um Kürzungen geht.

Welche Auswirkungen wird denn die Haushaltssperre auf die Museen haben?

Wir haben ja einen zweijährigen Vorlauf, und wir müssen schauen und kämpfen, dass wir die Verträge, die wir bisher geschlossen haben, auch einhalten können. Für 2021/22 rechnen wir mit drastischen Kürzungen. Wir müssen dann sehen, wo es dann tatsächlich zu Leistungsbeschneidungen und Leistungsbegrenzungen kommen wird, oder ob wir es anders kompensieren können.