Dem Prasseln der Welt entfliehen

Bosse im Interview

Für die Demokratie spielen, Kraft durchs Wegträumen sammeln und am Ende des Abends mit einem guten Gefühl von der Bühne gehen. Vor seinem anstehenden Sommerkonzert in Dresden hat sich DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl mit Musiker Axel Bosse unterhalten.

Axel Bosse, Foto: Sarah Storch

Dein neues Album heißt »Übers Träumen«. Wie sieht der perfekte Traum für dich aus?

Bosse: Der perfekte Traum bleibt mir leider oft verwehrt. Wenn ich mich an meine Träume erinnere, sind das eher negative Erfahrungen. Als Kind hatte ich irgendwann mal den perfekten Traum; vom Fliegen oder vom Tauchen, irgendwas Schwereloses. Das ist der einzig superschöne Traum, an den ich mich erinnern kann. Sonst ist das bei mir immer eher Verlustangst.

War die Initialzündung für das Thema »Träumen« als roter Faden der Song »Das Paradies« vom vorletzten Album »Sunnyside«?

Bosse: Das war der Anfang. Bei »Paradies« ist das ja eher auf die Gesellschaft bezogen. Eine Parallelwelt, die ganz interessant ist, weil da alles geht. Auf der neuen Platte gibt es einen Song, der heißt »Ice Cream Universum«. Da werden zwei Leute quasi aus dem Bett nach oben gezogen und hängen plötzlich im Orbit herum. Genau hier hat sich für mich der Paradieskreis geschlossen. Wie im Theater oder Fantasyfilm dürfen plötzlich zweite Welten aufgemacht werden. Das alleine war mir aber irgendwann zu langweilig, und ich habe angefangen über den gesellschaftlichen wie persönlichen Traum im Allgemeinen nachzudenken; die Tagträume und das Träumen als Ziel und Ergebnis eines Vorhabens. Das alles zusammen ist der rote Faden.

Lass uns beim Song »Ice Cream Universum« bleiben. Da sind zwei Kids, bei denen wird zu Hause gesoffen. Der Ausweg ist die Flucht in eine andere Welt, ein Wegträumen aus der harten Realität. Ist das der Anspruch: Das gesellschaftlich Schwierige mit dem Prinzip Hoffnung zu verbinden?

Bosse: Ja voll. Zwei Kids, die sich von den Alkoholiker-Eltern und der Deutschlandflagge im Garten wegträumen. Eigentlich geht es bei fast jeder zweiten Nummer auf der Platte darum, dem Prasseln der Welt zu entfliehen. Damit meine ich nicht, dass man 18 Stunden am Computer zockt, um danach schlecht schlafen zu gehen. Es geht um Auszeiten und darum, durchs Wegträumen Kraft zu sammeln. Genau dafür sind Tagträume da. Was wären die ganzen Leute, die Kraft in die Welt bringen ohne ihre Tagträume? Wahrscheinlich gar nichts.

Im Stück »Ich tagträume« erzählt die Aktivistin, Autorin und Filmemacherin Düzen Tekkal von ihrer Erfahrung mit dem »German Dream«. Ein Gastauftritt zwischen Musik und Aktivismus, um bestimmte Dinge authentischer erzählen zu können?

Bosse: Ich finde es interessant, mich mit Menschen auszutauschen, die viel aktivistischer unterwegs sind als ich. Leute, die mit einer Vehemenz etwas dafür tun, dass unsere Gesellschaft irgendwie besser wird. Wir leben in einer Zeit, in der viele in einer Mischung aus Selbstlob und Aktivismus zu allem ihren Senf dazugeben. Da passiert irgendwas Ungerechtes und man kann sich auf Social Media gleich dazu positionieren. Ich muss mir regelmäßig eingestehen, dass ich mich dafür zu wenig auskenne. Oft habe ich mich auch einfach nicht so viel damit beschäftigt, als Menschen wie Düzen Tekkal, die das über Jahre getan haben, anders sozialisiert wurden und weiblich gelesen sind. Das war mir in dem Fall auch wichtig. Es geht um neue Blickwinkel. Darum, andere und authentische Geschichten zu hören. Wenn Düzen erzählt, kann ich mich rausnehmen und wie alle anderen gespannt zuhören.

Lass uns weiter über Features reden: Beim Stück »Nur noch ein Lied« hören wir Lea, mit Alligatoah hast du den Song »Salzwasser« gemacht und der Berliner Kneipenchor ist gleich öfters am Start. Wie wählst du deine Gäste aus?

