Märchen sagen die Wahrheit

Das Erzähltheater 1001 Märchen am Blauen Wunder setzt »Alles auf Hoffnung«

Märchen beflügeln die Phantasie. Sie helfen, die Welt zu begreifen. Und: Nicht nur Kinder, auch Erwachsene lieben es, Märchen zu hören. Darum haben Geschichtenerzähler wie Rainer Petrovsky auch heute noch viel zu tun. »Märchen sind Mutmacher und schenken Hoffnung«, sagt er, »denn am Ende ist das Böse und Schlechte immer verschwunden, und zwar auf Nimmerwiedersehn.«

Rainer Petrovsky (Foto: Robert Jentzsch)

1997 gründete er das »1001 Märchen«-Erzähltheater in der Yenidze. Unter der bunten Glaskuppel schufen er und seine Mitstreiter ein Reich für Märchen, Musik und Geschichten. 2020 folgte dann der Umzug ins Bräustübel am Körnerplatz. »Wir haben die Yenidze nicht gern verlassen, denn die Glaskuppel hat etwas Magisches an sich«, sagt Rainer Petrovsky, »aber der Sommer beginnt immer früher, teilweise schon im April. Der Raum war wegen Hitze monatelang nicht bespielbar.« Dazu kamen noch undichte Stellen im Dach, die weder den Künstlern noch den Besuchern länger zumutbar waren.

Der neue Standort ist etwas kleiner. »Wir haben unser Programm ein bisschen umgestellt, denn der Raum hier ist relativ neutral«, so Rainer Petrovsky. »Natürlich können wir hier mit den richtigen Requisiten auch ein wenig orientalische Atmosphäre schaffen. Aber es sind auch andere Geschichten dazugekommen. Alles, was in eine phantastische Richtung geht. E.T.A. Hoffmann zum Beispiel, Oscar Wilde oder Michail Bulgakow.«

Der Anfang seiner Begeisterung für Märchen liegt in seiner Kindheit und in den langen Vorlesestunden mit seiner Tante. Später, als Matrose, spann er für seine Kameraden das Garn in der Kajüte weiter. »Vom Schiff runter, habe ich dann Dekorateur gelernt und bin mit achtzehn ans Schauspielhaus gekommen. Dort habe ich auch Leute kennengelernt, mit denen ich dann später in der Yenidze die Märchenprogramme gemacht habe.«

Manche von ihnen sind auch heute noch dabei. Zum Beispiel Helga Werner. Neben Geschichten von E.T.A. Hoffmann und Hans-Christian Andersen hat sie auch pikante Erzählungen um Casanova, Lady Chatterley und die Marquise de Pompadour im Programm. Auch Albrecht Goette und Daniel Minetti gehörten von Anfang an mit dazu. »Die beiden sind wahnsinnig gute Vorleser«, sagt Petrovsky. »Zum Programm gehört natürlich meistens noch ein bisschen mehr als nur das Lesen. Meistens dauern die Veranstaltungen 70 bis 90 Minuten. Der eine kann gut vorlesen, der andere ist besser, wenn er die Geschichte mit eigenen Worten erzählt. Wolf-Dieter Gööck etwa hat seine ganz eigenen Versionen von Hänsel und Gretel oder vom ›Goldenen Topf‹.«

Jacci al Zah´ra, Künstlerin der 1001 Märchen | Foto: Robert Jentzsch

Eine große Rolle spielt auch die musikalische Begleitung, die immer zu dem Kulturraum passt, aus dem die Märchen kommen. »Orientalische Märchen haben oft eine erotische Note dabei, das illustrieren wir mit Bauchtanz«, erzählt er. »Manche Schauspieler wie Katharina Randel bestreiten den Abend allein. Sie erzählt zwei Stunden lang und spielt dazu auf einem Streichpsalter. Das Publikum ist immer ganz gebannt von diesem fast magischen Instrument.«

Gern erinnert er sich an die Veranstaltungen mit dem 2022 verstorbenen Jan Heinke, der mit seinen Stahlinstrumenten und dem Didgeridoo zu australischen Märchen spielte und dessen Bild immer noch bei den Ensemblemitgliedern hängt. »Ich habe diesen Mann sehr geschätzt, und ich schätze ihn immer noch, darum will ich das Bild auch nicht abhängen.« Neben dem Erzählprogramm hat Rainer Petrovsky auch politische Matineen eingeführt, die fast immer ausverkauft sind. Zu Gast waren u. a. bereits Gregor Gysi und Friedrich Schorlemmer, im Herbst wird es Veranstaltungen mit dem Philosophen Matthias Burchardt und der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot geben. »Ich lade gern kritische, unbequeme Leute ein, und dass diese Matineen so gut besucht sind, zeigt, wie wichtig diese Diskussionsangebote für die Leute sind.«

Helga Werner, Künstlerin der 1001 Märchen | Foto: Robert Jentzsch

Rainer Petrovsky ist überzeugt, dass in seinem Programm jeder etwas für sich finden kann, sowohl die Großen als auch die Kleinen. Es gibt ernste, getragene Geschichten, es gibt Gruselgeschichten, es gibt humorvolle Geschichten: »Märchen vermitteln ja eine Wahrheit. Vielleicht nicht in der wörtlichen Aussage, aber sie spiegeln menschliche Erfahrungen und sprechen über das Gute und das Schlechte, über Mut, Hoffnung und Gerechtigkeit. Und das ist etwas, das wir alle brauchen.«

Annett Groh

»Alles auf Hoffnung« – Spielzeiteröffnung mit Märchen, Musik und Tanz am 6. und 7. September mit Josephine Hoppe, Katharina Randel, Rainer Petrovsky, Brit Magdon u. a.; 1001 Märchen und Geschichten im Bräustübel, Körnerplatz 3, 01326 Dresden. 1001maerchen.de