Die Freunde der italienischen Oper kämpfen wieder um Thron und Liebe
Unter dem Titel »Il Grande Silenzio – Um Thron und Liebe« erbebte am 25. März 1991 das Große Haus in Dresden einen denkwürdigen Abend. Die Freunde der italienischen Oper (FDIO) waren mit ihrer »Revue« die erste Band in der Geschichte des Dresdner Schauspielhauses, die dort ein Konzert gaben. Ein Ereignis, bei dem es laut und euphorisch wurde, verstörende 8mm-Filme in schwarz-weiß gezeigt worden und das Kinderballett der Staatsoperette auftrat. FDIO erzielte mit 1.200 Gästen einen bis dato unerreichten Besucherrekord.
Nun spielen sie nach 33 Jahren wieder eine Revue in jenem Haus, das für Frontmann Ray van Zeschau, der sich damals noch R.J.K.K. Hänsch nannte, wie »ein zweites Zuhause« war. Ihm ist klar, dass sich ein solch einmaliges Ereignis nicht wiederholen lässt.
Haus-Regisseur Wolfgang Engel wurde auf die Band aufmerksam, die Post-Punk, Hardcore, Sentiment und Theatralik zu vereinbaren wusste, von Laibach und The Fall beeinflusst war, und in der Endphase der DDR zu den herausragendsten und zugleich verstörendsten Acts der sogenannten »anderen Bands« der alternativen Musikszene gehörte. Wolfgang Engel lud die Band 1989 dazu ein, Teil seiner aufwändigen Faust-Inszenierung zu werden, die an drei aufeinander folgenden Tagen Ende August 1990 seine Premiere erlebte. Zu den Proben für Engels Faust-Marathon drehte 1989 ein Team der DEFA unter der Regie von Michael Knof und der Kameraführung von Thomas Plenert einige 35mm Filme. Einer der Filme wurde eigens für die Freunde in Szene gesetzt und skizzierte den Aufstieg und Untergang des Euphorion, der von Ray van Zeschau gespielt wurde. Gedreht wurde dieser Film u.a. in der heute längst verfüllten Unterführung am Pirnaischen Platz. Ein grandioser Videoclip zu einem Soundtrack, der lange verschollen blieb, in neuer Bandbesetzung eingespielt wurde und als eindrücklicher Song »Ikarus – She Kill The Lough« auch das neue Album der Freunde der italienischen Oper »Kassandras Komplex« ziert.
FDIO lösten sich im Dezember 1992 auf. Ihre Wiederauferstehung als Band kam in mehreren Schüben. Zum 40. Geburtstag ihres Frontmanns spielt die Band 2004 gemeinsam mit der Leipziger Dark-Pop-Legende Die Art im Dresdner Ball-Etablissement Garde de la Lune auf. Fünf Jahre später geben die Freunde in neuer Besetzung ein exklusives Konzert im Centraltheater Leipzig. Seit 2016 spielen sie in der aktuellen Besetzung: Rajko Gohlke (Knorkator) am Bass, Tex Morton (Mad Sin) und Joey A. Vaising (Ex-Think About Mutation) an den Gitarren sowie Boris Israel Fernandez (Messer Chups) am Schlagzeug. Mit dem Album »Via Dolorosa« (2018) nahm die Sache Fahrt auf, wurde aber durch die Corona-Maßnahmen ausgebremst. 2020 erfüllt sich für Ray van Zeschau dann ein Wunsch mit der Split-LP »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit« und der dazugehörigen, aus bekannten Gründen auf 2023 verschobenen gemeinsamen Tour mit Die Art.
Das neue FDIO-Album enthält zwölf Songs, und es ist jetzt nicht wirklich eine Überraschung, dass es mit »Volkes Jammer« alias »People Run To Fun«, »1989« und »Rogers Fall« Reminiszenzen an die frühe, äußerst kreative Phase der Band zu hören gibt.
Kassandrarufe sind bekanntlich vor einem Unglück warnende Vorhersagen, die in der Regel jedoch niemand hören mag. Und mit »Kassandra-Komplex« ist der psychologische Effekt gemeint, wenn negative Prognosen ignoriert werden. »Sind wir nicht alle wenigstens einmal im Leben Kassandra – Mahner, die keiner hören will?«, sagt Ray van Zeschau, angesprochen auf die Wahl des Albumtitels und das eindringliche Coverbild.
Das Album, das am 3. Oktober digital und als Vinyl-Platte erscheint, ist nur nicht nur optisch eine Augenweide, sondern bietet auch inhaltlich anspruchsvollen Stoff. So findet sich etwa vom brachial-metallischen Opener »Der Garten« über »Vincent«, den keiner verstehen will, bis zum finalen 8-Minüter »Der leere Raum« in überwiegend deutschsprachigen Songs ein Themenspektrum, das von Identität, Verlust, Reflexion und Abschied handelt. Dabei berührt vor allem das Epos »Der leere Raum«, in dem Ray van Zeschau die letzten gemeinsamen Stunden mit seinem sterbenden Onkel Ljuben Stoev verarbeitet hat. Diesem 2016 verstorbenen, großen bulgarischen Künstler, der an der Dresdner Kunsthochschule Meisterschüler bei Lea Grundig war, widmete die Städtische Galerie Dresden 2021 eine Ausstellung, die aufgrund der Corona-Beschränkungen leider nicht so viel Aufmerksamkeit bekam, wie sie verdient hätte. Zu Jahresbeginn 2022 feierte dann mit »Mein Freund Lubo« ein sehr sehenswerter Dokumentarfilm seine Deutschlandpremiere – mit Ray als Co-Produzent und dem Soundtrack der Freunde.
Das Record-Release-Konzert am Tag der Deutschen Einheit wird wieder zur Revue: Mit dem ehemaligen Bandmitglied Roger Baptist alias Rummelsnuff als Bandverstärkung, Thomas Bille als Moderator, Filmen, Marc Hartmann, der Bläser aus seinem Tanzorchester mitbringt, und allem Pipapo.
Heinz K.
Freunde der italienischen Oper: »Kassandras Komplex«, am 3. Oktober, um 19.30 Uhr im Schauspielhaus; Tickets übers Staatsschauspiel Dresden.