Bosse: Das geht über zwei Wege: Zum einen finde ich die Personen, die da jetzt mitmachen, alle super nett und toll. Mit Lukas, also Alligatoah, Lea oder auch Düzen bin ich befreundet. Das passiert in diesem medialen Geschäft gar nicht so oft, dass man Leute trifft, die bleiben. Diesmal habe ich also nur Freundinnen und Freunde gefragt, die man voll entspannt anrufen kann. Zum anderen finde ich sie natürlich auch musikalisch richtig gut.

Um nochmal kurz auf die Schnittstelle zwischen Reichweite, Musik und Aktivismus zurückzukommen: Kannst du das für dich überhaupt trennen?

Bosse: Vor ein paar Wochen war ich zu Gast in Dresden, auf dem Fest der Demokratie. Da stehe ich dann auf einer Bühne von Theaterleuten und Kulturvereinen und merke, dass ich als Künstler aus dem sogenannten »Mainstream« mit meinem Auftritt ein Zeichen setzen kann. Mit meiner schmuddeligen Akustikgitarre schmetter’ ich zwei Songs, ganz einfach weil ich es gut finde, dass alle da sind und gemeinsam ein buntes Fest feiern. Dresden ist vielfältig und so versammeln sich vor der Bühne viele verschiedene Leute, die aber alle kein Bock auf rechts haben, sondern wollen, dass es fair, divers und demokratisch bleibt. Klare Ehrensache, da mit am Start zu sein. Es freut mich, wenn zu so einer Veranstaltung vielleicht 400 Leute mehr kommen, nur weil ich da spiele. Niemand soll das Gefühl haben alleine zu sein, wenn man in Dresden für Demokratie auf die Straße geht.

Ist es live die Prämisse, dir und deinem Publikum wechselseitig eine gute Zeit als Urlaub vom Alltag zu bescheren?

Bosse: Im besten Fall ist das so. Wenn ein Publikum lodert und brennt, ist das schnell arg ansteckend. Vor kurzem habe ich in einem ganz kleinen Laden in Cottbus, dann ein ziemlich großes Ding in Brandenburg und danach ein richtig großes Ding bei Paderborn gespielt. Das sind dann immer zwei Stunden und fünfzehn Minuten, in denen alle raus sind und eine gute Zeit haben. Wo man zwischendrin vielleicht auch mal eine Träne verdrückt, was aber nichts anderes heißt, als dass auch eine Menge Emotionen und Erinnerungen im Raum sind. Ich gehe jeden Abend mit dem Gefühl von der Bühne, dass sich das alles wieder richtig gelohnt hat. Wenn die Leute auch so rausgehen und vielleicht sogar noch ein bisschen davon zehren, dann ist mehr als alles erreicht.

Trotz des großen Erfolgs gehst du seit jeher offen mit der Phase deines Schaffens um, wo es zumindest kommerziell nicht so gut lief … ?

Bosse: Auch das Scheitern hat seine Reize. Das war eine Zeit, in der es vom finanziellen Auskommen her richtig beschissen lief. Meine Frau hat schon oft zu mir gesagt, dass sich im Nachgang gezeigt hat, wie sehr ich das alles liebe. Ich habe wirklich viele Jahre vor einem Sack wenig Leute gespielt und meine Sachen haben auch erstmal nicht so vielen gefallen. Da zeigt sich dann, ob man etwas richtig liebt, oder nur macht, weil es ein geiler Lifestyle ist. Deswegen finde ich Scheitern auch gar nicht schlimm.

Zum Schluss die Frage, ob wir in diesem Gespräch über irgendwas nicht gesprochen haben, über das du noch gerne reden würdest?

Bosse: Da ich, wie gesagt, letztens zum Fest für Demokratie wieder in Dresden war, habe ich mir ein paar Gedanken gemacht und finde es echt abgefahren, dass hier schon 200 Menschen zum Konzert kamen, als in Hamburg erst 30 vor der Bühne standen. Jetzt haben wir die Junge Garde schon wieder sackfrüh ausverkauft. Das ist wirklich krass und eine sehr intensive, schöne und faszinierende Bindung.

Vielen Dank für das Gespräch!

DRESDNER Kulturmagazin präsentiert: Bosse am 16. August live in der Freilichtbühne Junge Garde. Mehr zu Bosse unter www.axelbosse.de/